CZ: „Das klingt doch schon nicht mehr so, als ob man von ihnen wehrlos über den Tisch
gezogen würde. Oder mit gleicher Kraft in entgegengesetzte Richtungen, so dass die Kräfte
sich in ihrem Objekt neutralisieren.
Aber es könnte Fälle geben, in denen man nicht weiss, was man will.“
Aber Buridan spricht ja deswegen von einem Esel, weil er erstmal nicht von „Motiven“ (also
von Menschen und ihrer angeblich so rationalen Selbstbestimmung) sprechen will, sondern
von einem kausal-deterministischen System, das vorhersehbar-eindeutig auf Reize reagiert
(also in diesem Sinne „wehrlos“ ist). Es sieht Heu, also läuft es darauf hin, frißt es.
Nur eben: was passiert, wenn es zwei gleich distante sieht (usw.).?
Ob diese Situation auf Menschen und ihren Umgang mit „Motiven“ übertragbar ist, ist dann
eine andere Frage, und die daran anschließende wäre, was dann beim Menschen eigentlich
„anders“ ist, was wir tun, um nicht zu solchen Eseln zu werden, usw. Und die Vermutung
ist: uns „rettet“ vor diesen Situationen nicht etwa eine höherstufige Intelligenz, sondern
die immer schon vorausliegende Kontingenz der Welt: die pure („stochastische“?)
Unwahrscheinlichkeit, je in eine solche Lage des perfekten Entscheidungsequilibriums zu
kommen, das, wenn es es gäbe, in der Tat auch für uns Fast-Esel „tödlich“ wäre.
Zu Zenon:
CZ: „Der Haken an dieser Methode ist doch, dass man sich bei jedem Schritt verbietet, bei
B anzukommen. Dann sollte man sich über das Ergebnis auch nicht wundern. Endlose
Teilungsmöglichkeit bedeutet nicht unendlich viele notwendige Schritte. In einem Schritt,
zwei oder drei oder jeder bestimmten Anzahl von Schritten wäre es ja kein Problem.“
Aber das heißt ja nur: es gibt andere Beschreibungsformen, die NICHT zu einem Paradox
führen, sondern das Phänomen erwartbar commonsense-konform beschreiben.
Aber Zenon stellt die Frage: was ist denn bitte an meiner Beschreibungsform falsch? Denn
man KANN Bewegung doch widerspruchsfrei so beschreiben: um eine Strecke s zu bewältigen,
muß erst die Hälfte der Strecke bewältigt sein. Um die Hälfte der Strecke zu bewältigen…
usw.
JL
Von: Claus Zimmermann über PhilWeb <philweb(a)lists.philo.at>
Gesendet: Freitag, 12. Juli 2024 00:12
An: philweb <philweb(a)lists.philo.at>
Cc: Claus Zimmermann <mail(a)clauszimmermann.de>
Betreff: [PhilWeb] Re: Der Tod der Wahrheit (hjn)
Am 11. Juli 2024 22:44:57 MESZ schrieb "Landkammer, Joachim über PhilWeb"
<philweb@lists.philo.at<mailto:philweb@lists.philo.at>>:
Lieber Claus,
wieso willst du die Einschränkung machen „nur im Sinn von ‚sprachlich verboten‘“? Ich
hätte gesagt: wenn das „Tauziehen“ eines von gleich starken Motiven ist, zwischen denen
auf rationale Weise entschieden werden muß (und Rationalität kommt ja gerade dann ins
Spiel, wenn es keine emotionalen Neigungspräferenzen gibt: der Esel ist ja nie
schlauer/logischer/intelligenter als genau dann, wenn er sich ganz präzise überlegt,
welchen Heuhaufen von den beiden identischen er jetzt fressen soll!), dann folgt zwingend
Indezision, Unbeweglichkeit, Stillstand. Oder mit dem Saugroboter: solange das eine
kybernetisch „triviale Maschine“ ist (wie mein billiges Ding), bleibt sie stecken. Und
logische Schlüsse SIND „trivial“, weil sie ungeschichtlich sind, also: nicht lernen (nicht
auf „Fluktuationen“ regieren, mit Ingo).
