Eigentlich hatte ich nichr
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Am 05.11.2022 um 18:45 schrieb Ingo Tessmann über
PhilWeb <philweb(a)lists.philo.at>at>:
Am 05.11.2022 um 16:11 schrieb Karl Janssen
<janssen.kja(a)online.de>de>:
Welche Logik etwa steht hinter dem Argument, die dringlich zeitnahe Rettung dieser unter
einen Betonmischer geratenen Frau sei auch durch Falschparker behindert worden, wenn
Falschparken ein alltägliches Übel im Straßenverkehr ist und Rettungskräfte gewohnt sind,
mit diesem umzugehen.
Moin Karl,
Du betonst, Dich auch mit Geistes- und Sozialwissenschaften befasst zu haben, scheinst
von Ideologiekritik aber nichts zu halten. Sich bspw. an Einzelereignissen festzubeißen
und nicht den gesellschaftlichen Kontext zu berücksichtigen, ist bereits der Beginn einer
Ideologie, nämlich der zur isolierten Betrachtung. Überlassen wir den Fall der in Berlin
am 1. Nov. unter die Räder eines Betonmischers gekommenen Radfahrerin Polizei und Justiz.
Die werden klären, inwieweit dem LKW-Fahrer eine Schuld wird nachgewiesen werden können;
denn die Frau fuhr ja nicht auf dem Radweg, sondern auf der Straße. Die Protestler hatten
ja eh keinen Anteil daran.
Ebenso zur Ideologiekritik gehört es, überkommene Gewohnheiten auf ihre Berechtigung hin
zu überprüfen. Wieso wird das allgegenwärtige Falschparken kaum geahndet, obwohl es
wahrscheinlich viele Verletzte und Tote jährlich zur Folge hat? Ich bezweifle, dass es
Statistiken dazu gibt, weiß natürlich wie fast alle Menschen in der BRD, bspw. um die
Gefahr regelmäßig dicht an Kreuzungen geparkter Wagen.
Wer grundsätzlich Freude an der autogerechten Stadt hat, wird Baumaßnahmen und Gesetze so
einrichten, dass möglichst viele jederzeit überall hinkommen können. Ich hatte schon auf
die mit Henry Ford 1908 beginnende Absurdität hingewiesen, aus einem Individual- ein
Massenverkehrsmittel machen zu wollen. Auch das gehört zur Ideologiekritik, sich zu
fragen, warum es das Auto sein musste und nicht die Bahn bzw. der ÖPNV. Bedenk nur mal die
Konsequenzen, die das hatte — bis hin zum Siegeszug des fossilen Imperiums.
Eigentlich hatte ich nicht vor, heute nochmal auf diese aufgekommene Thematik einzugehen.
Gerade eben von einer Theateraufführung wieder zuhause, lese ich also Deine Replik und
nehme so deutlich wie noch nie unsere weit auseinandergehende Sichtweise auf das
gesellschaftliche Leben. Zunächst sei gesagt, dass ich mich nicht nur (quasi mal eben) mit
Geisteswissenschaften beschäftigt, sondern Philosophie im Haupt- und Sozialwissenschaften
sowie Psychologie im Nebenfach regulär immatrikuliert studiert habe. Auch schon im
Ingenieurstudium habe ich als Wahlfächer Phil und Psych gewählt. Ich bin quasi ein Homo
Faber mit der Seele eines Philosophen. Spaß beiseite - als ob es auf ein Studium ankommen
sollte, nicht erkennen zu können, dass Falschparken ein Problem im Straßenverkehr
darstellt und offenbar in Hamburg nicht entsprechend sanktioniert wird. Im Gegensatz zu
München, dort könnte ich es morgen ja mal drauf ankommen lassen: mit hoher
Wahrscheinlichkeit habe ich einen Strafzettel an der Windschutzscheibe und selbst eine
„grüne“ Politesse wird keine Nachsicht üben, weil es sich um einen elektrisch betriebenen
stadtgerechten Kleinwagen handelt.
Ich will es hier nochmal sagen: mich regt dieses ganze Umweltgeschwätz nur nich auf.
Warum? Weil es nichts als Scheinheiligkeit und Doppelmoral ist. Was sollte man nicht alles
für die Umwelt tun! Gerede ohne Taten!
Was mich und meine Familie anbelangt kann ich mit Fug und Recht sagen, dass hier
diesbezüglich nicht nur geredet und gejammert, sondern eben auch gehandelt wird. Alle
kurzen Wege zu Fuß oder mit dem Rad. Meine Frau fuhr zum Kindergarten selbst im tiefsten
Winter (wie ich in die Arbeit) mit dem Rad samt Kindersitz und wurde mitleidig gefragt, ob
wir denn kein Auto hätten. Noch zu Zeiten ohne staatliche Förderung haben wir in eine PVA
investiert; wir fahren seit Jahren im Stadtbereich und näherem Umfeld mit dem Elektroauto,
das (zunächst unabhängig vom gesamten CO2 Abdruck) keinen Schadstoffausstoß hat; das nur
zu Deiner Unterstellung, meine Ablehnung dieser hirnlosen Klebeaktionen würden einem
Autowahn entspringen. Im Gegenteil: Ich hatte Zeiten mit regelrechter „Autophobie“.
