Am 05.04.2025 um 19:08 schrieb ingo_mack über PhilWeb
<philweb(a)lists.philo.at>at>:
ich halte es für Verschwendung in ganz großem, noh nie dagewesenen Stil, 1 Billion Euro
zukünftiger Steuereinnahmen inerhalb der nächsten 5-10 Jahre aus dem Fenster zu werfen.
für 600 Milliarden Euro zur Militarisierung mit CO2 produzierenden Waffen und
Waffengattungen jeglicher Art zum Beispiel; also dies nur zu dem Vorwurf, dass ich
Verschwendung für sinnvoll halte. du meinst vermutlich die Nutzung von
kohlenwasserstoff-trägern zum Heizen, Mobilität und Kunststoffproduktion?
Hi IM,
nein, ich meinte es grundsätzlich, so wie ich es damals schon bei den Hippies
kennengelernt hatte, die den Konsumverzicht propagierten. Eine Theorie zur Verbindung von
System und Lebenswelt lieferte Habermas 1981 mit seiner Theorie kommunikativen Handelns:
Unter dem funktionalen Aspekt der Verständigung dient kommunikatives Handeln der
kulturellen Reproduktion, unter dem Aspekt der Handlungskoordinierung der sozialen
Integration, unter dem Aspekt der Sozialisation dient es der Persönlichkeitsbildung.
Diesen Prozessen entsprechen als die strukturellen Komponenten der Lebenswelt Kultur,
Gesellschaft, Person. Gesellschaften stellen nach Habermas „systemisch stabilisierte
Handlungszusammenhänge sozial integrierter Gruppen" dar. Die „systemische
Stabilisierung" vermitteln die Steuerungsmedien. Die „soziale Integration"
erfolgt durch verständigungsorientierte Kommunikation.
Die durch Macht und Geld regulierten Systeme des Staates und der Wirtschaft verschränken
sich in den Handlungszusammenhängen der Lebenswelten. Habermas spricht in diesem
Zusammenhang von einer „Mediatisierung" der Lebenswelt. Die Umschaltung zwischen
System und Lebenswelt nennt er „Realabstraktion. Die Reproduktion der symbolischen
Strukturen der Lebenswelt" hat natürlich „die Erhaltung ihres materiellen
Substrats" zur Voraussetzung. Es verwundert daher, wie wenig Beachtung Habermas neben
Wirtschaft und Staat der durch Energie regulierten Technik schenkt. Heutzutage zeigt sich
paradigmatisch im Smartphone die Verschränkung von System und Lebenswelt.
Seit den 1950er Jahren sind wir aus einer Nachkriegszeit heraus sozial in ein
kapitalistisches System integriert worden, in dem interessengeleitet bis heute in einer
neuen Vorkriegszeit auf Verschwendung gesetzt wird: Rohstoffabbau ohne Recycling,
Individualverkehr statt ÖPNV, LKW- statt Bahntransport, Fleischernährung statt
Vegetarismus, Nachfrageerzeugung statt Sebstgenügsamkeit. Was von den unzähligen
Konsumgütern wird wirklich gebraucht? Militärisch-industrieller Komplex und Fossiles
Imperium sind natürlich innig verwoben.
Ziel des hybriden Kriegs Russlands ist Europa bereits seit den 2010er Jahren. Eine
Appeasement-Politik gegen Putin halte ich für ebenso sinnlos wie seinerzeit gegen Hitler.
Wäre die Ukraine von Anfang an massiv unterstützt worden, hätte der Krieg schnell beendet
werden können. Jetzt aber wird es teuer, der russischen Expansion Einhalt zu gebieten,
zumal die USA auf angemessene Beiträge zur NATO bestehen. Die weltweite Klimakrise hätte
eine Frieden stiftende Geopolitik zur Folge haben können, wenn dem nicht die
nationalistischen Machtinteressen entgegenstünden. So aber werden die Kriegstreiber die
Weltlage weiter verschlechtern. Und dem gegenüber ist es natürlich fast egal, was Einzelne
oder kleine Länder zur Krisenbewältigung beitragen. Wie die Entwicklung weiter gehen
könnte, hat Aiki Mira in zwei lesenswerten SciFi-Romanen auszugestalten versucht: Neongrau
und Neurobiest.
hast du dir die 50 Minuten von Ganteför angesehen?
hast du echte Argumente GEGEN seine Erläuterungen? und: was spielt das für eine Rolle, ob
du meinst, ich halte Verschwendung für sinnvoll?
