Lieber Ingo,
Danke für Deine weiteren Hinweise! Dein Hinweis darauf, dass es Versuche gibt,
topologische auf algebraische Strukturen zu beziehen bzw. abzubilden hat mir den
entscheidenden Weg zur Klärung der Frage, worin das „Innen“ von Prozessen bestehen könnte
aufgezeigt: Den Mathematikern, die das versuchen und unternehmen ist die Topologie bzw.
die Algebra ja etwas Lebendiges, das danach verlangt, bedacht, gedeutet, mit anderen in
Beziehung gesetzt zu werden. Beide Bereiche, der der Topologie und der der Algebra werden
dynamisiert und als Kontakt- und Befragungsfähige ins „Spiel“ gebracht. Aus der
Interaktion ergibt sich gegebenenfalles ein schlüssiges Zusammenspiel, das erst als
Ergebnis auftaucht und nicht von Anfang an wie zwei Felsbrocken unbewegt und klar
erkennbar einfach nebeneinander lag.
Sonst wäre die Lösung, der gelingende Bezug topologischer auf algebraische Strukturen ja
gleich ins Auge gesprungen, es wäre self evvident gewesen, hätte wie ein offenes Buch vor
einem gelegen. Nein, man muss die Bereiche ins Denken einbringen und sich in diesem und
durch dieses Denken wechselseitig bearbeiten und damit deuten lassen.
Falsche, nicht stimmige Deutungen werden verworfen, richtige als Zwischenstand weiteren
Nachdenkens genutzt.
Dieses Sich Miteinander Befassen stiftet nun das „Innen“ der sich deutenden Vorgänge.
Deren geteiltes, gemeinsam erzeugtes zeitweiliges Innen ist das vorläufige Resultat der
strukturierten Interaktion der im Spielen und Zusammenspielen engagierte Prozesse. Es ist
der in der Interaktion entstehende zeitweilige, Interaktions- und damit
Beziehungsbegründete Sinn.
Wenn ich topologische Strukturen auf algebraische abbilde und vice versa, dann ist dieses
Vorgehen des sich wechselseitig ineinander Abbildens das Innen der zu gedanklichen
Prozessen aktivierten vormalig unbelebten „Gegenstände“. Die „Gegenstände“ sind
gespeicheerte, gewusste Potenziale, die durch Denken und Bedenken und denkend in Beziehung
Setzen verlebendigt, ausgeschöpft, dynamisiert, verwirklicht werden.
Diese jetzt verwirklichten Potenziale haben strukturierende Kraft auch für das
wechselseitige Deuten. Das Deuten ist kein starres Wiederspiegeln als simples Abbilden,
sondern eine nicht starre, sondern weitere Optionen ausschöpfende wechselseitige Befassung
aus verschiedenen Blickwinkeln.
Diese Blickwinkel ergeben im Spiel hervorgehobene, angegangene Aspekte, und die Befassung
mit diesen sich wechselseitig eröffnenden Aspekten erlaubt endlich ein stimmiges
Zusammenbringen als Zusammenspiel.
Nochmal verallgemeinert:
Die Gegenstände alias Objekte sind tatsächlich zur Deutung (als eine Form der Abbildung
des Bedachten auf ein anderes Bedachtes) aufrufende Potenziale. Sie werden in der
deutenden Interaktion verlebendigt und interagieren mit dem Deuter. Die Deutung ist dann
der „Inhalt“ – etwa des Zahlenraums. Allgemein gilt: die Deutung ist der Inhalt, das
Innen, das Innen wird erzeugt in semantischer, das heißt eine Bedeutung erstellender,
Aspekte deutender alias verstehender Interaktion = Interpretation.
Es ist Zeit und Zeiten im Quadrat, indem es nicht einfach das Zeiten eines Vorgangs ist,
sondern das Zeiten in Verbindung mit ebenfalls Zeitendem, aus dem sich ein
zusammenfließendes, verdichtetes Zeiten ergibt. Die Bestimmtheit des deutenden Zugriffs
ist ein Ausrichten, und dieser Prozess wirkt auf den verlebendigten, ansichtig und
behandelbar gemachten Gegenstand als verlebendigtes Potential ein. Erst aus Zeiten mal
Zeiten ergibt sich der jeweilige Inhalt, der Sinn, das jeweilige Innen zweie Formen des
Zeitens miteinander.
Das Innen der Zeit ist das Innen eines an zeitenden Aspekten eines adressierten Zeitens
ansetzenden weiteren Zeitens, wobei das Ansetzen ein Darauf Deuten und zugleich ein
Es-Deuten ist.
Das Innen der Zeit ist der Sinn Sinn als das Innen des wechselseitigen Deutens und
momentanen Füreinander-Bedeutens. Es ist nicht das Innen eines isolierten und
eingefrorenen Zustandes, sondern das Innen zweier in Form des deutenden Interagierens
realisierter Potenziale, als das Innen eben ihres Aspekt-Anbietens und Aspekt-Deutens.
Zum Deuten:
Eindeutig, ein-eindeutig, mehrdeutig, vieldeutig, andeuten, hindeuten, bedeutend,
deuten….
Deuten ist ein gerichtetes Handeln. Es ist auf zu diesem Deutungshandeln aufforderndes
Sich-zur-Deutung Anbietendes gerichtet. Das Handeln als Deuten und das Handeln als Sich
zur Deutung Anbieten Handelnden erfolgt bei Nicht-Lebewesen absichtslos.
