Am 15.11.2023 um 12:49 schrieb Dr. Dr. Thomas Fröhlich
über PhilWeb <philweb(a)lists.philo.at>at>:
Mittels AI werden Kohärenzen als im Bayesschen Sinn wahrscheinlich unterstellt, und je
nach Größe der Datenbanken sind die Ergebnisse ja furchterregend treffend - etwa Imitate
philosophischer Schriften etc.
Was wohl fehlt, ist etwas, das über vorhandenes Wissen (z. B. Geschriebenes) hinausgeht,
der Blick über den Tellerrand, das in-Frage-Stellen von Denkgewohnheiten, das neu
Anordnen, das Rekontextualisieren.
Und erst ab da würde es nicht nur amüsant, sondern auch spannend.
Moin Thomas,
neu Anordnen und Rekontextualisieren ist randomisierend und variabel
wahrscheinlichkeitsgewichtend schon heute möglich. Und meiner Vermutung nach, wird die AI
auch bald über den Tellerrand blicken und Denkgewohnheiten in-Frage-Stellen können. Die
ausufernde Begriffsgymnastik der Metaphysiker und Phänomenologen wird von der AI bald weit
in den Schatten gestellt werden. Für die Philosophie wird das von Vorteil sein, da sie
ihren literarischen Zweig den Romanciers überlassen kann, die es eh besser können, das
Menschliche variantenreich zur Sprache zu bringen.
An welche Tellerränder und Denkgewohnheiten hattest Du gedacht? Mir fällt dazu ein: Die
Denkgewohnheit des Begriffsrealismus in der Philosophie wurde durch die analytische
Philosophie in Frage gestellt. Auf die linguistische folgte die pragmatische und darauf
die kulturalistische Wende. Die Denkgewohnheit zum Vorurteilen im Alltag wurde in der
Rechtsphilosophie durch die Unschuldsvermutung und in der Seinsphilosophie durch die
Nichtexistenzannahme in Frage gestellt. Aber hat das die Philosophie wesentlich verändert?
Vorurteile und Begriffsrealismus sind nach wie vor in Metaphysik und Phänomenologie
verbreitet.
Wenn ich über den Tellerrand der Philosophie hinausblicke, dann sehe ich natürlich die
faszinierenden Einsichten und Erfolge der MINT-Fächer. Und das liegt hauptsächlich an
ihrer Methodenstrenge. Die methodischen Konstruktivsten hatten ja Maß an ihnen genommen
und die Philosophie wieder auf den Alltag bezogen. Dabei blieben auch Mathematik und
Technik nicht unberücksichtigt. Aber welcher Gegenwartsphilosoph geht noch methodisch vor?
Du hattest auf Hermann Schmitz verwiesen, der nach Peter Sloterdijk „neben Heidegger der
größte [...] Denker des 20. Jahrhunderts auf deutschem Boden“ sein solle, zitierte JH.
Hegel wusste es noch nicht besser, aber diese drei manischen Begriffsgymnastiker rufen bei
mir keine Bewunderung, sondern Geringschätzung hervor. Anstatt mir mit ihren aufgeblasenen
Mammutwerken meine Lebenszeit zu verschwenden, bedenke ich meine Leiblichkeit lieber
selber — oder folge dem kurzweiligen „Pornopositiv“ Paulita Pappels. Die
Bachelor-Literaturwissenschaftlerin und Pornoakteurin hat wahrscheinlich mehr Erfahrung
mit ihrer Leiblichkeit als der sich sein Leben lang an der Schreibtischkante
reflektierende Philosophie-Professor Schmitz.
IT