Am 06.03.2021 um 01:29 schrieb K. Janssen via Philweb
<philweb(a)lists.philo.at>at>:
„Jeder steht nun mal auf einem anderen Platz“, meinte ich diesbezüglich allerdings nicht
metaphorisch, sondern im engsten Sinne konkret: Den von Dir körperlich eingenommenen Platz
bzw. Raum kann ich, kann kein anderer einnehmen. Aus diesem Faktum nun per se eine andere
Sicht auf die Welt (also eine grundsätzlich unterschiedliche Perspektive) zwingend
abzuleiten bzw. damit zu verbinden, ist tatsächlich unzulässig. Denn der unzweifelhaft
nicht doppelt besetzbare, körperlich eingenommene Platz/Raum einer Person, kann jedoch
ihres hinsichtlich „Gedankenraums“ mit dem einer anderen Person (zu gewissen Teilen)
kongruieren. Das lässt mich unweigerlich (und wiederum) an den von Thomas verwendeten
Begriff eines Interaktionsraums denken, innerhalb dessen bei hinreichend gegebener
Kohärenz übereinstimmende (sich im Gleichklang befindliche) Kommunikation ausbilden kann.
Praktisch ausgedrückt: „Bin vollkommen deiner Meinung“. Dieser „Gleichklang“ ist
selbstredend nicht die Regel und dies ist eben den individuell unterschiedlich besetzten
„Gedankenräumen“ (wiederum praktisch ausgedrückt, den Denkweisen aus verschiedenen
Blickwinkeln) geschuldet.
Hi Karl,
der Platz, der Ort oder die Situation hat ja für Existentialisten eine besondere
Bedeutung, aber schon mit dem Übergang vom Sprechen zur Schrift und ihrer Verbreitung geht
ihr Bezug weitgehend verloren. In den Invariantentheorien dann sollen die Bezüge
ausdrücklich außer acht bleiben und lediglich das jeweils erhalten bleibende weiter
untersucht werden. In der Volksschule seinerzeit gab es neben dem Rechnen die Raumlehre,
wobei ich damals noch nicht an semantische- und Vektorräume dachte. Wie weit die Analogie
zwischen Wörtern und semantischen- sowie Zahlen und geometrischen Räumen reicht, fragte
ich mich erst mit dem Aufkommen der Suchmaschinen im Internet, in denen ja reine
Wortanfragen in semantische Verktorräume verlegt werden, wie z.B. durch word2vec bei
google.
https://arxiv.org/abs/1301.3781
Lesen bildet, die Kinder fangen mit bebilderten Wort-Büchern an bis sie nach und nach das
Lesen lernen. In Rechnern wird das Scannen von Texten in semantische Räume verlegt, die
mathematischen Modellbildungen folgen und frei im Internet verfügbar sind, wie z.B.
"A mathematical model for universal semantics“:
https://raw.githubusercontent.com/yajun-zhou/linguae-naturalis-principia-ma…
Die Brücke zwischen „Gedankenräumen“ wird vornehmlich
durch Sprache hergestellt, vornehmlich (also nicht ausschließlich) deshalb, weil auch eine
nicht-sprachliche Verbindung zwischen Menschen und insbes. zwischen Mensch und Tier-
gegeben sein kann. Während letztere unverstellt ist, stellt Sprache in ihrer üblich
umgangssprachlichen Unschärfe das eigentliche Problem zwischenmenschlicher Kommunikation
dar.
Für mein Dafürhalten war es insbes. Wittgenstein, der diesen Zusammenhang in seinen
Schriften verdeutlicht hat.
Die Sprache der Gedanken hat Mack ja eichtheoretisch analysiert. Diesem top-down-Ansatz
steht der bottom-up-Ansatz gegenüber, algorithmisch aus vielen Texten mittels
statistischer Netzmethoden unserem Wortschatz einen semantischen Raum zuzuordnen. Dass
Wörter einen Raum erzeugen, dem sie wiederum selbst zu genügen haben, erinnert mich
natürlich an Teilchen, die einem Vektorfeld folgen, das sie selbst hervorbringen oder
Materie, die den Raum krümmt, dem sie folgt.
Eine Prozessphilosophie, die den Namen verdient, müsste genau das hinbekommen, sich in
ihrem Vollzug selbst hervorbringen. So wie ein Formalismus über Algorithmus und Programm
sich in der Ausführung als wirklich ablaufender Prozess zeigt, müsste sich auch die
Prozessphilosophie über ihren Text nicht nur im lesenden Gehirn, sondern auch im
semantischen Raum zu aktivieren vermögen. Oder wie Virginia ihren Roman den Wellen gemäß
gestaltet. Dem Roman folgend leben, den das Leben schreibt. Mein Leben schreibt den Roman,
den ich lebe.
In der Natur laufen sich selbst reproduzierende Prozesse, die wir allgemein als Wachstum
bezeichnen, ja ständig ab und wir sind ihnen selbst erwachsen. Nach Popp soll das nur
möglich sein, weil wir (wie alle Lebewesen) gleichsam mit Licht denken; denn "ein
Mensch verliert pro Sekunde 10 hoch 7 Zellen. Alle 10 hoch (-7 ) Sekunden muss also ein
Signal an die Nachbarzellen übermittelt werden, das die Botschaft des Zellverlustes
überträgt! Diese sog. Zellverlustrate gilt für alle Lebewesen.“ Aber wie bringen wir
Gedankenräume und Formalismen, Texte und semantische Räume mit den Lichträumen der
Biophotonen zusammen?
Da ich mich gerade mit der Ausdehnungslehre Grassmanns und ihrer Integration in die
Algebra Cliffords befasse, ist mir Thomasens Kohärenz als "Ausgangspunkt von
räumlicher und zeitlicher Erstreckung“ in den Sinn gekommen. Ausgehend von der Zahlenlehre
seines Vaters und der Dialektik Schleiermachers scheint sich Grassmann in den 1840er
Jahren etwas ähnliches gefragt zu haben und später hat sich Whitehead auf ihn bezogen,
aber was ist in seiner Prozessphilosophie daraus geworden?
Es grüßt,
Ingo