Am 24.10.22 um 01:39 schrieb waldemar_hammel über PhilWeb:
ich wieder was bedeutendes gelernt, diesmal von hannah arendt (kommt
über kant, und bezug: eichmann-prozess):
"NIEMAND HAT DAS RECHT ZU GEHORCHEN !"
und
Am 24.10.22 um 02:09 schrieb Karl Janssen über PhilWeb:
Eine sehr umstrittene, keinesfalls historisch
gesicherte Zuschreibung dieses Zitats an Hannah Arendt! Vielmehr ist von Arendt ihre
Überzeugung bekannt, ein Gesellschaft könne nur dann hinreichend funktionieren, wenn
bestehende Gesetze eingehalten werden. Das Problem dabei, war ihr wohl bekannt: es kommt
auf die Gesetzgebung an; sofern diese nicht dem ethischen Grundwerten entspricht (wie eben
im Dritten Reich), berechtigt das zu zivilem Ungehorsam, also dem Recht auf Ungehorsam.
Ein grundsätzliches Recht auf Ungehorsam? Mach das auch mal Deinen Hunden klar!
Der Kontext Deiner Einlassung passt also nicht, Waldemar. Da solltest Du schon etwas
genauer von Hannah Arendt, der großen Dame der Philosophie (und nebenbei von Heidegger)
lesen.
Ich wollte um Mitteilung des Jahres und Absatzes, in der Hannah Arendt
diesen Satz sagte oder schrieb wissen. Nun suchte ich kurzerhand selbst,
und fand zumindest eine Antwort hier:
https://dpa-factchecking.com/austria/210311-99-778787/
Der Eichmann-Prozess war gemäß Wikipedia zwischen dem 11. April und 15.
Dezember 1961. Hannah Arendt sprach gemäß obigem Link-Inhalt Hannah
Arendt (1906-1975) am 9. November 1964 zur genannten Sache.
Der Satz des Karl:
"Vielmehr ist von Arendt ihre Überzeugung bekannt, eine Gesellschaft
könne nur dann hinreichend funktionieren, wenn bestehende Gesetze
eingehalten werden."
widerspricht zumindest ansatzweise (von mir so gesagt) seinem eigenen
Satz (dem des Karl):
Das Problem dabei, war ihr wohl bekannt: es kommt auf
die
Gesetzgebung an; sofern diese nicht dem ethischen Grundwerten entspricht
(wie eben im Dritten Reich), berechtigt das zu zivilem Ungehorsam, also
dem Recht auf Ungehorsam.
Es muss hier ein wenig genauer gesprochen werden, mit
rechtsphilosophischen Wörtern, Sätzen usw. Die sind nämlich ziemlich
gesichert. Das Phrasem "ethische Grundwerte" greift hier zu kurz. Es
geht statt des "Problems dabei" genau um das Spannungsverhältnis
zwischen positivem Recht und der übergeordneten Gerechtigkeit. Es
besteht hier vermutlich noch Lernbedarf, die Differenzierung ist nicht
bei jedem angekommen und gefestigt. Nur nebenbei bemerkt: Neue Wendungen
wie "Soziale Dissonanz" helfen nicht weiter, um den Sachen auf den Grund
zu gehen. Es sind schon viele Räder erfunden, die erst beachtet werden
können. Siehe zur Differenzierung:
https://de.wikipedia.org/wiki/Positives_Recht
Daraus ergibt sich schon, dass das für die Gegenüberstellung
verschiedene Wörter gebraucht werden und auch privat gebraucht werden
können. Auf der einen Seite mit dem Wörtern "positives, geschriebenes,
usw." auf der anderen Seite "überpositives, Natur.." jeweils mit den
Wörtern Recht oder Gesetz bespickt. Möglicherweise können jeweils noch
weitere Wörter vorkommen, wie Ethik und Moral. Dann entstehen aber
Abhängigkeiten der Sachen, Redundanzen, die insgesamt dem korrekten
Denken entgegen stehen. Karl nahm das Phrasem "ethische Grundsätze".
Aber ich würde mir ihn gerne vor einem Gericht stehen sehen (effektiv
lieber nicht), in dem er sagen würde: "Geehrtes Gericht, das Anwenden
der geschriebenen Gesetze genügt nicht, es müssen auch noch die
ethischen Grundsätze beachtet werden." Das wäre dann zudem der Vortrag
eines Universalarguments. Unabhängig von der Rechtmäßigkeit des Staates.
Viele fühlen sich nämlich ungerecht von Gerichten behandelt.
Es geht also um die Frage, wann das eine vorgetragen werden darf, soll,
wann es mit dem positiven Recht genügt.
Um diese Diskussion ging es mit der "Radbruchschen Formel" die Gustav
Radbruch gemäß Wikipedia 1946 formulierte. Dass die Abgrenzung der zwei
"Rechtsarten" ungenügend formuliert ist, geht schon aus dem
üblicherweise dem dazu gesagten Wort "Spannungsverhältnis" zwischen
beiden hervor. Eine andere Frage in dem Zusammenhang ist, ob nur die
Gesamtheit des positiven Rechts, also alle Gesetze dem überpositiven
Recht gegenüber "schlecht" sein können, müssen, oder ob es genügt, wenn
ein einziges positives Gesetz dem überpositiven Recht gegenüber
"schlecht" ist. (widerspricht, es übergeht usw.)
Vielleicht genügen die Bemerkungen hier dazu, dass der oben angegebene
Erstsatz in diesem Zusammenhang nicht unbedingt diskutiert werden muss.
Mir wäre es zudem lieber, wenn die Sachen losgelöst von den Personen
(Arendt, Radbruch usw.) diskutiert werden würden, obwohl ich diese
keinesfalls übergehen will.
Inwieweit die Radbruchsche Formel im Eichmann-Prozess genutzt wurde, ist
mir nicht bekannt. Den Transkript des Prozesses kann gesucht werden und
im Anschluss kommentiert werden, ich kann dies jetzt nicht.
Ein hier durchaus interessanter Zusammenhang ist mit dem Phrasem
"ziviler Ungehorsam" zu denken,
siehe
https://de.wikipedia.org/wiki/Henry_David_Thoreau#Thoreau_als_Prophet_des_z…
Dort findet sich der Satz "Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den
Staat", als Buchtitelübersetzung, eine Analogie kann mit dem oben
angegebenen Satz gedacht werden.
Ziviler Ungehorsam ist aber leicht von der Diskussion "positives Recht,
überpositives Recht" zu trennen, es besteht keine Abhängigkeit, anders
gesagt es können zwei Dimensionen gedacht werden. Ziviler Ungehorsam ist
gegenüber beiden Rechtsarten möglich, zu vor sogar gegen den Staat, also
gegenüber einer beliebigen Obrigkeit. Und doch hat Ziviler Ungehorsam,
zivile Aktion, sogar Sabotage zur Folge, dass die Frage gestellt werden
kann oder gar muss, ob denn jetzt positives Recht zu denken ist, oder
eben überpositives. Es geht ein wenig zu weit hier, zu schreiben, dass
es nicht nur positives und überpositives Recht geht. Das Binäre ist
vorläufig in Ordnung. Wenn jedoch einige die "extinction rebellion"
praktizieren, dann liegt eine Komponente vor, die schwer schwarzweiß in
die zwei Rechtsarten eingeordnet werden kann, bzw. die Zukunft kommt
dazu. Denn hier besteht eine Aktivität stellvertretend für die kommende
Generation, aber mit zivilem Ungehorsam oder ziviler Aktion gegen die
aktuelle.
JH