Am So., 17. Aug. 2025 um 20:59 Uhr schrieb Claus Zimmermann über
PhilWeb <philweb(a)lists.philo.at>at>:
Die nominalistische Vorstellung der Begriffserklärung
ist nicht bis zum Ende durchzuhalten, wenn sie von der Voraussetzungslosigkeit eines
unbeschriebenen Blatts ausgeht. Auf diesem Blatt steht aber nicht, was eine Katze ist,
sondern nur, was nicht durch eine verbale Erklärung ersetzt werden kann und an das diese
anknüpfen muss, wenn sich die Zeichen nicht nur um sich selbst drehen sollen.
Das verstehe ich nicht, um der Wahrheit die Ehre zu machen. Was ist
gemeint mit der Phrase "nicht durch eine verbale Erklärung ersetzt
werden kann"?
Am Mo., 18. Aug. 2025 um 09:09 Uhr schrieb tessmann--- über PhilWeb
<philweb(a)lists.philo.at>at>:
Deshalb funktioniert kein Ismus beliebig genau.
Alltags- wie Wissenschaftspraxis weisen stets Unschärfen auf, die lediglich in der
formalen Rekonstruktion vermieden werden können.
Gesetzt, wir hätten zwei Personen die nicht in Übereinstimmung mit
einem bestimmten Resultat sind. Etwa einem mathematischen Beweis,
einer "Herleitung" oder dergleichen.
Wir können diese Meinungsverschiedenheit einfach so stehen lassen. Was
häufig das Mittel der Wahl ist unter erwachsenen Menschen. Wir können
aber einen Schritt weiter gehen und untersuchen wollen, (a) wo der
Unterschied zwischen den beiden Menschen überhaupt besteht und (b) wie
dieser Unterscheid verursacht wurde.
Der Weg (a) setzt eine tote Abstraktion voraus.
Wir analysieren die Argumentation der beteiligten Personen in der
Fiktion, dass deren Gedankengang und Begründung streng logisch sind.
Das heißt, "Ich glaube X, weil Y und Z" würde dann rekonstruiert, dass
Y und Z die hinreichenden Bedingungen von X sind und dass Y und Z der
Fall wären.
Wir würden irgendwann herausgearbeitet haben, welchen exakte Annahme
den Unterschied marktiert.
Es sind natürlich noch andere, mehr literaturwissenschaftliche
Methoden denkbar. Denn die logische Rekonstruktion ist nicht nur unter
der (unwiderlegbaren) Vermutung oder methodischen Annahme entstanden,
dass die Beteiligten logisch denken, sondern sie ist häufig auch nicht
eindeutig. Wir müssen also entweder eine Vielzahl gleichberechtigter
Annahme zulassen, sehr vage und allgemeine Aussagen oder willkürlich
wählen.
Der Weg (b) könnte interessant sein!
Nehmen wir an, wir haben zwei Personen A und B.
Diese sind unterschiedlicher Meinung über die Gültigkeit eines
mathematischen Beweises.
Bei der Vermittlung dessen, was ein "Beweis" ist, wurden A und B
vergleichbar geschult, beide haben die selben Worte gehört, die selben
Übungen vollzogen, die selben Bücher gelesen. Jedoch haben beide den
Begriff dennoch auf subtile Weise unterschiedlich verstanden, was im
vorliegenden Fall (den wir gesetzt haben!) zur Meinungsdifferenz
führt.
Grund ist vielleicht, dass A schon irgendeinen Einfluss ausgesetzt
war, den B nicht hatte. Beispielsweise hat er den Begriff der
boolischen Operation schon im Kontext von Computern gelernt und dabei
eine eigene Vorstellung davon entwickelt. Oder B hat der Professor an
einer Stelle zugenickt und dabei irgendwas innerhalb seines
Nervensystem qua Konditionierung verstärkt.
Ist der beschriebene Vorgang unmöglich?
Ist es also auszuschließen, dass zwei Personen oberflächlich das selbe
Verständnis eines Konzeptes haben aber sich ihre Meinung "in der
Tiefe", das heißt, den Implikationen unterscheidet?
P.S.:
Stellen wir die Frage andersrum.
Wenn eine Gruppe von Personen immer und immer wieder die selbe Meinung
zu einem Thema entwickelt oder äußet, dann kann man das als ein
erklärungsbedürftigtes Phänomen betrachten.
Es sind verschiedene Fälle denkbar:
(a) Die Ansicht ist ganz einfach die Wahrheit. Da wir davon ausgehen,
dass die Wahrheit universell ist, das heißt für alle Menschen und zu
jedem Zeitpunkt gleich, ist es daher auch nicht überraschend, wenn
Gruppen von Personen immer wieder zum selben Ergebnis kommen.
(b) Es liegt etwas an der Struktur unseres Gehirns. Da alle Menschen
die selbe Neuroanatomie haben (so wie alle Lungen, Herzen usw. haben),
könnte es sein, dass verschiedene Menschen zur selben Meinung über
eine Sache gelangen, weil ihr Gehirn zufällig (!) gleich funktioniert.
(c) Die gemeinsame Ansicht ist die indirekte Wirkung einer sonstigen Ursache.
Bei Fall (a) denke ich an sowas wie naturwissenschaftlich-technische Ergebnisse.
Bei Fall (b) denke ich an sowas wie Geschichten über Natur- und
Hausgeister. Im Westen gibt es Kobolde, die die Häuser der Menschen
bewohnen, in Japan scheint es vergleichbare Geistwesen zu geben.
Offensichtlich -- jedenfalls im Rahmen unseres heutigen, aufgeklärten
Weltbildes --fällt hier die Wahrheit als Ursache der gemeinsamen
Ansicht aus. Es gibt keine Geister. Ergo kann auch niemand jemals
welche beobachtet und daraus verallgemeinerbare Erkenntnisse gewonnen
haben. (Auch wenn laut der KI "Perplex" etwa 7% der Bevölkerung auch
in Deutschland an Geister glaubt.)
Es kann aber sein, dass alle Menschen vergleichbare Erlebnisse haben,
z. B. ihnen ein Gegenstand verloren geht, und dass wir neurologisch
dazu neigen, solche Erlebnisse einen verborgenen Akteur zuzuschreiben.
Das mag vielleicht nützlich gewesen sein. Diejenigen unserer
Vorfahren, die beim Rascheln im Gehölz an ein Raubtier dachten haben
eher überlebt als die, die von Wind ausgingen. Deshalb glauben heute
viele Menschen, dass hinter zufälligen Umständen eine Intention
stecken muss.
Fall (c) wäre z. B. eine Erklärung der Religion, die behauptet, dass
die ersten Menschen irgendwann eine Art Religion erfunden haben und
diese dann von allen Nachkommen, also der gesamten Menschheit,
übernommen wurde.
Das ist sehr wohl möglich, aber relativ langweilig.
Es könnte auch ein falscher Anschein sein. Es sieht ja wirklich so aus
als ob die Sonne AUFGEHT und UNTERGEHT, auch wenn wir heute in der
Schule lernen, dass das nur so aussieht und in Wahrheit die Sache viel
komplizierter ist.
Eine interessanterere Variante scheint mir zu sein: Wenn die Menschen
als Jäger leben, dann müssen sie daran glauben, dass sie berechtigt
sind, die Beutetiere zu überfallen etc. Ergo ergibt sich aus dieser
Gesellschaftsstruktur schon eine gewisse Haltung zu Tieren. Vielleicht
sogar zum Leben an sich.
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