Wir kaufen Bioprodukte regional ein und sehen, dass mittlerweile viele Menschen sich aktiv
um Ein umweltgerechtes Leben bemühen. Viel mehr kann man nicht tun oder sich halt
aufhängen, wenn man daran verzweifelt, dass das dringend erforderliche Umkehren (ähnlich
eines Ozeanschiffes) nicht unmittelbar erfolgen kann. Aber man muss etwas tun und nicht
nur herum jaulen. So kann jedes Mitglied in der Gesellschaft je nach Möglichkeit etwas zum
Umweltschutz beitragen, denn auf Politik zu warten ist sinnlos. Sinnlos und wirkungslos
kann man jedoch viele mittlerweile von politischer Seite eingebrachten Maßnahmen und
Förderungen wahrhaftig nicht nennen. Politik kann letztlich nur Impulse geben, die
Ausführung liegt bei jedem Einzelnen.
Ich denke das Geschriebene sollte hinreichend darlegen, welche Sichtweise ich bezogen auf
Umweltproblematik bzw. -verhalten habe.
Karl
PS:
Dazu wollte ich noch anfügen…
Dennoch bewundere ich heutige junge Leute, die sich
dagegen zu wehren wagen, obwohl es natürlich sinnlos ist; denn der Autowahn grassiert
weltweit. Dass das häufig gefährliche Falschparken kaum bestraft wird, ist also im Kontext
der strukturellen Gewalt der Autogesellschaft zu sehen. Aber Dich scheint es nicht zu
stören.
Dass sich junge Menschen um ihre Zukunft sorgen, sehe ich in der eigenen Familie. Glaubst
Du wirklich, dass mich das benannte Problem nicht stört? Um mich mache ich mir keine
Sorgen aber sicherlich um die Zukunft der Jugend. Welcher Vater wäre ich denn! Wenn ich
allerdings Vater der unter dem LKW verunglückten und letztlich verstorben Frau wäre, würde
ich vermutlich nicht an mich halten können, sollte ich auf solche Klebeaktivisten treffen.
Da hört mein Verständnis einfach auf!
Zum Falschparken hatte ich ja oben schon geschrieben. Hamburger Polizei scheint halt sehr
tolerant zu sein. Eine nordische Tugend sehr wohl! Was gibts dagegen zu sagen. Oder sollte
doch gelten: Der Zweck heiligt nicht alle Mittel.
Wobei der Massenwahn sehr viel gefährlicher ist als
die Protestaktionen der wenigen Störer. Aber unmerkliche Störungen wirken nicht und beim
verschleißenden Weg durch die Institutionen sind viele auf der Strecke geblieben. Ich
betrachte jedenfalls die Letzte Generation ebenso wie FfF mit Wohlwollen und Spende ihnen
zumindest.
Du scheinst nicht mehr viel unterwegs zu sein. Keine Termine, kein beruflicher Zwang etc.
Vom Wohnzimmersessel gesehen, sieht die Welt doch ganz anders aus und das könnte zu
eigenartigen Inferenzen führen.
Ich will hier aber nicht weiter schwadronieren, da ich eine historische Aufarbeitung der
Autogesellschaft seit Henry Ford und einen Übergang in die Informationsgesellschaft seit
Steve Jobs erwäge; denn das Auto und das Smartphone sind zu DEN gesellschaftlichen
Artefakten und Symbolen geworden. Aber wie sieht denn Deine Befürwortung der
Autogesellschaft aus?
Äußerst kritisch. Längst gehe ich davon aus, dass sich diese Gesellschaft ändern wird.
Doch muss erst ein Kind in den Brunnen fallen, ehe man ihn abdeckt.
Ein Führerscheinentzug für Falschparker wird Dir
sicher absurd erscheinen,
Warum sollte mir das absurd erscheinen? Hier im Viertel gibt es eine sog. Poserszene. Die
Kerle rasen auf kurzen Strecken mit aufheulenden Motoren bis in die Nacht hinein. Sie
kommen plötzlich und verschwinden ebenso, sind daher nicht leicht von der Polizei zu
fassen (oder eben nur mit einigem Zeitaufwand, den man offenbar nicht aufbringen will).
Ich habe einen der Typen zur Rede gestellt; er meinte nur, mich beim nächsten Mal ggf. zu
überfahren, was kein (moralisches) Problem für ihn darstellen würde. Glaubst Du jetzt
noch, ich wäre gegen Führerscheinentzug in solchen Fällen oder auch anderen groben
Verstößen gegen die Verkehrsordnung?
wobei es eine Mehrheit dafür eh nicht geben wird. In
den Strafzumessungen allgemein zeigt sich natürlich, dass das herrschende Recht das Recht
der Herrschenden ist. Auch ein alter Hut der Ideologiekritik.
Rechtsverständnis in der Hansestadt HH. Da gibt es doch Erinnerungslücken auf höchster
Ebene und definitiv weit jenseits von Ideologiekritik.