Wenn Ganteför seine Vorträge auch in Skripten veröffentlichte, wie ich es aus dem
Uni-Betrieb kenne, dann läse ich sie auch. Warum wählt er nur Youtube als Medium und nicht
auch einen preprint-Server oder seine Homepage? Dann könnten seine Thesen detailliert
diskutiert werden. Der gelinkte Vortrag beginnt noch neutral mit der Gegenüberstellung von
Budget- und Senkenmodell. Aber schon wird es propagandistisch, soll doch das Budgetmodell
zu Verarmung, Deindustrialisierung und Wehrlosigkeit führen. Zudem werden Deutschland und
Kalifornien als an Macht und Geld orientierte Klimaorthodoxe bezeichnet. Das gilt
allerdings für fast alle Unternehmen im Kapitalismus. Aber wieviel Macht und Geld hat das
fossile Imperium im Vergleich mit Nachhaltigkeitsförderern? Und auf welche Quellen bezieht
sich Ganteför beim Budgetmodell? Dass ziviltechnisch kein CO2 mehr produziert werden soll,
heißt ja nicht, dass es militärtechnisch genauso sein muss. Eine verstärkte
Nachhaltigkeitsorientierung auf dem Weg in die Kreislaufwirtschaft müsste keine
Deindustrialisierung zur Folge haben. Über die Berücksichtigung der Ozeansenke hatten wir
uns schon ausgetauscht. Und warum sollten Budget- und Senkenziele nicht gemeinsam verfolgt
werden können?
Hier die Quelle des SRU zum Budget: Wo stehen wir beim CO2-Budget? Eine Aktualisierung.
STELLUNGNAHME. Korrigierte Fassung Oktober 2024
https://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/04_Stellungnahmen/2020_202…
<https://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/04_Stellungnahmen/2020_2024/2024_03_CO2_Budget.pdf>
Darin ist zu lesen: "Der SRU schließt sich Empfehlungen an (vgl. u. a. zuletzt den
offenen Brief zahlreicher Organisationen und Wissenschaftler:innen an die Europäischen
Kommission und den ESABCC vom 8. Januar 2024, s. ALLESSON et al. 2024), dass bei
Emissionsreduktionszielen regulatorisch drei Kategorien klar zu unterscheiden und mit
jeweils eigenen Zielen zu unterlegen sind: 1) die Reduktion der
Brutto-Treibhausgasemissionen, 2) die Netto-Aufnahme von CO2 durch Landsenken (z. B. durch
Wälder, Moore und landwirtschaftliche Böden) und 3) die zusätzliche permanente Entfernung
von CO2 aus der Atmosphäre durch CDR-Verfahren.“
Unter klimareporter.de <http://klimareporter.de/> wird zusammengefasst: „Die
Verletzung der gesetzlichen Klimapflicht ist derzeit allerdings programmiert. Stand heute
wird Deutschland das Ziel Klimaneutralität 2045 um Längen reißen. Die Debatte um das
Staatsziel erscheint auch angesichts der Größe der zusätzlichen Klimagelder leicht müßig.
Die 100 Milliarden Euro sollen bekanntlich über zwölf Jahre in den Klima- und
Transformationsfonds fließen. Das sind pro Jahr nur etwas mehr als acht Milliarden. Die
würden nicht einmal reichen, um die Stromkosten um etwa fünf Cent pro Kilowattstunde
abzusenken, wie im Sondierungspapier von Union und SPD vereinbart, und so die
Dekarbonisierung der Industrie und – per E‑Auto – des Verkehrs zu fördern. Allein das
kostet laut Berechnungen jährlich zehn bis elf Milliarden Euro – und das über mehrere
Jahre.“
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