Hi JL,
als Ökoliberaler versuche ich, Freiheit und Notwendigkeit zusammenzudenken. Sartre
dominierte die Freiheit, mit der Natur wusste er nichts anzufangen. Einstein war weniger
beschränkt, wie Pais in seiner Biographie hervorhebt: ”Er war der freieste Mensch, den ich
jemals kennengelernt habe. Er verstand besser als alle vor oder nach ihm,
Invarianzprinzipien zu erfinden und statistische Schwankungen anzuwenden.“ Einstein
verstand es offensichtlich in seinem Leben, zugleich persönliche Freiheit zu erstreben und
der Naturnotwendigkeit zu folgen.
Die aus seinem Freheitsstreben erlangte Invarianz seiner Persönlichkeit übertrug er
erfolgreich auf die Natur und sah in ihr gleichsam die im Seienden verkörperte Vernunft,
der er sogar mit kosmischer Religiosität huldigte. Neben dem instrumentellen Blick des
Ingenieurs folge ich auch der ínvarianten Sicht des Physikers. Dass Einstein sich bis ins
Alter seine Kindlichkeit bewahrt hatte, zeigt ja sein ikonisch gewordenes Bild mit der
herausgestreckten Zunge. Das Bild zusammen mit der Formel e = m c^2 ist immer wieder
bedenkenswert.
Ja, Goethe mahnte: „Natur hat weder Kern Noch Schale. Alles ist sie mit einem Male. Dich
prüfe du nur allermeist. Ob du Kern oder Schale seist.“ Und ja, seine Kunst war viel
besser als seine Wissenschaft. Dennoch wirkt sie in der Allgemeinen Morphologie bis heute
nach und auch seine Farbenlehre konnte als komplementär zu der Newtons experimentell
bestätigt werden. Olaf L. Müller hat die erstaunliche Symmetrie auf den Punkt gebrach: ”Es
gibt eine systematische Symmetrie zwischen Licht und Finsternis. Soll heißen, zu jeder
optischen Errungenschaft Newtons existiert ein Gegenstück, in dem die Rollen von Licht und
Finsternis, von Helligkeit und Dunkelheit, von Weiß und Schwarz exakt vertauscht sind. Das
gilt für Newtons Experimente genauso wie für seine Theorie, seine Beweise, seine
Definitionen.“ Goethe hätte sich mit Müller gut verstanden
Zugleich Künstler und Wissenschaftler sind nur wenige, aber viele könnten zumindest Kunst
und Wissenschaft Zusammendenken. Dominierte ansonsten nicht das Ignoranten- und
Fachidiotentum? Du magst Dich verkriechen auf der Flucht vor der Politik, ich bin froh,
dass es noch wissenschaftliche Initiativen wie „Science for Future“ etwa oder die
Performance-Künstler aus dem „Zentrum für Politische Schönheit“ gibt.
IT
Am 29.07.2024 um 00:04 schrieb Landkammer, Joachim
über PhilWeb <philweb(a)lists.philo.at>at>:
Hi IT,
aber ist dieser faszinierte Blick auf die „Natur“ und deren „Konsistenz“ nicht der
bewundernde, aber doch etwas naive Blick des Ingenieurs, der sich darüber etwas kindisch
freuen kann, daß alles so wunderbar „funktioniert“? Früher hätte man darin einen Grund
gesehen, ein Loblied auf den „Schöpfer“ anzustimmen (war Einstein nicht auch in diesem
Sinne religiös?); aber diese Lobgesänge sind doch zumindest ein bißchen leiser geworden
(wenn sie nicht ganz verstummt sind), seit sich diese rein technische Faszination des
bloßen Funktionierens (=Überlebens) so bißchen durch die allgemeine wissenschaftliche
Entzauberung gelegt hat (nicht zuletzt seit wir von Darwin gelernt haben, daß es ja
vollkommen zwingend ist, daß das, was überlebt, „funktioniert“, denn wenn es nicht
funktionieren würde, gäbe es ja schlicht nicht, dann wäre es irgendwann unfit for survival
geworden, also: „ausgestorben“). Vielleicht ist es ja auch nur wieder eine Charakterfrage,
aber wo die einen eben „Schönheit“ und „Konsistenz“ der Natur sehen, sehen die anderen in
ihr nichts als absurde Sinnlosigkeit und empfinden geradezu „Ekel“ vor ihr (z.B. Sartre).
Und warum sollte man nicht Wissenschaft und Kunst getrennte Wege gehen lassen? Schon bei
Goethe wäre man ja versucht, zu sagen, daß seine Kunst um vieles besser war als seine
Wissenschaft, und bei vielen andern würde man wahrscheinlich sagen müssen, daß die Kunst
darunter leidet, daß sie Wissenschaft sein soll - und andersherum. Ich könnte mir
vorstellen, daß es auch hier sinnvoller ist, Differenzen zu belassen, vielleicht sogar
noch zu vertiefen, als krampfhaft zu versuchen, sie aufzulösen: radikaler
„Methodenpluralismus“ statt „Einheitswissenschaft“, auch zwischen der Wissenschaft und
anderen „Weltzugängen“. Nochmal: Heterogenität, Inkompatibilität, Differenz wären da eher
meine orientierenden Ideen - und ich weiß, daß das heute auch die Schlagworte der
neofaschistischen Neuen Rechten und Anti-Europäer usw. sind. Daher würde ich – auch hier –
Politik und Wissenschaft streng trennen und sagen: politisch müssen wir freilich
universalistisch, unitarisch, monistisch, idealistisch denken und agieren (Partikularismus
darf nicht politisiert werden). Aber gesetzt, es gibt ein Leben außerhalb der Politik (und
darauf spekuliere und hoffe ich zumindest), dann darf, dann muß es vielleicht sogar
anti-universalistisch sein.
JL