Diesen Artikel habe ich bereits gelesen und er beschreibt sehr zutreffend, aber auch teils
einseitig die Hintergründe dieser gesellschaftlichen Spaltung.
Diesbezüglich kommt es darauf an, auf welcher Seite man im realen Leben zu stehen kommt
und dieses zu bestehen hat.
Akademisch kunstvoll und leicht ist es, von „Entdeckern“ zu sprechen und diese eben als
weltoffen, der Kultur und der Vielfältigkeit zugewandt zu qualifizieren. Diese Klientel
wird als die gebildete, insgesamt gut situierte Gesellschaftsschicht (dieser eben auch
die Autoren des Forschungsberichts zugehörig sind) beschrieben.
Von diesem „Elfenbeinturm“ herunter lässt sich relativ unbeschwert urteilen, solchermassen
von rauen und ungünstigen Lebensbedingungen verschont, die dem Löwenanteil der
betrachteten Gesellschaft das Leben weitaus beschwerlicher machen.
Für diese Menschen gilt es, das wenige ihnen Zufallende (und sei es nur ein ihnen
vermeintlich vorschwebendes Lebensglück) zu verteidigen. Diese Bevölkerungsschicht ist
inzwischen einer sozialen und wirtschaftlichen Situation ausgesetzt, die im Kontext von
globalisierten Wirtschafts- und Produktionsmethoden vornehmlich nur noch prekäre
Beschäftigungsverhälnisse vorfindet und damit in eine Konkurrenzsituation mit vergleichbar
Arbeitssuchenden (wie Migranten, Übersiedlern, Gastarbeitenden etc.) gerät. Damit sollte
verständlich werden, dass diese Menschen mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mittel
versuchen, ihre solchermassen begrenzten Räume zu verteidigen; dass dieses Anliegen von
politisch national resp. Identitär orientierten Gruppierungen gestützt und proklamiert
wird, ist schlichtweg die Folge der oben beschriebenen Situation. Und je mehr und
eindringlicher die politische Linke sich gegen diese Entwicklung stellt, desto mehr
trotzige Reaktionen wird man aus der Gegenrichtung erfahren.
Die sog. „Kleinen Leute“ haben längst ihre Fürsprecher früherer Jahre verloren, Andere
haben sich aufgemacht, deren Anliegen zu „verteidigen“, durchaus mit teils fragwürdigen
Mitteln.
Bester Gruß an Dich und in die Runde! - Karl
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Am 17.06.2021 um 11:46 schrieb Ingo Tessmann via
Philweb <philweb(a)lists.philo.at>at>:
[Philweb]
Hi Karl,
vor einiger Zeit hatten wir uns über Spaltungstendenzen in den Gesellschaften
ausgetauscht. Nunmehr ist eine Untersuchung erschienen, die von Verteidigern und
Entdeckern handelt und ihre jeweiligen Anteile sogar zu quantifizieren weiß. Anders als in
Polen, sind die beiden Lager in der BRD nach wir vor Minderheiten.
"Entdecker befürworten ein offenes Zugehörigkeitskonzept und fühlen sich durch
Fremde (Muslime, Geflüchtete) nicht bedroht. Sie sehen sich zudem selbst als gut
repräsentiert, also eher als nicht marginalisiert an, sind eher zufrieden mit der
Demokratie im Land und vertrauen eher politischen Institutionen. Verteidiger hingegen
stehen mit hoher Wahrscheinlichkeit eher für ein enges Konzept der Zugehörigkeit, fühlen
sich eher durch Fremde bedroht und gesellschaftlich marginalisiert, sie sind unzufriedener
mit der Demokratie im Land und misstrauischer gegenüber politischen Institutionen."
Weiteres zu lesen ist im Working Report: "Ein Identitätskonflikt um Zugehörigkeit
und Bedrohung":
https://www.uni-muenster.de/imperia/md/content/religion_und_politik/aktuell…
<https://www.uni-muenster.de/imperia/md/content/religion_und_politik/aktuelles/2021/workingreport_verteidigerentdecker.pdf>
Die Formalisierung einer Gesellschaftsspaltung im Sozialen Feld hatten wir bereits vor
Jahrzehnten einmal behandelt: "A Mathematical Model for the Behavior of Individuals
in a Social Field“. Hier der Link zur Erinnerung:
http://xxx.uni-augsburg.de/abs/cond-mat/9805194
<http://xxx.uni-augsburg.de/abs/cond-mat/9805194>
IT
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