Am 26.05.2024 um 04:51 schrieb Karl Janssen über
PhilWeb <philweb(a)lists.philo.at>at>:
Auch hier schreiben wir nicht aneinander vorbei, denn wo könnten wir mit unseren
diesbezüglichen Ansichten eine konvergierende Position finden. Es ging um die Definition,
wann menschliches Leben beginnt und Deine Aussage ist, dass es mit dem ersten Atemzug
eines neugeborenen Kindes, somit postpartal beginnt. Das ist bekanntermaßen die
argumentative Position jener, die in einer Abtreibung bis zur Geburt weder ein moralisches
noch rechtliches Problem sehen. Doch darum ging es ja zunächst nicht, sondern um den von
Claus angeführten Aspekt, dass ein Kind sich bei Gewahrwerdung seiner „Zeugungsmethode“
als eine „erweiterte Reproduktionsmethode“ und somit als Laborratte empfinden könnte.
Moin Karl,
ja, inwieweit könnten christliche Konservative und säkulare Ökoliberale eine
konvergierende Position erlangen? Doch wohl in der Wissenschaft, der Du Dich bisher
jedenfalls aufgeschlossen gegenüber gezeigt hast. Das heute auch bei Kindern Mobbing
genannte Fehlverhalten ist ein grundsätzliches Ausgrenzungsproblem, wie es in allen
Kulturen und Zivilisationen vorkommen dürfte und daher als allgemein menschlich anzusehen
ist. Dabei geht es natürlich nicht nur um Bastard, Hurensohn, Laborratte, Ziegenficker,
Neger, Jude, Streber, Opfer — oder was immer noch so auf Schulhöfen verbreitet ist.
Als ich damals in der Grundschule als Streber und Schwächling wiederholt verprügelt worden
war, ging ich mit dem Klassenstärksten einen Deal ein: half ihm bei den Schularbeiten
dafür, dass er mich gegen die lästigen Übergriffe in Schutz zu nehmen hatte. Fortan hatte
ich meine Ruhe und konnte weiter ungestört mit den süßen Mädels spielen. Idealerweise sind
Ausgrenzungsprobleme untereinander zu regeln, auf jeden Fall aber nicht dadurch, dass in
meinem Fall Strebertum und Schmächtigkeit verhindert werden sollten, sondern
gesellschaftlich Maßnahmen zu ergreifen wären, dass keinem Menschen Ungerechtigkeit
widerführe.
Betrachte ich das Thema unter dem Gesichtspunkt einer
intakten Partnerschaft, bzw. Familie, dann kann ich mir eben nicht vorstellen, wie man
überhaupt an „Reproduktionsmethoden“ wie das Klonen denken kann. Du schreibst, dass Du
Vater und Opa bist und ich frage mich, ob Du in diesem familiären Zusammenhang jemals an
Klonen gedacht hast, oder ob Du das nur als eine Deiner provokativen Thesen hier
vorbringst.
Ich halte das Klonen in der Tat für eine anzustrebende weitere Reproduktionsmethode, setzt
es doch lediglich das natürliche Klonen wie bei homozygoten Zwillingen fort. Dass ich das
nicht für mich in Anspruch nähme, sollte doch nicht für alle gelten. Wer will, sollte es
tun können. Ebenso hätte ich schon längst ernsthafte Forschungsprogramme zur
Parthenogenese auf den Weg gebracht, — wenn ich denn König von Deutschland wäre.
"Der Junge lernt die sexuelle Rolle an der
Mutter, das Mädchen am Vater". An dieses Statement aus meinem Psychologiestudium
(Nebenfach) kann ich mich bis heute erinnern. Wie soll also ein (aus der Samenbank
gekauftes) Kind zweier Lesben das entsprechende Rollenverständnis lernen? Die Normalität
ist nach wie vor die heterogene Familienform. Es bleibt abzuwarten, wie sich künftig
entwickelnde Familienbilder hinsichtlich eines Leitbildes, wie gegenseitiges Vertrauen,
Liebe, wechselseitige Unterstützung etc. bewähren. In Deiner Vergangenheit u.a. als
"Hippie" (womöglich in einer Kommune) wirst Du ja Vor- und Nachteile solchen
Zusammenlebens erfahren haben.
"Der Junge lernt die sexuelle Rolle an der Mutter, das Mädchen am Vater“. Bei wem
hattest Du denn Psychologie studiert? Wenn ich die Kleinfamilie voraussetze, dann mag das
ja so sein. Aber was, wenn nicht? Dabei muss ich gerade an die Mathematik denken, nach der
die Menge der reellen Zahlen überabzählbar sein soll. Vorausgesetzt wird allerdings, dass
es Aktuell-Unendliches gibt. Wie verhält es sich nun bei Alleinerziehenden, in der
Kinderkrippe, im Kindergarten, in der WG, im Kinderladen, in der Kommune, in der Peer
Group— oder wo auch immer? Meiner Erinnerung nach, sollte die Anzahl der Bezugspersonen
bei Kleinkindern möglichst nicht größer als 5 sein. Aber dazu könnten wir u.a. Lehrbücher
zur Entwicklungsspychologie zu Rate ziehen (siehe unter unter PS).
