Am 10.02.2019 um 21:11 schrieb Rat Frag via Philweb:
[Philweb]
Mir ging es letztlich nicht um Platon oder so, sondern um die
inhaltliche Frage. Momentan habe ich nicht die Zeit, mich darauf zu
konzentrieren. Ich habe mir andere Lektüren erwählt.
Am Sa., 22. Dez. 2018 um 16:07 Uhr schrieb Claus Zimmermann
<Zimmermann.Claus(a)t-online.de>de>:
Rf: Warum glaubt der Mensch an abstrakte Entitäten?
Lange schon verharrt nun dieses Thema hier in philweb in seligem
Dornröschenschlaf und überhaupt scheint uns alle eine Schreibblockade
befallen zu haben. Warum auch noch selbst schreiben, wo doch
Geschriebenes uns tausendfach aus allen möglichen Quellen moderner
Kommunikationskanäle entgegen quillt. Und je weltfremder,
ideologisierter, sendungsversessener, je mehr pseudo-intellektuell
dekoriert oder dümmlich-dumpf aufgeblasen uns als Information verpackte
Meinungen, Überzeugungen erreichen, regt sich dagegen bisweilen massiver
Widerstand in uns: abhängig von der behandelten Thematik und von unserer
gesellschaftspolitischen Konditionierung, mündend in zornig innerem oder
lautstarkem Protest oder einfach nur mehr in Resignation. Für den einen
mag es also inzwischen zum Überdruss geworden sein, von – sich
epidemieartig über sog. soziale Netzwerke verbreitende – inszenierten
Aufgebrachtheiten einer Empörungskultur (von welcher Seite und gegen
welchen Sachverhalt immer) mitgerissen zu werden; für den andern,
seinerseits frustriert vom Kampf für die gute Sache, für die heile Welt,
heißt es erneut Kräfte zu sammeln für nächste Runden im Boxring unserer
Lebenswelt und sei es nur, um ehrenwert als Don Quijote zu enden.
Letztlich für alle: rastloser, erschöpfender Tanz um ein illusionäres
ICH, getrieben von (An)Reiz, zermürbender Selbstreflektion und
gesellschaftlichem Zwang, verstärkt durch die zurecht bestehende Sorge
um den Erhalt unser Lebenswelt als habitable Zone.
Angesichts dessen und weitererirdischenUnbilden könnte die hier
aufgeworfeneFrage, warum Menschen an abstrakteEntitätenglauben,
ursächlich eine einfache Antwort haben: weil Menschen sichaus dem
Jammertal der diesseitigen Welt in das Paradies eines Jenseits wünschen,
das ihnen seit Zeiten - wohl unter gewissenBedingungen – von jenen
verheißenwird, die darüber hinausdieExistenz eben einer transzendenten
Entitätproklamieren. Jenseitiges wähnen,beschwören, verheißen, predigen
und daran glauben;seien es Geister, Götter, sei es ein einigerGott. Das
lässt fragen, glaubenheutige Menschen lediglich an Jenseitiges, weil man
ihnenvon klein an einen Gott predigt,zudemdie Auferstehung von den Toten
und ewiges Leben in Gottes Angesicht- beiihm gefälligem
diesseitigenLebenswandel – verspricht. Oder gründet dieser Glaube doch
eher auf ein ursächliches Momentum der Bewusstwerdungvon Jenseitigkeit
abeinerbestimmten Entwicklungsstufeder Anthropogenesedurch
Heranbildungkognitiver und soziokultureller Befähigung.In Anbetracht
anhaltend ungesicherterThesen im Kontext evolutionsbiologischer
Forschung und Paläoanthropologie bietet es zur Diskussion über
sozio-kulturelle Hominisation an, das Auftreten des Homo Sapiens etwa ab
einem Zeitraum vor 100.000 Jahren als den (wissenschaftlich gesicherten)
Anbruch des modernen Menschen anzunehmen. Spätestensjedoch ab Cro-Magnon
(vor 40.000 Jahren) war eine signifikant gesteigertekognitive Fähigkeit,
einhergehend mitder Ausformung
abstrakt-komplexenSprachvermögensentwickelt, die sozialeKooperation und
kollektiven Technikeinsatz (Feuer, Werkzeuge, Bodennutzung,
Kunstfertigkeitusf.) ermöglichte. Diesekulturellen Merkmale des homo
sapiens sapiens sind durch Ausgrabungen (u.a. auchdieser Epoche
zugeschriebene Höhlenmalerei) zutage getreten und
gebeneindeutigeHinweise darauf, dass sich dieser junge „Jetzt-Mensch“
seinerselbst, seinemsozialenUmfeld und
womöglichauchaußerweltlicherEinflüsse, einem Jenseitigenim Diesseitigen
(Hierophanie) bewusst geworden war.
