Am Di., 8. März 2022 um 21:26 Uhr schrieb Joseph Hipp via Philweb
<philweb(a)lists.philo.at>at>:
Am 08.03.22 um 18:52 schrieb Claus Zimmermann via
Philweb:
Kant finde ich übrigens doch nicht ganz so leicht
zu lesen wie Joseph
Hipp meinte.
Ich gehe eben anders vor, und will nicht einmal lesen, wenn ich von
Anfang an stutzig bin. Aber weil ich anders lese komme ich anders voran,
auch wenn ich nicht schnell ans Ende des Lesens oder Textes komme.
Für mich ist Kant ein Beispiel dafür, wie schwer es ist eine eigene
Schriftsprache zu entwickeln. Wenn ich mir etwa die Prosa Goethes (die
mE zurecht nicht so beliebt ist wie seine Gedichte) oder Jean Paul
Richters anschaue, dann ist Kant nicht alleine.
Aus meiner subjektiven Sicht ist das unverständlich, weil ja
theoretisch jeder jederzeit in einer Sprache, die er beherrscht,
schreiben kann. Doch anscheinend ist es nicht so einfach.
Allerdings gibt es da auch wieder ein hin und zurück.
Dabei begegnet
er uns hier als überraschend lebendiger, kein bisschen
verknöcherter Stilist.
Das wusste auch schon Nietzsche zu kommentieren, als er so ungefähr
schrieb, dass Kant besser seine Tischgespräche aufgeschrieben hätte als
sein trockenes Werk.
Meines Erachtens ist Nietzsche hier auch ein gutes Gegenbeispiel. Es
gibt da Aphorismen von Nietzsche, die eine großartige, sowohl lyrische
als auch "analytische" (psychologische oder philosophische) Qualität
haben. Es gibt aber auch einige Aphorismen, die ich nach längeren
Nachdenken für bloßes "Wortgeklimper" halte.
Jetzt erhebt sich uns die Frage, ob wir lieber einen dynamischen,
frischen Nietzsche oder einen trockenen, abgeklärten Kant haben. Man
beachte ja auch das Lebensalter, in welchen die Hauptwerke verfasst
wurden.
Bei Nietzsche bekommt man da noch jugendlichen Sturm und Drang mit,
Kant scheint (!) diese Zeit mit Gedanken zu Kosmologie, Astronomie und
dergleichen verbracht zu haben. Jedenfalls gemäß seines literarischen
Outputs.
Wobei Nietzsche natürlich mehr in die heutige Zeit passt. Man könnte
sich sein Werk wirklich als eine Sequenz von Twitter-Tweets vorstellen
oder in kurzen TikTok-Videos.
Das ist auch der Punkt, dass das "System Nietzsche", gleichgültig wer
es darstellen will, eigentlich immer eine (re-)konstruktion ist. In
letzter Konsequenz sagt man, "ich kann es besser darstellen als
Nietzsche es selbst konnte". Was nur plausibel wirken kann, wenn man
die biographische Entwicklung seines Dnekens darstellt, nicht so sehr
ein logisch...
Wobei Kant ja auch rumspielt. Z. B. Teilt er die KdrV in "Hauptstücke"
ein oder eben in dieser Friendensschrift, da schließt er einen
Vertrag. Beides jetzt nicht neu.
> Dann wird
> es lustig. Kant erinnert die Zensurbehörde daran, dass er doch nur ein
> lebensfremder Theoretiker und also nicht wie jemand zu behandeln ist,
> der sich in praktische Angelegenheiten, die ihn schliesslich nichts
> angehen, einmischt.
Im Grunde die selbe Behauptung, die ich hier auch aufstellen. Nur,
dass ich da nicht der offiziellen Zensur entkommen will, sondern
vielleicht meinen Gewissen oder was auch immer.
Ja, es belastet mich ein wenig, wie schlecht die Qualität ist.
Vielleicht gehe ich weiter im Lesen des
Gedankenexperiments des Immanuel
Kant, mache mit, und werde mich dann auf weiteren Steinen stoßen.
Hm?