Hallo Ingo,
Die einzelne Person, die sich - unterstellen wir: mit Recht - sagen muss "Ich war
zwar besser, hatte aber die falschen Chromosomen", steht dumm da. Wozu sich
anstrengen, wenn nur eine Geschlechtsumwandlung zum Erfolg verhilft? In den USA gab es ja
schon im akademischen Milieu den Fall eines nachgemachten Angehörigen einer früher
benachteiligten Minderheit.
Aus Gründen der Selbstachtung wird sie es sich sehr oft auch zu Unrecht sagen, was zu
einer Vergiftung der Atmosphäre führt.
Vielleicht könnte man die Standpunkte so zusammenfassen:
Ich finde, es sollte bei Personalentscheidungen nur auf die Fähigkeiten der Kandidaten
ankommen. Ein Anstreicher sollte gut anstreichen, ein Sänger gut singen können etc. Ich
würde so weit gehen, bei der Auswahl meines Zahnarztes oder Herzchirurgen nicht aufs
Geschlecht zu achten und bewundere dein selbstloses Opfer für die gute Sache. Falls du
allerdings in diesen Fällen nicht nach Geschlecht entscheiden solltest, warum dann bei der
Besetzung von Stellen mit hoher gesellschaftlicher Relevanz?
Du findest, wenn es früher auch auf das Geschlecht angekommen ist, sollte es jetzt auch
darauf ankommen, nur umgekehrt. (Andere sachfremde Kriterien, es sei denn, die Hauptsache
bei der Stellenbesetzung ist die Steuerung der Gesellschaft in eine erwünschte Richtung,
sind auch schon im Gespräch.)
Du siehst Gerechtigkeit im Proporz unter Berücksichtigung früherer Disproportionalitäten,
ich in Sachorientiertheit der Entscheidung.
Ich gebe zu, daß mein Standpunkt praktisch nicht so leicht umzusetzen ist, da man
Fähigkeiten nicht immer so eindeutig messen kann wie die Körpergrösse und man ausserdem
von Fähigkeiten reden, insgeheim aber doch nach anderen Präferenzen entscheiden kann.
Machen wir uns nichts vor: Beziehungen, Habitus, gleiche Wellenlänge werden immer eine
Rolle spielen. In allen Milieus. Weil Menschen sind wie sie sind und sich das auch nicht
durch Planung und Steuerung und nicht von Planern, die auch keine Idealwesen sind,
austreiben lassen.
Bei eindeutigen Missverhältnissen könnten Quoten als Korrektiv mit allen Risiken und
Nebenwirkungen ausnahmsweise akzeptabel sein. Hier und heute fände ich sie eher schädlich
als nützlich. Im Nachhinein möchte ja auch niemand darauf angesprochen werden, daß er
seine Position nicht nur seinen Fähigkeiten verdankt.
Claus
Am 27. Nov. 2020, 12:39, um 12:39, Ingo Tessmann <tessmann(a)tu-harburg.de> schrieb:
Am 26.11.2020 um 23:18 schrieb Claus Zimmermann
<mail(a)clauszimmermann.de>de>:
Wir drehen uns im Kreis.
Du sagst: 56 Jahre waren Männer im Kanzleramt, 16 Jahre eine Frau,
die nächsten 40
Jahre sollten es also Frauen sein.
Ich sagte: Das Geschlecht ist kein
Ausschlusskriterium und füge
hinzu: natürlich auch kein Auswahlkriterium. Frau sein
gehört nicht zu
den Anforderungen des Amtes. Es mag zu deinen Wahlpräferenzen gehören,
aber daß du anderen das Recht absprichst, entsprechend ihren
Präferenzen zu wählen und wie auch sonst mit den Folgen zu leben, geht
zu weit.
Was du über Männer und Frauen schreibst, ist
wieder zu allgemein und
sagt nichts über den Einzelfall. Manche Männer können von
manchen
Frauen lernen und umgekehrt.
Hi Claus,
mir ist unterdessen aufgefallen, dass meine Wunschkandidatinnen im
Prinzip Bundeskanzlerin werden könnten; denn "Bundeskanzlerin oder
Bundeskanzler werden kann, wer mindestens 18 Jahre alt ist und die
deutsche Staatsbürgerschaft besitzt. Ein Mandat im Bundestag ist
dagegen nicht nötig. Der Bundespräsident schlägt nach Gesprächen mit
den Bundestagsfraktionen eine Kandidatin oder einen Kandidaten für das
Amt des Bundeskanzlers vor.“ So steht es auf der Homepage der
Bundeskanzlerin.
Eine Bundespräsidentin müsste mind. 40 Jahre alt sein. Aber warum
sollte das Alter eine Rolle spielen und nicht Erwachsensein ausreichen?
Sollten nicht einfach alte von jungen und junge von alten Menschen
lernen können? Ein anderes Beispiel: Als es noch keine Anschnallpflicht
gab: hättest Du dafür plädiert, dass lediglich unangeschnallte von
angeschnallten Autofahrern lernen können sollten?
Inwieweit sollte es nur auf den Einzelfall und nicht auch auf die
historische und gesellschaftliche Situation ankommen? Mit
Quotenregelungen wird versucht, historisch gewachsene, machtpolitisch
erzwungene und gesellschaftlich verbreitete Ungerechtigkeiten
auszugleichen. Und mit der Straßenverkehrsordnung wird auch dem
Gesundheitsschutz genüge getan. Mir kommt es stets auf die
Gesamtsituation an und nicht nur darauf, was ein Amt oder das
Autofahren erfordert. Aber natürlich müssen wir uns nicht weiter im
Kreis drehen.
Es grüßt,
Ingo