Der vorher als Potenzial möglichen Handelns (dem Deuten und dem Sich zur Deutung Anbieten)
schlummernde wird in Handeln und Vorgehen erweckt, und es findet ein Sich-Anbieten und Das
Angebotene Behandeln statt: zwei Prozesse, die miteinander einhergehen. Das Sich-Anbieten
und das das Angebotene Behandeln führen zu einem Handlungserfolg, einer Folge
beiderseitigen Handelns, einem Verhandlungsergebnis. Das Verhandlungsergebnis schafft eine
vorher nicht vorhandene, vorab sich nicht angeboten habende, weil nicht von selbst
aufscheinende, nicht ins Auge springende neue Wirklichkeit, die wiederum, wenn erweckt,
das heißt als Gegenstand verlebendigt und zum Bedenken auffordernd sich weiterem
Behandelt-Werden anbietet.
Der Inhalt, das Potenzial, das zu weiterem Behandelt - Werden und Behandeln zu erweckende
„Ergebnis“ der Deutung ist das jeweilige Innen der Interaktion. Es ist nicht ein Innen
eines einzelnen, kontaktlosen Handelns, sondern erst des Handlungspaares aus sich
Anbietendem Handeln und den zum Leben erweckten „Gegenstand“ behandelndem Handeln. Es
liegt in Doppelnatur vor, als schlummerndes Potenzial alias stillstehender Gegenstand
möglichen eigenen Handelns und möglichen Behandelt-Werdens, und als im Aushandeln
begriffene Verwirklichung, Aktion, Interaktion.
Kategorisieren spart Energie, thinking fast, daher sind Lebewesen auf Kategorisieren
angewiesen. Zugleich sind sie permanent auf ein Unterscheiden – auch als sich
Unterscheiden zur Bewahrung ihrer unterschiedenen Identität angewiesen. Mittels Lernens
und Speicherns kann das grob und schnell kategorisierende „Denken“ durch höhergradig
unterscheidendes re-prozessiert werden.
Es wird so ein höher aufgelöstes Innen im Sinne der deutenden, unterscheidenden, ein Innen
heraushebenden Interaktionen geschaffen.
Das entstehende Innen muss erarbeitet werden, es ist nicht einfach stückhaft bereits
vorliegend. Es ist ein Erzeugnis wechselseitiger Verständigung. Es ist nichts an sich,
sondern immer ein augenblicklicher Zusammenfluss von Aktionen. Es ist kein (einfaches)
Haben, sondern ein beständig herausforderndes Werden. Das Innen ist damit per se jeweilig
und dynamisch, nie statisch.
So viel als mein Wort zum Sonntag, ich hoffe, es ist halbwegs verständlich und der
Innenbildung im Sinn Deines und Eures Deutens zugänglich : - )
Viele Grüße,
Thomas
PS: die Adaptaation im von Dir genannten Konzept der adaptive systems setzt ja ein
wechselseitiges Sich Miteinander Befassen und das Erfasste adaptativ Einarbeiten im Rahmen
eines „Spiels“ stillschweigend voraus.
Am 26.10.2024 um 09:09 schrieb Ingo Tessmann über
PhilWeb <philweb(a)lists.philo.at>at>:
Am 24.10.2024 um 18:48 schrieb Dr. Dr. Thomas
Fröhlich <dr.thomas.froehlich(a)t-online.de
<mailto:dr.thomas.froehlich@t-online.de>>:
Lieber Ingo,
ich danke Dir sehr für Deine Antwort!
Nach dem Konzept des Physikers unserer Gruppe ist uns der Gebrauch einer Topologie im
strengen Sinn verwehrt, weil bestiimmte Bedingungen nicht erfüllt sind.
Aber ich werde Deine Anregungen nutzen, um es doch zu versuchen, und folge dazu zunächst
Deinen Hinweisen, u. a. Deinem Passus: Eine topologische Zeit wäre auf variierende
Reihenfolgen beziehbar und nicht schon eindeutig gerichtet. Damit käme sie der erinnerten
und erahnten Zeit näher als die metrisch außenbezogene. Anstatt von geometrischen Punkten
könntest Du von infinitesimalen offenen Umgebungen ausgehen, die zu vielfältigen Formen
transformierbar wären.
Ein Problem könnte sein, dass wir lediglich Binnenkontinuitäten annehmen, wobei uns die
Annahme einer übergeordneten, nämlich dimensionalen Gesamtkontinuität verwehrt ist.
Ich werde grübeln und mich so gut ich kann kundig machen - auch in Bezug auf die
Kobordismentheorie von Rene Thom, für mich als Nicht-Mathematiker natürlich keine leichte
Kost…
Moin Thomas,
mir geht es ähnlich, gleichwohl fasziniert mich der Strukturreichtum der Mathematik, der
ja aus dem bloßen Zählen heraus entwickelt werden kann! Wie die Beziehungen zwischen
Zuständen und Prozessen verstanden werden können, haben Thilo Gross und Bernd Blasius in
"Adaptive coevolutionary networks“ beschrieben:
https://royalsocietypublishing.org/doi/10.1098/rsif.2007.1229
<https://royalsocietypublishing.org/doi/10.1098/rsif.2007.1229>
Mich interessiert ja auch stets der Zusammenhang unseres Erlebens mit den Hirnaktivitäten
bzw. wie Phänomenologie und Physiologie zusammenhängen. Siehe dazu: "Uncovering the
Topology of Time-Varying fMRI Data using Cubical Persistence: … Here, we apply both
clustering and trajectory analysis techniques to a group of participants watching the
movie ‘Partly Cloudy’. We observe significant differences in both brain state trajectories
and overall topological activity between adults and children watching the same
movie":
https://par.nsf.gov/servlets/purl/10300502
<https://par.nsf.gov/servlets/purl/10300502>
Ich wurde in den 1950ern auch noch mit dem Storchschwachsinn zum Kinderkriegen verblödet.
Wird das jemals aufhören?
IT
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