Moin Joachim,
gegen das „Wunderargument“ in der quantitativen Experimentalwissenschaft spricht der meth.
Konstr., in dem die Formalismen und Experimente als mathematische bzw. technische
Transformationen auf das menschliche Maß verstanden werden. Indem bspw. physikalische
Theorien hinreichend invariant formuliert werden, gelten sie in weiten Skalenbereichen
(Eichinvarianzen) und Bezugssystemen (relativistischen Invarianzen), auch hier gegenwärtig
auf der Erde im Labor.
Der Wunderglaube mag Jahrtausende alt sein, verstanden aber wurde er erst im Zuge von
Evolutionstheorie und Kognitionsforschung als "Hypersensitive Agency Detection
Device" (HADD), auf die ich am 21.5.24 hinwies: "The special cultural
elaborations that we call ‘religion’ are the upshot of an ordinary, pan-human
information-processing tendency that can be seen in many different domains of cultural
expression. To distinguish this tendency to find intentional agency around us from other
treatments of ‘anthropomorphism’ and to remain neutral with regard to whether the bias is
best characterized as a tendency to pick out human-like agency or intentional agency
generally, Barrett dubbed the cognitive system responsible for detection intentional
agency the Hypersensitive Agency Detection Device.“
Dabei unterläuft die Selbststabilisierung zwischen HADD und IREM (Interactive Religious
Experience Model) die logische Zirkularität; denn "instead of saying that
agency-intuitions are major causes of religious belief in general, IREM says that general
belief in supernatural agents causes people to seek situations that trigger
agency-intuitions and other experiences.“
Im SciLog
https://scilogs.spektrum.de/die-sankore-schriften/hyperactive-agency-detect…
<https://scilogs.spektrum.de/die-sankore-schriften/hyperactive-agency-detection-device-hadd/>
wird eine Abstufung der Religiosität damgemäß als Merkmals-Ausprägung gesehen:
„Religiosität ist für mich nur eine Ausprägung des Merkmals Hyperactive Agency Detection
Device (HADD). Genauso wenig wie “klein” ein Merkmal, sondern nur eine Ausprägung des
kontinuierlichen physischen Merkmals Körpergröße ist.
stark ausgeprägtes HADD: Religiosität
mittel ausgeprägtes HADD: Agnostizismus
schwach ausgeprägtes HADD: Atheismus“
Warum es dabei nicht einfach belassen?
IT
Am 09.07.2024 um 08:39 schrieb Landkammer, Joachim
über PhilWeb <philweb(a)lists.philo.at>at>:
Habe jetzt wiedermal die letzten Posts hier mitgelesen (nicht ohne ein gewisses
Deja-vu-„feeling“: echt jetzt, nach so vielen Jahren ist die Liste hier immer noch am
Streiten über Religion? oder nur: wieder mal?), vielleicht kurz von meiner Seite - out of
the blue - Folgendes, was mir dazu spontan einfällt:
Das Kürzel „wh“ steht ja auch für „Wiederholung“, und man wird dem Kollegen Waldemar
Hammel ja kein allzu großes Unrecht tun (außer dem Spiel mit seinem Namenskürzel:
pardon!), wenn man darauf hinweist, daß seine Religionskritik keinen großen Anspruch auf
Originalität, Neuheit, Überraschung machen kann/will; nicht zufällig geht es ja auch immer
noch um Voltaire… Vielleicht wird aber gerade aus der Wiederholbarkeit UND
augenscheinlichen Hilflosigkeit/Irrelevanz/Wirkungslosigkeit dieser jahrhundertealten
Argumente selbst ein Argument: daß nämlich diese Argumente an glaubensfesten Personen so
(fast) folgenlos abprallen, IST doch selbst vielleicht zumindest ein Indiz, ein
Plausibilitätsbeweis, daß da am Glauben etwas „dran“ ist, das man nicht einfach
weg-pathologisieren kann (wie das natürlich Religionskritiker gerade deswegen, als letzte
ad-hominem-Strategie dann gern tun). Es gibt ja in der Wissenschaftstheorie das von
„Realisten“ verwendete sog. „Wunderargument“: gegen eine nur nominalistische und
konstruktivistische Konzeption von (physikalischen) Modellen wird eingewandt (wenn ich das
richtig verstehe), daß es ja, wenn alles nur ausgedachte Konstruktion ist, dann nur „ein
Wunder“ wäre, wenn alles das, was man mit diesen Modellen de facto machen kann (Prognosen,
Anwendungen, Technik) so schön funktioniert, wie es eben tatsächlich funktioniert. Dieses
„Wunderargument“ könnte man jetzt umdrehen und genauso FÜR die Religion in Anspruch
nehmen: es würde ja, so könnte man sagen, nichts als ein Wunder sein, wenn angesichts und
trotz dieser nachhaltigen, seit Jahrhunderten sich über die Religion von allen möglichen
Seiten (Wissenschaft, Ideologie, Kunst, Moral) ergießenden Kritik und Distanzierung ihre
relativ unbekümmerte Persistenz, Kontinuität und Widerstandskraft, ihr „Durchhalten“ (das
ja auch massenhafte Kirchenaustritte offenbar fast problemlos überlebt) nicht auf einem
„da ist doch etwas“, eben einem tatsächlichen faktischen „Sein“ beruhen würde, wie KJ
sagt. Gerade wer also an Wunder nicht „glauben“ will, müßte doch dann zugestehen, daß der
Glaube auf einem unbezweifelbaren, durch irgendwelche (wie gesagt: seit Jahrhunderten
wiedergekäuten) „Argumente“ unanfechtbaren Fundament beruht. Daß das etwas mit
Zirkularitäten und Paradoxien zu tun hat, wie jetzt JH vermutet, würde das nur bestärken:
denn Zirkularitäten gibt es ja nicht deswegen, weil sie so leicht zu widerlegen sind (etwa
dadurch, daß man darauf deutet und sagt: „das ist aber jetzt zirkulär“), sondern weil sie
es eben NICHT sind. Sie sind eben „Gewißheiten“, die nicht trotz, sondern gerade wegen
ihrer mit logischen Mitteln (und „Aufklärung“) nicht belangbaren Elemente perennieren.
Seit mehr als zwei Jahrtausenden.
J. Landkammer