Wenn es um Aufklärung „zersetzende Analytiker“ gehen
soll, dann betreiben ja
m.E. Horkheimer-Adorno geradewegs pure Analytik und Zerlegung, eben in Art
psychoanalytisch-soziologisch ausgerichteter Kritik an der Aufklärung bzw.
deren Folgen.
Ich versuche das Missverständnis mal auszuräumen:
1. Analyse bedeutet ja letztlich "Auflösung", was ich hier, leicht
polemisch, mit Zersetzung angegeben habe.
2. Für den "amoralischen Aufklärer" oder den "deskriptiven
Analytiker"
sieht es so aus:
Er sieht ein moralisches Gebot, z. B. "du sollst nicht stehlen" und
erkennt, dass sich viele Menschen daran gebunden fühlen und
es als notwendig angesehen wird.
Darauf klärt der Analytiker, warum man so ein Gebot in unserer
Gesellschaft aufgestellt hat
und auch, warum sich die Individuen daran gebunden fühlen.
Klassisches Beispiel ist die "Über-Ich"-These der Psychanalyse. Die P.
erklärt die Moral mit gewissen Sozialisationserfahrungen. Insbesondere
der Vater spielt bei der Herausbildung des "Über-Ich"s eine große
Rolle. Die Psychoanalyse kann also ganz gut erklären, wieso sich ein
Mensch an gewisse moralische Gebote gebunden fühlt. Doch die P. kann
eben erklären, welche moralischen Gebote richtig sind. Ist nicht
Gegenstand der Theorie.
Wenn jetzt ein Ethiker darauf besteht, dass gewisse Gebote an sich
doch richtig sind und andere nicht, dann wird der P. einfach mit den
Achseln
zucken und erklären, wieso der Ethiker von der universellen Gültigkeit
überzeugt ist.
Ein Kriterium, ein gutes von einem bösen Über-Ich zu unterscheiden
kann nicht aus der P. hergeleitet werden. Ein P. kann höchstens den
Widerspruch zwischen
seinen Über-Ich und dem eines andere Individuums feststellen oder
urteilen, dass das Überich der jeweiligen Person dieser selbst
schadet.
(Das trifft übrigens im grunde auch für Adler und Reich zu, soweit ich
gelesen habe.)
Der Analytiker zersetzt die Moral also in einzelne Bestandteile -
Sozialisation des Individuums, Herausbildung des Privateigentums
evoltuionäre Stammesgeschichte und die Wechselwirkugn davon - , doch
keines dieser Elemente
in die die Moral aufgelöst wird, ist an sich wiederum normativ.
Ein Ethiker, z. B. Kant, verfolgt ja ein ganz anderes Programm.
Der versucht aus dem kategorischen Imperativ eine Moral abzuleiten,
die dann wiederum allgemeingültig und vernünftig wäre.
Diese Theorie ist deshalb NORMATIV.
Das Unheil der Aufklärung liegt nach H-A in einer auf
Beherrschung und
Unterwerfung der Natur ausgerichteten instrumentalisierten Vernunft.
Ich anerkenne ja, dass die instrumentelle Vernunft einige ernsthafte
Probleme auf moralischen Sektor hat.
Dennoch ergibt sich die Frage: Was ist die alternative zur
instrumentellen Vernunft? Wollen wir der Vernunft selbst wieder
abschwören oder normative Sätze aus der Vernunft ableiten? Letzteres
scheint mir dann die Herausforderung zu sein.
Das würde bedeuten, dass es "Postulate der reinen Vernunft" geben muss.
Ich bleibe dabei: Emanzipation der Menschheit
scheitert dort an der
Dialektik des Fortschritts unserer aufgeklärten Moderne, wo die daran
geknüpfte Repression ihres ethischen Anspruchs das Verhältnis von
instrumentalisierter Gesellschaft und individueller Freiheit bestimmt;
Repression eben durch fragwürdige Gesinnungsethik meist in Ausprägung von
Scheinmoral oder aggressiver Einforderung realitätsfremder Sozialutopien.
Im Umkehrschluss würde dann die Emanzipation nicht scheitern, wenn das
Verhältnis nicht auf diese Weise bestimmt wird?
Erstaunlich und befremdlich, wie ausgerechnet sich
einst
ökologischer Verantwortung verschrieben habende politische
Gruppierungen nur noch mit gesellschaftspolitischen Themen provozieren.
Dieser Aussage kann ich mich nicht anschließen. Dieselverbot und
"Veggy Day" lassen diese Schlussfolgerung meines Erachtens nicht zu.
Eher wird die Umweltpolitik zum Teil verwendet, um eben das
Selbststimmungsrecht des Individuums einzuschränken.
(Bevor das wieder kommt: Ja, nicht jede Einschränkung der persönlichen
Freiheit ist illegitim, aber man muss zunächst feststellen, dass hier
eine Einschränkung vorliegt. Ein vielleicht schmerzlicher Verzicht.)
Meines Erachtens führen Ansätze zur Lösung
gesellschaftspolitischer,
weltwirtschaftlicher und sonstiger globaler Problematiken eher über
verantwortungsethisch angelegte Wertvorstellungen, dabei jedoch beachtend,
nicht in die Fallen eines Konsequentialismus zu geraten.
Kannst du das bitte näher erklären?
Ich verstehe unter "Konsequentionalismus" eine Ethik, die eine
Handlung anhand ihrer Konsequenzen beurteilt.
Darunter fallen dann so unterschiedliche Ansätze wie "der Zweck
heiligt die Mittel" - es ist nur die Frage, in wie weit der Zweck
durch die Mittel erreicht wird - bis hin zum modernen
Präferenzen-Utilitarismus.
Andere Alternativen wären dann z. B. eine Motivationsethik ("Handel
stehts nach derjenigen Maxime von der du gleichsam wollen kannst, dass
sie zur Grundlage einer allgemeinen Gesetzgebung werde" - Herrliches
Beispiel für Abstraktion, übrigens), eine Mitgefühlsethik, eine
Tugendethik oder eben eine Deontologie.