Sehr lange alsovor dem Erscheinen von Religionen mit
Offenbarungscharakter (vermittelt durch Propheten), nachdemder sog.
Dominanzwechsel erfolgtwar (der Entwicklungsfortgang des Menschen war
von da an nicht mehr dominant durchUmwelteinflüsse, sondern von demsich
seiner Existenz bewusst gewordenenHomo Sapiens bestimmt),
könntenmitAnbruchdes vernunftbegabten MenschenNaturreligionen ihren
signifikanten Anfang genommen haben. Über diezum Lebenserhalt
hinreichend erschlossene Welt hinausreichend tat sichdamit eine
unerschlossene (transendente) Welt auf, die man von Geistern und Göttern
bewohnt glaubte.Dieser Welt (des Numinosen) begegnete der frühe Mensch
mit Schauder und Verehrung, was er durch (mit Opfern verbundene)Rituale
zum Ausdruck brachte. Es kann angenommen werden, dass über rituelle
Handlungen zunächst spirituelles Erleben (Entgrenzungserfahrung, wie
heute auch bei Meditation - oderauch unter Drogeneinwirkung -erlebbar)
schließlich zur untrüglichen Empfindung des „numen semper adest“ geführt
hat, sich damit eineDimension des Religiösen erschlossenund in der Folge
durch Artefakte und entsprechende Verhaltensweisen schließlich ein
religiöses Regelwerk entwickelt hat. Solchermaßen rudimentär religiöses
Empfinden und Handelnkönnte sich phylogenetisch (als Gesamtheit)in die
Jetztzeit weitergetragen und fortentwickelt haben. Moderne
neurobiologische Forschung scheint zu bestätigen:spirituelle und
religiöse Veranlagung des Menschen istpolygen eingeprägt und nicht etwa
allein durch Hamers „Gottes-Gen“ VMAT2 (Vesicular Monoamine
Transporter), obgleich es im Zusammenwirken mit DAT (Dopamine
Transporter) eine signifikante Rolle bei der Entwicklung und Ausreifung
des Gehirns spielt.
Von Interesse dabei ist nun allerdings, wie sich derartiges
Wahrnehmungsvermögen (für das Numinose) ursprünglichentwickeln konnte.
Für Kreationisten istdie Antwort entsprechend der biblischen
Schöpfungsgeschichte eindeutig.Obgleichzeitlich keinesfallsin den
erdgeschichtlichen Kontext passend, ficht dieses Faktum die an
naturwissenschaftlicher Ignoranz nicht zu übertreffende Fraktion
bibeltreuer Fundamentalistennicht an. In rationaler Sicht auf
wesentliche Differentiationsmerkmale der Hominiden ist ein
Funktionswechsel spezifischer Gehirnabschnitte anzunehmen, der sich seit
der Herausbildungvon Bipediedurch wesentlich veränderndeLebensumstände
schrittweise vollzog. Neueund höhereAnforderungen (besondershinsichtlich
Koordinations- und Assoziationsvermögen)wurden an das Gehirn gestellt,
wodurch sich über morphologische Anpassungsprozesse das Vorderhirn zum
übergeordneten Hirnteilentwickelte. Damit war
diephysiologischeVoraussetzung für komplex-abstrakte Apperzeption
geschaffen. Eindiesbezüglich neurophysiologischesSpezifikum der
Gehirnentwicklung des Homo Sapiens ist das im Vergleich zum
Tierdeutliche ausgeprägte Volumen des Neocortex resp. des
Assoziationskortex. Daher lässt sich annehmen, dass mit dem Erreichen
einer gewissenEntwicklungsstufe des Gehirnsdie Voraussetzung gegeben
war, außersinnliche Empfindungen als (wiederkehrende) Ereignisse mental
zu assoziieren (apperzipierendesErschließenbislang
unbekannterinhärenterEmpfindungen) undals Erfahrungswert zu speichern.
