Ihr lieben Diskutanten,
die Biologie, und „die Wissenschaft“ allgemein liefern keine Anhaltspunkte zur Frage der
Legitimierung der Tötung menschlichen Lebens. Für mich ist es eine Frage des menschlichen
Mitfühlens, des Mitgefühls, das sich auf den Einzelnen und zugleich auf alle Beteiligten
erstreckt, also auch auf die Familie als Ganze.
Das ist immer konkret, auf jeweilige Menschen und ihre Situation bezogen, nicht abstrakt,
nicht absolut und nicht apodiktisch.
Vor diesem Hintergrund würde ich das lebende Leben stärker gewichten als das Leben eines
jenseits der Mutter nicht lebensfähigen Lebens.
Und jetzt kommen doch zusätzliche allgemeine Aussagen, die bisheriger menschlicher
Erfahrung entsprechen:
Ungeborene vor der 20. Schwangerschaftswoche und mit einem Gewicht unter 500 g sind nicht
selbstständig lebensfähig. Danach kommt eine Übergangszeit, in der die Lebensfähigkeit nur
mit großem Aufwand und behaftet mit Risiken für das spätere Leben gesichert werden kann.
Im SGB wird als Grenze „nicht mehr als 22 Wochen“ nach Empfängnis genannt, wobei der
Schwangerschaftsabbruch nicht absolut ins Belieben gestellt wird, sondern lediglich
straflos ist.
Ich denke, das ist eine vernünftige, einleuchtende Abwägung.
In den USA ist die Gesetzgebung jetzt in die Hände der Bürger der verschiedenen
Bundesstaaten gelegt worden, wobei zuvor landesweit bei Lebensgefahr für die Mutter die
Straffreiheit auch für Abtreibungen nach der 24. Schwangerschaftswoche galt. Diese
Straffreiheit ist jetzt im Staat New York für Tötung des Ungeborenen bis zur Geburt
ausgedehnt worden, "wenn die Gesundheit der Mutter gefährdet oder der Fötus nicht
lebensfähig" ist.
Gesetzgebung ist ein demokratischer Prozess, alle Macht geht vom Volke aus, und das Ringen
um Entscheidungen gehört zur Demokratie. Ich hätte als US-Bürger die bisherige Regelung
auch für meinen Bundesstaat unterstützt, und aus verschiedenen Gründen (Vagheit des
Gefährdungsbegriffs und des Begriffs der Lebensfähigkeit) gegen die Regelung gestimmt, die
jetzt im Staat New York gilt
.
Liebe Grüße
Thomas (Bürger, Biologe und Kinderarzt, der mit Frühgeborenen auf der Intensivstation
befasst war….)
Am 24.05.2024 um 21:14 schrieb Karl Janssen über
PhilWeb <philweb(a)lists.philo.at>at>:
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Am 24.05.2024 um 17:17 schrieb Ingo Tessmann über
PhilWeb <philweb(a)lists.philo.at>at>:
Am 24.05.2024 um 15:28 schrieb Karl Janssen über
PhilWeb <philweb(a)lists.philo.at <mailto:philweb@lists.philo.at>>:
Hast Du jemals mit einer werdenden Mutter das Ultraschallbild des Babys in ihrem Bauch
gesehen? Wenn ja, dann frage ich mich, wie Du Dich zu der Behauptung aufschwingen kannst,
menschliches Leben würde erst postpartal beginnen.
Moin Karl,
natürlich habe „mit einer werdenden Mutter das Ultraschallbild des Babys in ihrem Bauch
gesehen“, wobei es sich um ein Baby erst nach der Geburt handelt. Da ich Vater und Opa
bin, habe nicht nur Embryos und Feten, sondern auch Babys gesehen bzw. geherzt. Was macht
denn für Dich menschliches Leben aus? Zelluläres Leben der Zygote und Blastozyste
unterscheiden Mediziner von embryonalem und fetalem Leben. Und menschliches Leben beginnt
frühestens mit dem ersten Atemzug außerhalb der Mutter.
Da es keine einvernehmliche, allgemeingültige Definition des Beginns menschlichen Lebens
gibt (insofern auch nicht eine von Dir verlangte Quellenangabe), ist die Frage, ob
menschliches Leben prä- oder postpartal entsteht, von verschiedenen Ansichten und
persönlichen wie institutionellen Prägungen und Aussagen, resp. Dogmen abhängig.
Ich persönlich neige (nicht nur als Christ) zu der Annahme, dass menschliches Leben
prinzipiell (also vom biologischen Faktum ausgehend) mit der Verschmelzung von Ei- und
Samenzelle beginnt und damit ein Mensch konzeptionell entsteht.
Wir haben m.W. hier in philweb einen Biologen. Obgleich wir von Thomas lange nichts mehr
vernommen haben und falls er ggf. hier mitliest, wäre seine Antwort auf die erörterte
Frage sehr hilfreich.
Schon die
ersten Bewegungen des Kindes im Mutterleib haben - neben der später einsetzenden
Erziehungsphase - eine essentielle Bedeutung für die Entwicklung des Kindes. Diese
massgeblich prägende Phase kann unmöglich durch artifiziell nachgebildete Mechanismen
substituiert werden. Ein Kind, dass sich beizeiten seiner „Erzeugung“ als „Laborratte“
bewusst wird, dürfte bei entsprechender Verinnerlichung dieses Umstandes in eine
emotionale Schieflage gegenüber seiner „Elternschaft“ geraten. Nun, wie gesagt: „Brave New
World“.