Man kann in Kenntnis der Motivlage eines Menschen zwar oft mit an Sicherheit grenzender
aber eben nur daran grenzender Wahrscheinlichkeit vermuten, was er tun wird, aber woher
soll man es ohne prophetische Fähigkeiten wissen? Die Handlung ist nicht schon in den
Umständen enthalten, so wie der Schluss in den Voraussetzungen und Umformungsregeln.
Oder?
Nun könnte man aber auf die Idee kommen, dass man doch immer und prinzipiell ausnahmslos
dem stärksten Motiv folgt, wenn man als stärkstes Motiv dasjenige bezeichnet, dem man
gefolgt ist. Aber wäre das nicht nur ein missverstandener analytischer Satz, eine
Worterläuterung im Ton einer Tatsachenfeststellung? Die Handlung zeigt, wie die Motive
priorisiert wurden. Das klingt doch schon nicht mehr so, als ob man von ihnen wehrlos über
den Tisch gezogen würde. Oder mit gleicher Kraft in entgegengesetzte Richtungen, so dass
die Kräfte sich in ihrem Objekt neutralisieren.
Aber es könnte Fälle geben, in denen man nicht weiss, was man will.
Außerdem aber: ich glaube nicht, daß man das
Zenon-Paradox dadurch aus der Welt kriegt, daß man sagt, die Strecke darf nicht halbiert
werden.
Der Witz scheint mir doch zu sein: ich kann folgende „wahren“ Sätze formulieren:
1) Bevor der Pfeil von Punkt A nach Punkt B kommt, muß er die Hälfte der Strecke
überwinden.
2) Wenn er die Hälfte der Strecke überwunden hat, fehlt ihm noch eine Hälfte. Er ist also
noch nicht am Ziel angekommen.
3) Bevor der die Hälfte der Strecke zurückgelegt hat, muß er das Viertel der Strecke
überwinden.
4) Wenn er das Vierteil überwunden hat, fehlt ihm noch ein Viertel zur Hälfte. Er ist also
noch nicht bei der Hälfte angekommen.
usw. usw. in Zweierpotenzen…
Also: er bewegt sich gar nicht.
Die Frage ist: in welchem Satz/Ausdruck/Beschreibungsmodus steckt der Fehler?
Der Haken an dieser Methode ist doch, dass man sich bei jedem Schritt verbietet, bei B
anzukommen. Dann sollte man sich über das Ergebnis auch nicht wundern. Endlose
Teilungsmöglichkeit bedeutet nicht unendlich viele notwendige Schritte. In einem Schritt,
zwei oder drei oder jeder bestimmten Anzahl von Schritten wäre es ja kein Problem.
(Und ich hatte tatsächlich ernsthaft gefragt, wie wir zu Buridan gekommen waren, weil ich
es nicht mehr wußte. Hier wird doch nichts „bis ins Grab nachgetragen“, warum so
aggressiv?)
Also hörmal, habe ich vielleicht ernsthaft angenommen, dass du mir Verunglimpfung
unterstellen würdest?
Ciao
Joachim
Von: Claus Zimmermann über PhilWeb
<philweb@lists.philo.at<mailto:philweb@lists.philo.at>>
Gesendet: Donnerstag, 11. Juli 2024 21:12
An: philweb <philweb@lists.philo.at<mailto:philweb@lists.philo.at>>
Cc: Claus Zimmermann
<mail@clauszimmermann.de<mailto:mail@clauszimmermann.de>>
Betreff: [PhilWeb] Re: Der Tod der Wahrheit (hjn)
Stimmt schon, die näherliegende Analogie zu Buridans Esel ist wohl die zu einem inneren
Tauziehen, bei dem es zu einem Gleichgewicht der Kräfte kommt. Ich hatte das Verhältnis
von logischer Voraussetzung und Schluss ins Spiel gebracht, weil sich der Schluss bei
korrekter Anwendung der Regeln wirklich zwingend aus der Voraussetzung ergibt oder besser
gesagt schon in ihr enthalten ist. Was bri einem Tauziehen herauskommt, kann man dagegen
nicht vorher wissen. Das eine ist ergebnisoffen und tatsächlich empirisch, das andere
nicht.