Unter gewissenGesichtspunktenkönnte man sagen, der Mensch war mit
Erreichen dieser spezifischen Gehirnleistung in die Lage versetzt, neben
sinnlicher (intrinsisch motivierter)nun auch überempirischePerzeption
gedanklich zu verarbeiten. Letztere -
mittelstranszendentalerApperzeption - die Wahrnehmung des
Numinosenbewusst macht und damit erst die Interaktion mit
übersinnlichen, immateriellenInformationsfeldern ermöglicht. Man mag es
auchdie Befähigung zur Magie nennen (in Resonanz mit Außersinnlichem
kommen)und insoweitsogleich naturwissenschaftlich orientiertes Befassen
mit dieser Thematik einstellen. Mitnichten.
An dieser Stelle kann man den hier (von rf) aufgeworfenen
Informationsbegriff aufgreifen: /„//Die Information scheint also
unabhängig von ihren Trägermedium zu existieren“./
Information selbstist definitiv immateriell und wirdper seohne
materielle Anhaftung residieren. Soll sie jedoch im Sinne ihres Begriffs
eine Information über bzw. von etwas vermitteln(also konkretes Wissen
vermehren bzw. verändern), muss sie in physikalische Wechselwirkung(in
Resonanz) treten, somitan einen Träger resp. an Materie gebunden sein,
dies insbesondere, wenn siegespeichert werden soll. Wenn Information
(als Veranlassung eines zu vermittelndenund zu speicherndenWissens)
keinen Ort, also keine materielle Anhaftung findet, bleibt sie u-topie.
Im Kontext des Themas, also der Frage nach „Glauben an abstrakte
Entitäten“, sollte man vom alltagssprachlichen Gebrauch
desInformationsbegriffsAbstand nehmen. Eher geeignet wird die Definition
von Information als vermittelndes Agensvon Formgebung ("Bestimmung der
Form") sein, etwa zurFormgestaltung durch morphogenetische Felder
(Sheldrake).Diese Definition lässt ebenso die hier im Thema
angesprochenen Platonschen Ideen in Betracht ziehen,wieauch weitere
Aspekte antikerund mittelalterlicher Erkenntnistheorien.
So könnte das Glauben an „abstrakte Entitäten“ (für unseren Kulturraum
der Glaube an einen Gott) ebenso in Verbindung mit dieser
Betrachtungsweise gebracht werden: Das nunmehr grundsätzlich hinreichend
entwickelte Menschengehirn bietet Topos und Gelegenheit, um mit (dem
Informationsfeld) einerSchöpfungsidee in Wechselwirkung zu treten,
ebenderunübertrefflich göttlichen Idee einer sich fortwährend
evolutionär vollziehendenFormgestaltung. Somit könnte sich der
u-topische Glaube (im Sinne eines naiv-anthropomorphen Gottesbilds)
gegen die Überzeugung von der Omnipräsenzeiner raumzeitlich
ausdehnungslosen göttlichen Entität tauschen: „Numen semper adest.“
Hinreichender Grund für heitere Gelassenheit im Alltagstrubel.
Bester Gruß in die Runde! - Karl