Warum immer wieder Pauschalierungen? Sollten wir die nicht den Populisten überlassen? Ob
irgendwelche Dogmatiker oder Vollpfosten ein Kind als Bastard oder Laborratte bezeichnen,
ist sozial zu bekämpfen, was die Frauenbewegung bisher auch einigermaßen hinbekommen hat.
Zu der angeblich so prägenden Phase des Feten im Uterus solltest Du die Quellen benennen.
Warum sollte eine Leihmutter dafür nicht ebenso herhalten können?
nun, zu den Populisten wollen wir uns ja nicht zählen. Den Begriff der „Laborratte“ hast
übrigens Du in den Diskurs eingebracht. Zur Frage einer präpartalen Prägung gibt es
unzähliges Schriftgut, müssig, hier quasi eine diesbezügliche Autorisierung durch namhafte
Vertreter der einen, wie der anderen Meinung vorzulegen.
Deine Meinung entspricht exakt Deiner Ideologischen Prägung und vice versa eben auch
meine.
Und wenn nun schon Leihmütter für Geburten „herhalten“ müssen, bzw. sollten, wird das so
bedeutende Element der Familie, als kleinste Einheit der Gesellschaft einmal mehr infrage
gestellt. Es entspricht einem mir nicht zugänglichen Liberalismus, um nicht zu sagen einer
Lebensweise nach (vornehmlich eigenem) Belieben; Da ist nix mehr mit sozialem Zusammenhalt
und das drückt sich mittlerweile auf dramatische Weise in einer bislang nicht gekannten
Spaltung der Gesellschaft aus.
Plump ausgedrückt: Je mehr die Linke deren gelegene Veränderungen der Gesellschaft
einfordert, desto mehr gruppieren sich die Opponenten und es mindert sich die
gesellschaftspolitische Mitte. Binsenweisheit, für die es kein SoWi-Studium braucht. Das
lässt an das Ende der Weimarer Republik denken, die nachfolgend tragische Entwicklung ist
hoffentlich noch hinreichend in den Köpfen unserer Zeitgenossen präsent.
Doch warum sollte ich zu diesem Thema schreiben,
da es längst etablierter Erkenntnisstand in der Entwicklungspsychologie ist. Natürlich
schreibe ich als Mann und Vater über ein Thema, dass eher aus der Sicht einer Mutter
beschrieben werden sollte. Schließlich ist deren innerste Erfahrung einer Mutterschaft
auch nur von dieser Seite her authentisch zu beschreiben.
Wenn es um Recht und Gerechtigkeit geht, kommt es gerade nicht auf Gefühle, Erlebnisse
oder „innerste Erfahrungen“ an. Weder der Muttermythos (der in allen Frauen eine
Mütterlichkeit sieht) noch die Repro-Maskulinität (als Mann über die Mütter bestimmen zu
wollen) sollten der Ausgestaltung des Selbstbestimmungsrechts der Frauen entgegenstehen.
Manchmal habe ich bei Deinen Argumenten den Eindruck, Du würdest Vorsitzende eines
Frauenbundes sein. Sind Frauen mittlerweile noch auf derartig fadenscheinige Fürsprache
angewiesen, um ihre Positionen zu verbessern, bzw. die ihre ihnen angemessene Rolle in der
Gesellschaft zu spielen? Meine Frau ist Ingenieurin und stellt jeden Tag „ihren Mann“ im
Berufsleben. Wollte ich ihre Rechte auf diese Weise durchgesetzt sehen, würde sie mich
verlachen. Sie steht für sich, ebenso wie ich auch und wir beide stehen zusammen.
Ein Problem der Frauenrechte sehe ich eher im patriarchalen Rollenverständnis von
Migranten, wie es sich vornehmlich in urbanen Bereichen (sog. Problemzonen) zeigt.
Allerdings sollte dabei beachtet sein, dass in deren Familien die Frauen sehr wohl eine
gewichtige, nämlich familieninterne Rolle spielen und obendrein ihre Söhne geradewegs zu
„Matchos“ erziehen.
Gerechtigkeit, selbstbestimmtes Leben etc. sind das eine, Emotionen, Mutter sein ( in
aller Konsequenz) ein anderes.
Das
Nachkriegs-GG war ein Anfang und so gibt es noch viel zu verbessern.
Fragt sich, in welchem Geist und Sinne das geschehen sollte, da würde ich eher die
„Finger davon lassen“.
Die erste Chance zur Zeit der Wende 1989/90 wurde vertan. Der jetzige Anlass der
75-Jahrfeier ist ebenfalls nicht genutzt worden. Dabei wäre auch das ein Anlass zur
Überarbeitung des GG gewesen, und zwar durch eine GG-Kommission, die komplementär zum
parlamentarischen Rat 1948/49 mit 4 Männern und 64 Frauen (einschließlich einigen
LGBTQIA+’lern) besetzt sein sollte.
Nun stand es Dir doch frei, eine parlamentarische Eingabe über einen Dir genehmen
Volksverteter zu lancieren. Für mein Teil habe ich das schon mehrfach unternommen, um
letztlich feststellen zu müssen, dass nichts, aber auch wirklich nichts über den
Fraktionszwang der Parteien hinweg geschehen kann.
Dieses kann Frustration über das übliche Politikgeschehen in den verschiedensten
Ausprägungen auslösen, wie sich das tagtäglich zeigt.
KJ
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