Aber wie gesagt haben Motive natürlich etwas mit unseren Handlungen, zu tun, sonst wären
sie ja keine. Dass eine konkrete physikalische Ursache etwas mit einer bestimmten Wirkung
zu tun hat, kann man ihr dagegen nicht ansehen, sondern erkennt es durch Beobachtung am
regelmässigen Aufeinanderfolgen (z.B. bei klinischen Studien der Wirksamkeit und
Unschädlichkeit von Medikamenten) - regelmässig aber nicht im Sinn einer Vorschrift wie in
der Logik.
Widerstreitende Motive kann man unter diesen Vorbehalten mit einem inneren Tauziehen
vergleichen. Wie beurteilt man dann, welches Motiv das stärkste war?
Nach Grösse und Entfernung der Heuhaufen? Dann ist es sehr wohl eine empirische Frage, wie
sich der Esel verhalten wird.
Oder danach, was er tut? So drücken wir uns tatsächlich aus: das ausschlaggebende Motiv
nennen wir das stärkste. Bei Buridans Esel wäre es die Selbsterhaltung. Und wenn jemand,
zwischen zwei Motiven hin- und hergerissen, gar nichts tut (was man sich in einem weniger
konstruierten Beispiel vorstellen könnte, wenn er sich damit nicht selbst gefährden
würde), würden wir von gleich starken Motiven reden. Dann wäre es allerdings
ausgeschlossen, wenn auch nur im Sinn von "sprachlich verboten", dass er sich
bei gleich starken widerstreitenden Motiven bewegen würde.
Immerhin können wir uns im Gegensatz zu einem blossen Naturgeschehen etwas vornehmen und
uns in Grenzen selbst steuern.
Wie waren wir darauf gekommen? Du hattest beanstandet, dass IT Glauben auf eine
Veranlagung zurückgeführt hatte und das für eine Erklärung hielt.
Ich hatte mich doch schon dafür entschuldigt, auf den Beitrag nur teilweise eingegangen zu
sein, weiss aber natürlich, dass einem sowas hier bis ins Grab nachgetragen wird.
Zu Zenos Paradoxon hatte jemand, ich glaube der Kollege RF, mal geschrieben:
Das Paradox ergibt sich im Wesentlichen aus der
Teilbarkeit einer
Strecke. Wenn der Pfeil die hälfte der Strecke zurückgelegt hat, dann
hat er die andere Hälfte noch vor sich. Wenn er aber die Hälfte dieser
Strecke zurücklegt, dann bleibt ihn wieder eine Hälfte und so weiter.
Weil man immer kleiner teilen kann, so die Idee, kann er sein Ziel
eigentlich niemals erreichen.
Ich hatte mir später dazu notiert:
Wenn man die zweite Hälfte immer nur halbiert, statt sie komplett zurückzulegen - wie soll
man denn da jemals ankommen?
Ich kann darin nichts paradoxes finden. Das Gegenteil wäre es.
Claus
Am 11. Juli 2024 09:04:44 MESZ schrieb "Landkammer, Joachim über PhilWeb"
<philweb@lists.philo.at<mailto:philweb@lists.philo.at>>:
Zu Buridans Esel vielleicht noch: ich hab den Status dieses Gedankenexperiments immer
analog zu Zenons Paradoxien verstanden. Natürlich wird der gute alte common sense immer
sagen: Achilles überholt die Schildkröte sofort, aber wenn man fragt warum, wie muß ich
das begrifflich beschreiben, was ist genau falsch an den Begriffen, mit denen ich
„beweisen“ kann, daß er sie nie überholt, das ist dann ja vielleicht doch eine
(philosophische) Herausforderung. Beim Esel wird man sich dann eben vorstellen müssen, daß
er tatsächlich ganz genau in der Mitte zwischen zwei exakt identischen „Attraktoren“ steht
(es gibt doch bestimmte physikalisch Gegenstände, die man gleichermaßen in einem gut
austarierten magnetischen Kraftfeld „schweben“ lassen kann, oder?), und dann wird man in
der Tat sagen müssen: wenn es wirklich keinerlei Veranlassung für eine Präferenz gibt
(bzw. wenn jede etwaige Präferenz sofort annulliert wird durch die identisch-konträre
Gegen-Präferenz), dann verhungert der Esel. Er ist zur absoluten Stasis verdammt, er weiß
nicht, was er tun soll, also kann er auch nichts tun, und wird nichts tun.
