Am 13.03.2020 um 16:54 schrieb Ingo Tessmann:
Am 12.03.2020 um 23:41 schrieb Claus Zimmermann
<mail(a)clauszimmermann.de>de>:
Ich beschäftige mich schon eher zu viel mit
Dingen, für die ich völlig talentfrei bin. Mathe und ich, das wird nichts.
Theoretisch könnte ich mir vorstellen, daß man Mathematik über den technischen Aspekt
hinaus auch schön finden kann.
Man könnte auch das Zählen als eine Art Bewusstseinserweiterung betrachten. Der zählende
Mensch hat bei allem, was damit verbunden ist, wahrscheinlich eine andere geistige
Verfassung als der nicht zählende. Trotzdem würde ich persönlich die Erfindung dieser oder
jeder anderen Technik nicht als Philosophie betrachten.
Hallo Ingo,
Zu meiner mathematischen Unterbelichtung kommt, daß ich mich mehr für
Naheliegendes interessiere als für n-dimensionale Räume. Und da wirft
man der Philosophie immer Weltfremdheit vor.
Aber es kann natürlich praktische oder theoretische Anwendungen dafür
geben oder man (ich nicht) kann es interesselos einfach schön finden.
Hi Claus,
es geht doch nicht darum Technik als Philosophie zu betrachten, sich vielmehr in der
Philosophie auch mathematischer Methoden zu bedienen. So machen es auch die Physiker und
viele andere Wissenschaftler. Und das Zählen ist zunächst bloß eine Alltagstätigkeit, die
regelhaft ausgeführt werden kann, aber noch keine Bewusstseinserweiterung herbeiführt.
Betrachten wir als Beispiel Adam Ries. Wie Michael Fothe in den JENAER SCHRIFTEN ZUR
MATHEMATIK UND INFORMATIK hervorhebt, gilt sein drittes Rechenbuch als die beste deutsche
Arithmetik in der Mitte des 16. Jahrhunderts: "Adam Ries wurde 1492 in Staelstein
(Franken) geboren. Im Jahr 1518 erschien in Erfurt sein erstes Rechenbuch. Linienrechnen,
praktische Aufgaben aus dem Wirtschaftsleben, das Beherzigen des didaktischen Prinzips vom
Einfachen zum Schwierigen und das ausführliche Beschreiben von Lösungsverfahren, jedoch
nicht deren Begründungen waren Kennzeichen dieses Rechenbuches.“
Erst das Begründen der Rechenregeln macht Mathematik aus und erweitert das Bewusstsein
über Arithmetik, Analysis und Algebra hinaus in die Zahlentheorie. Und das Bedenken der
Begründungen dann gibt Anlass zum Philosophieren. Erst das macht den zählenden Menschen
aus, für den alles Zahl wird. Es wäre interessant, über 2500 Jahre nach den Pythagoräern,
ihr Programm erneut zu bedenken oder wieder aufzunehmen.
Nach meinem Informationsstand gilt als mathematische Wahrheit zumindest
für manche Mathematiker formale Korrektheit. Die Formen oder Regeln
selbst sind danach weder wahr noch falsch.
Man kann allerdings sagen, daß man mit manchen Regeln besser fährt als
mit anderen. So passt der Satz des Widerspruchs z.B. zu unserer
Lebenswirklichkeit, weil etwa die Körpertemperatur nicht erst dann einen
bestimmten Wert annimmt, wenn man sie misst, so daß man durch eine
Beschreibung einem Abwesenden zum gleichen Bild der Lage verhelfen kann,
das die die Anwesenden sehen. Dann kann man lügen und die Wahrheit
sagen, aber nicht beides gleichzeitig im gleichen Sinn.
Das wäre eine praktische Begründung einer Regel.
Eine Begründung im Sinn der Pytagoreer wäre vermutlich, daß sich in der
Regel oder im Lehrsatz eine höhere Ordnung wiederspiegelt. Das kann man
natürlich nicht einfach behaupten. Ist es Erfahrung? Schönheit?
Übereinstimmung mit anderen Regeln?
Ich erinnere mich gerade an das Buch "Die Welt
ist Klang“ von Joachim-Ernst Berendt, das ich noch im Archiv haben müsste. Ja, für den
Musiker ist die Welt Klang, für den Maler Farbe, für den Schriftsteller Sprache, für den
Physiker Energie und für den Mathematiker Zahl; wobei der Strukturreichtum des
Zahlenuniversums alle anderen Aspekte der Welt natürlich als Sonderfälle enthält. Das
müsste doch schon einmal jemand im Detail auszuarbeiten begonnen haben?
Da möchte ich widersprechen. Man versteht eine Melodie nicht schon, wenn
man die Verhältnisse der Saitenschwingungsfrequenzen kennt, die sie
hervorbringen und muss umgekehrt von diesen Verhältnissen keine Ahnung
haben, um sie zu verstehen.
Ich verweise des weiteren auf G. Trappatoni: Fussball ist nicht nur
Ding, Dang oder Dong. Fussball ist Dingdangdong. Soll heissen: nicht
alles ist Klang, nicht alles ist Zahl, das Leben hat mehr im Angebot.
Man könnte dagegen sagen, daß man bei quantitativen Veränderungen nicht
unbedingt mehr oder weniger des gleichen, sondern etwas anderes erlebt,
daß also die Quantität die ganze Vielfalt erzeugt. Ein
Kausalzusammenhang könnte bestehen, aber das würde auch bedeuten, daß
man das eine vom anderen unterscheiden muss. Was Saitenschwingungen und
ihre Frequenzen sind, versteht auch ein Tauber.
Es grüßt,
Ingo