Am 13.11.2020 um 01:28 schrieb K. Janssen
<janssen.kja(a)online.de>de>:
… So lebt uns Natura, als von Geist und Materie potentiell! verschränkte Substanz.
Hi Karl,
Nicht "Geist und Materie", die „Physis“ ist es, die seit Homer allem zugrunde
liegt: So übersetzt Schadewaldt einen Satz mit "physin autou“ aus der Odyssee mit:
"Als er so gesprochen hatte, reichte er mir das Kraut, der Argostöter, nachdem er es
aus der Erde gezogen hatte, und wies mir seinen Wuchs“. Dabei ist mit „seinem Wuchs“ die
Rede von Wuchs und Aussehen des Krauts, das Odysseus bei Kirke für einen Gegenzauber
benötigt.
Schon in der Antike wird das (technische) Bauen vom (natürlichen) Wachsen abgegrenzt, denn
das eine ist Kunst, das andere Natur. Und so ist ein gewachsenes Schneckenhaus auch nur
metaphorisch vergleichbar mit einem gebauten Menschenhaus. Wobei es toll wäre, wenn es
gelänge, menschliche Wohnhäuser einmal tatsächlich kontrolliert wachsen zu lassen, quasi
echte Baumhäuser.
Das rationale Zusammendenken von Kosmologie und Lebenswelt beginnt mit Thales. Er bestimmt
das Wasser als den stofflichen Anfangsgrund, als die materielle "arche" der
Welt. Klaus Held schreibt in seiner Phänomenologie der natürlichen Lebenswelt dazu:
"Die eigentliche arche ist die physis. In der Wandlungsfähigkeit, die das Wasser auch
ohne unsere Einwirkung aufweist, verkörpert sich stofflich die Lebendigkeit der physis.“
Anhand der babylonischen Keilschrifttafeln sagt Thales im Jahr -584 erstmals den genauen
Ort und die Zeit einer Sonnenfinsternis voraus und nach Aufzeichnung von Wetterdaten
spekuliert er mit einem Optionsgeschäft auf die zu erwartende Olivenernte. Heute gehören
Wetterderivate zum festen Bestandteil von Spekulationsgeschäften an den Terminbörsen und
verbinden in besonderer Weise Physik mit Ökonomie.
Am Beispiel des Wassers lässt sich aufzeigen, wie die jeweils vier „Elemente",
„Bewegungen" und „Ursachen" bei Aristoteles ebenso wie die vielen Dualitäten
quantitativ experimentell aus der einen „Physis" hervorgehen. Der Film „Undine“, den
ich gerade sah, erinnerte mich einmal mehr daran, dass Paracelsus ja zu jedem Element ein
Elementargeist hinzuerfand. Aber das ist Poesie, in die Hölderlin auch den Rhein
verwandelt hat:
"Ein Rätsel ist Reinentsprungenes. Auch
Der Gesang kaum darf es enthüllen. Denn
Wie du anfingst, wirst du bleiben. Soviel auch wirket die Not,
Und die Zucht, das meiste nämlich
Vermag die Geburt,
Und der Lichtstrahl, der
Dem Neugebornen begegnet.
Wo aber ist einer,
Um frei zu bleiben
Sein Leben lang, und des Herzens Wunsch
Allein zu erfüllen, so
Aus günstigen Höhn, wie der Rhein,
Und so aus heiligem Schosse
Glücklich geboren, wie jener?“
Aber wie bringen wir Philosophie und Poesie mit Physik und Mathematik zusammen? Durch
Gesang und Licht vielleicht?
Es grüßt,
Ingo