Das hat mit experimenteller Überprüfung und Empirie nichts zu tun, weil natürlich ein
solcher absoluter Gleichgewichtszustand nicht herzustellen ist (der ist nur „denkbar“),
und weil natürlich gerade der Schluß schon wegen der Energie-Entropie nicht stimmt: ein
„verhungernder“ Esel wird per Eigengewicht aus dem Balance-Zustand fallen, d.h. er wird
dadurch einem der beiden Heuhaufen näher kommen als dem anderen, und sofort wieder
„wissen“, was (und daß) er fressen muß… Aber im perfekten Gleichgewichtszustand ist er
„gelähmt“.
Und vielleicht ist das ein Sinnbild für alle „Entscheidungen“: die fallen nie durch
genaues Abwägen zwischen wirklich exakt austarierten, identisch und balanciert zu
wertenden Alternativen, sondern sie „fallen“ eben, weil man IN sie „fällt“, nur durch
Übermüdung, Energieverlust, Zufall. Das stabile Magnetfeld des Ja/Nein-Gleichgewichts läßt
uns plötzlich irgendwann los und wir taumeln halt in eine der beiden Richtungen (und sagen
dann großmäulig, wir „hätten entschieden“…).
Aber wofür war das jetzt nochmal ein Argument?
J. Landkammer
Von: Claus Zimmermann über PhilWeb
<philweb@lists.philo.at<mailto:philweb@lists.philo.at>>
Gesendet: Mittwoch, 10. Juli 2024 03:32
An: philweb <philweb@lists.philo.at<mailto:philweb@lists.philo.at>>
Cc: Claus Zimmermann
<mail@clauszimmermann.de<mailto:mail@clauszimmermann.de>>
Betreff: [PhilWeb] Re: Der Tod der Wahrheit (hjn)
Am 9. Juli 2024 18:17:26 MESZ schrieb "Landkammer, Joachim über PhilWeb"
<philweb@lists.philo.at<mailto:philweb@lists.philo.at>>:
Lieber Herr Tessmann,
darf ich zunächst mal rein „philologisch“ etwas pingelig sein/werden? Irgendwas stimmt mit
dem englischen Zitat nicht, der Satz, der mit „To distinguish“ beginnt, funktioniert
grammatikalisch doch nicht ganz, oder? Ich hab das bißchen recherchiert, finde aber bis
jetzt nur, daß der Text offenbar aus Justin L. Barretts Aufsatz „Exploring Religion`s
Basement: The Cognitive Sciene of Religion“ stammt, den man (u.a.?) im „Handbook of the
Psychology of Religion and Spirituality“, und zwar leider in dessen ZWEITER Auflage (ich
finde nur die erste von 2006, in der der Aufsatz nicht drin ist) von 2013. Dort aber (und
ich habe nur eine blöde Google-Books-Vorschau) geht dieser Satz aber etwas anders weiter,
v.a.: Barrett nennt dort seine HADD-Benennung selbst „clumsy“ (plump, unbeholfen,
ungeschickt, tollpatschig), was ja diese Experten-Fachsprachen-Aura, mit der Sie diese
Kategorien hier präsentieren, etwas relativieren dürfte.
Mich würde jedenfalls zunächst der Originaltext in vollständiger und richtiger Gestalt von
Barrett interessieren, haben Sie da ein pdf oder was frei Herunterladbares für mich? Davon
unabhängig (und vielleicht daher etwas voreilig) würde ich allerdings vermuten, daß
Religionspsychologie uns hier (wie bei anderen genuin „philosophischen“ Problemen, Sie
kennen die Geschichte des philosophischen Psychologie-Bashings spätestens seit Husserl)
kaum weiterhilft, weil sie ja immer dazu tendiert, zu jeder menschlichen Handlungs- und
Verhaltensweise flugs ein entsprechendes Syndrom, eine Tendenz, eine
menschlich/allzumenschliche Neigung auszumachen, und damit die Sache für „erklärt“ zu
erklären: für die Liebe gibt’s die Libido, für den Haß den Todestrieb, für Diebstahl und
Neid das Besitzsyndrom, für das Niesen den Niesreiz, für jede optische Täuschung die
entsprechenden „Eigen“-Aktivitäten des Auges, das sich zurecht“sieht“, was gar nicht da
ist. Und jetzt eben auch eine „Agency Detection Device“ für die Annahme übernatürlicher
Einwirkungen. Alles sehr schön – nur: so what? Welchen Status haben solche Erklärungen?
Was „erklären“ sie wirklich? Haben sie nicht genau zuallererst die pseudo-epistemologische
Funktion, die Sie am Ende selbst andeuten, wenn Sie rhetorisch fragen: „können wir es
nicht dabei belassen“? Genau darum scheint es tatsächlich zu gehen: wir haben ein „Device“
identifiziert, hervorragend, fertig, dabei „belassen“ wir es jetzt. Psychologismen sind
eben, hier wie anderswo, nichts anders als pseudo-erklärende Stop-Argumente,
reduktionistische Schubladen-Verschließ-Einfälle: rein damit mit der Frage, und zumachen.
Nächstes Problem her, nächstes Paper für die „Psychological Experimental Research Review“
fertigmachen…
Zum Nutzen und den Grenzen psychologischer Handlungserklärungen fällt mir folgendes ein:
Natürlich kann man die Handlungen eines Menschen nicht verstehen, ohne seine Situation zu
kennen. Soweit es sich um seine seelische Verfassung handelt (Wünsche, Vorlieben,
Abneigungen etc.) ist die Psychologie zuständig und kann durchaus einen Beitrag zum
Verständnis der Handlungen leisten.
Aber bedeutet das, dass wir die Handlung kennen, wenn wir die seelische Verfassung kennen
(und die äussere Situation auch), weil erstere in letzterem schon enthalten ist?
Nehmen wir Buridans Esel: zwei genau gleiche Heuhaufen in genau gleicher Entfernung und
das arme Tier muss verhungern, so die theoretische Annahme.
Das könnte man ja im Experiment überprüfen und ich würde wetten, dass kein Esel in dieser
Situation verhungern und kein Mensch in ihr je verdursten würde.
Der Grund der Annahme ist meiner Meinung nach die Verwechslung psychologischer Motive mit
logischen Voraussetzungen. Der Schluss ist mit den Voraussetzungen und Umformungsregeln ja
tatsächlich gegeben und es gibt keine Ausnahmen, sondern nur Fehler.
Jetzt habe ich mich nur mit einem Aspekt des Beitrags beschäftigt und war damit schon
ausgelastet.
mit besten Grüssen an den verlorenen PhilWeb-Sohn (ein bisschen Bibelanspielung passt ja
zum Thema)
Claus
Wenn der feine Herr gesiezt werden will, machen wir das auch.
Die armen Philosophen aber, die keine solchen
Schubladen (und keine solchen Paper-verschlingende Fachzeitschriften) haben und die es mit
ihrer verbohrten Sturheit eben „dabei nicht belassen“ wollen, bestehen bockig darauf, daß
mit all diesen angeblichen, experimentalpsychologisch so wunderbar „aufgedeckten“ und
„nachgewiesenen“ menschlichen Wahrnehmungs/Denk/Spekulier-Leistungen ja die Frage nach
deren WAHRHEIT nicht „geklärt“ ist, die Frage nach dem „Wesen“ von (etwa) Liebe, Haß, Tod,
Besitz, Wirklichkeit und „Mehr-als-Wirklichkeit“. Mit dem Versuch eines (ebenfalls very
clumsy) Gleichnisses: natürlich „tendieren“ wir dazu, uns Bilder zu machen, auch dort, wo
es gar keine gibt, also z.B. sah man einstmals ein erkennbares Gesicht auf dem Mond. Man
konnte von einem Mann im Mond reden, weil man ihn „sah“. Und da konnten die Psychologen
nun lange darüber reden, daß das nur eine allzumenschliche anthropomorphe Einbildung ist,
tatsächlich nicht mehr daran geglaubt hat man trotzdem erst, als man eben hingefahren ist
und gesehen hat: da ist ja tatsächlich niemand, nur Krater und Geröll. Erst dann, erst mit
diesem (negativen) Faktizitäts-Beweis, wird die Illusion wirklich dementiert, völlig
unabhängig davon, wie wissenschaftlich-exakt man ihr Zustandekommen erklärt hat. Und beim
Gottesglauben steht eben diese endgültige Widerlegung noch aus: wir haben eben noch nicht
„überall nachgesehen“ (und können das vielleicht ja auch nicht), darum wird dieser Glaube
von all diesen psychologischen Erklärungen seiner Existenz überhaupt nicht tangiert. Es
geht um die Existenz Gottes, nicht die des Gottesglaubens.
Aber wie gesagt: gern les ich mir auch erst mal diesen Religionspsychologen-Aufsatz
durch…
J. Landkammer
Von: Ingo Tessmann über PhilWeb
<philweb@lists.philo.at<mailto:philweb@lists.philo.at>>
Gesendet: Dienstag, 9. Juli 2024 10:10
An: philweb <philweb@lists.philo.at<mailto:philweb@lists.philo.at>>
Cc: Ingo Tessmann <tessmann@tu-harburg.de<mailto:tessmann@tu-harburg.de>>
Betreff: [PhilWeb] Re: Der Tod der Wahrheit (hjn)
Moin Joachim,
gegen das „Wunderargument“ in der quantitativen Experimentalwissenschaft spricht der meth.
Konstr., in dem die Formalismen und Experimente als mathematische bzw. technische
Transformationen auf das menschliche Maß verstanden werden. Indem bspw. physikalische
Theorien hinreichend invariant formuliert werden, gelten sie in weiten Skalenbereichen
(Eichinvarianzen) und Bezugssystemen (relativistischen Invarianzen), auch hier gegenwärtig
auf der Erde im Labor.
Der Wunderglaube mag Jahrtausende alt sein, verstanden aber wurde er erst im Zuge von
Evolutionstheorie und Kognitionsforschung als "Hypersensitive Agency Detection
Device" (HADD), auf die ich am 21.5.24 hinwies: "The special cultural
elaborations that we call ‘religion’ are the upshot of an ordinary, pan-human
information-processing tendency that can be seen in many different domains of cultural
expression. To distinguish this tendency to find intentional agency around us from other
treatments of ‘anthropomorphism’ and to remain neutral with regard to whether the bias is
best characterized as a tendency to pick out human-like agency or intentional agency
generally, Barrett dubbed the cognitive system responsible for detection intentional
agency the Hypersensitive Agency Detection Device.“
Dabei unterläuft die Selbststabilisierung zwischen HADD und IREM (Interactive Religious
Experience Model) die logische Zirkularität; denn "instead of saying that
agency-intuitions are major causes of religious belief in general, IREM says that general
belief in supernatural agents causes people to seek situations that trigger
agency-intuitions and other experiences.“
Im SciLog
https://scilogs.spektrum.de/die-sankore-schriften/hyperactive-agency-detect…
wird eine Abstufung der Religiosität damgemäß als Merkmals-Ausprägung gesehen:
„Religiosität ist für mich nur eine Ausprägung des Merkmals Hyperactive Agency Detection
Device (HADD). Genauso wenig wie “klein” ein Merkmal, sondern nur eine Ausprägung des
kontinuierlichen physischen Merkmals Körpergröße ist.
stark ausgeprägtes HADD: Religiosität
mittel ausgeprägtes HADD: Agnostizismus
schwach ausgeprägtes HADD: Atheismus“
Warum es dabei nicht einfach belassen?
IT
Am 09.07.2024 um 08:39 schrieb Landkammer, Joachim über PhilWeb
<philweb@lists.philo.at<mailto:philweb@lists.philo.at>>:
Habe jetzt wiedermal die letzten Posts hier mitgelesen (nicht ohne ein gewisses
Deja-vu-„feeling“: echt jetzt, nach so vielen Jahren ist die Liste hier immer noch am
Streiten über Religion? oder nur: wieder mal?), vielleicht kurz von meiner Seite - out of
the blue - Folgendes, was mir dazu spontan einfällt:
Das Kürzel „wh“ steht ja auch für „Wiederholung“, und man wird dem Kollegen Waldemar
Hammel ja kein allzu großes Unrecht tun (außer dem Spiel mit seinem Namenskürzel:
pardon!), wenn man darauf hinweist, daß seine Religionskritik keinen großen Anspruch auf
Originalität, Neuheit, Überraschung machen kann/will; nicht zufällig geht es ja auch immer
noch um Voltaire… Vielleicht wird aber gerade aus der Wiederholbarkeit UND
augenscheinlichen Hilflosigkeit/Irrelevanz/Wirkungslosigkeit dieser jahrhundertealten
Argumente selbst ein Argument: daß nämlich diese Argumente an glaubensfesten Personen so
(fast) folgenlos abprallen, IST doch selbst vielleicht zumindest ein Indiz, ein
Plausibilitätsbeweis, daß da am Glauben etwas „dran“ ist, das man nicht einfach
weg-pathologisieren kann (wie das natürlich Religionskritiker gerade deswegen, als letzte
ad-hominem-Strategie dann gern tun). Es gibt ja in der Wissenschaftstheorie das von
„Realisten“ verwendete sog. „Wunderargument“: gegen eine nur nominalistische und
konstruktivistische Konzeption von (physikalischen) Modellen wird eingewandt (wenn ich das
richtig verstehe), daß es ja, wenn alles nur ausgedachte Konstruktion ist, dann nur „ein
Wunder“ wäre, wenn alles das, was man mit diesen Modellen de facto machen kann (Prognosen,
Anwendungen, Technik) so schön funktioniert, wie es eben tatsächlich funktioniert. Dieses
„Wunderargument“ könnte man jetzt umdrehen und genauso FÜR die Religion in Anspruch
nehmen: es würde ja, so könnte man sagen, nichts als ein Wunder sein, wenn angesichts und
trotz dieser nachhaltigen, seit Jahrhunderten sich über die Religion von allen möglichen
Seiten (Wissenschaft, Ideologie, Kunst, Moral) ergießenden Kritik und Distanzierung ihre
relativ unbekümmerte Persistenz, Kontinuität und Widerstandskraft, ihr „Durchhalten“ (das
ja auch massenhafte Kirchenaustritte offenbar fast problemlos überlebt) nicht auf einem
„da ist doch etwas“, eben einem tatsächlichen faktischen „Sein“ beruhen würde, wie KJ
sagt. Gerade wer also an Wunder nicht „glauben“ will, müßte doch dann zugestehen, daß der
Glaube auf einem unbezweifelbaren, durch irgendwelche (wie gesagt: seit Jahrhunderten
wiedergekäuten) „Argumente“ unanfechtbaren Fundament beruht. Daß das etwas mit
Zirkularitäten und Paradoxien zu tun hat, wie jetzt JH vermutet, würde das nur bestärken:
denn Zirkularitäten gibt es ja nicht deswegen, weil sie so leicht zu widerlegen sind (etwa
dadurch, daß man darauf deutet und sagt: „das ist aber jetzt zirkulär“), sondern weil sie
es eben NICHT sind. Sie sind eben „Gewißheiten“, die nicht trotz, sondern gerade wegen
ihrer mit logischen Mitteln (und „Aufklärung“) nicht belangbaren Elemente perennieren.
Seit mehr als zwei Jahrtausenden.
J. Landkammer