Von Laborratte
hatte Claus geschrieben, wohl in der Absicht, dass Kinder schon vorsorglich vor
Beschimpfungen geschützt werden sollten. Ich halte ein derartiges Ansinnen für absurd;
denn Beschimpfungen gehören zum Lebensalltag und Kindern sollte zu soviel
Selbstbewusstsein verholfen werden, dass sie dem zu begegnen wissen.
Das ist ein wünschenswertes Vorhaben, doch genau jene, die da „gemobbt“ werden, haben
zumeist keine Eltern, die ihnen präventive Verhaltensformen angeben können.
Dann sind gesellschaftliche Lösungen, etwa durch soziale Dienste oder Wohngemeinschaften,
zu finden.
Studienskripte hole ich nicht mehr hervor und Bücher
als da sind, jene von Krecht/Crutchfield, Schönpflug, Zimbardo, Rattner und viele weitere.
Was soll eigentlich diese Frage?? Jetzt stelle ich die Bücher wieder in’s Regal.
Du hattest auf den ggf. problematischen Zusammenhang zwischen vorgeburtlichen und
Kleinkinderfahrungen hinsichtlich des späteren Lebens angespielt. Was sagen denn Deine
genannten Psychologen in ihren Büchern dazu sowie speziell zu den Problemen von
Scheidungs- oder Spender- oder Leihmutter oder Adoptivkindern? Und geht es Heimkindern in
der Regel schlechter als Familienkindern? Früher war das so, aber heute? Ich sehe
jedenfalls die Kleinfamilie nicht als einzige Erziehungsform, sondern ebenso
Gemeinschaftsformen, wie etwa Wohn- oder Verantwortungsgemeinschaften (die es leider noch
nicht gibt).
Gesellschaft ist nicht gespalten? Sicherlich nicht als
Ganzes, doch wie hältst Du es mit der zunehmenden Popularität eben der AFD. Ist das nicht
ein bedenklicher Prozentsatz an Zustimmung bei den üblichen Umfragen? „Merkel ist die
Mutter der AFD“ hat seinerzeit der Salon-Linke Augstein (jun) angemerkt. Wie kommt der nur
zu dieser Aussage?
Womöglich hat er Merkels Grenzöffnung seinerzeit zusammen mit ihrem Appell „Wir schaffen
das!“ gemeint. Dazu halten Ökonomen und Bevölkerungsstatistiker rund 400 Tsd Einwanderer
jährlich zur Wohlstandserhaltung für erforderlich. 2015 kamen über 700 Tsd. Syrier und
2021 über 900 Tsd. Ukrainer ins Land (destatis.de). Auf 8 Jahre bezogen sind das 200 Tsd.
pro Jahr. Das könnte trotz der unsäglichen Kriege in Syrien und der Ukraine als moderat,
wenn nicht wünschenswert angesehen werden, egal was die Faschos von der AfD davon halten.
Gerade werde ja die Kommunalwahlen in Thüringen ausgewertet. Da bin ich gespannt, wie sie
ausfallen und zu deuten sein werden.
Und das ist
schon schlicht possibilistisch gedacht so und hat nichts mit politischer Ideologie zu tun.
So wie Kinder zu lernen haben, mit Beschimpfungen umzugehen, sind Gesellschaften auch in
der Lage, Protesten zu begegnen. Dass Autokraten und Faschisten weltweit Zulauf haben,
liegt kaum an der Familienpolitik, vielmehr an der verbreiteten ineffizienten und
verschwenderischen Lebensweise.
Eine mir kaum zu vermittelnde Ansicht! Einst meinte ein Autokrat, der labile,
verschwenderische Westen ersticke von selbst an seiner Dekadenz.
Autokraten verbreiten Propaganda. Ich hoffe, dass Du die nicht ernst nimmst. Einen
Zusammenhang mit Armut und Hunger gab es schon hinsichtlich der Revolutionen in Frankreich
1789 und Russland 1917, waren doch am 8. März 1917 St. Petersburg massenhaft Frauen unter
dem Motto "Frieden und Brot!" auf die Straße gegangen. In diesem Jahrhundert
werden sich im globalen Süden Durst und Hunger vervielfachen und zu massenhaften
Rebellionen, Bürgerkriegen und Völkerwanderungen führen. Zwei der Bücher, die genauer
darauf eingehen, hatte ich in der Mail vom 21.5. an Claus genannt.
PS. Einige allgemeine und spezielle Bücher zu (Sozial-)Psychologie und Medizin der
Reproduktion und Entwicklung:
David G. Myers: Psychologie
Lieselotte Ahnert (Hrsg.): Theorien in der Entwicklungspsychologie
Arnold Lohaus; Marc Vierhaus: Entwicklungspsychologie des Kindes und Jugendalters
Elisabeth Pracht: Jugendliche aus sozial benachteiligten Kontexten
Lioba Welling: Genetisches Enhancement
Eckart Voland: Soziobiologie
Klaus Diedrich, Michael Ludwig, Georg Griesinger (Hrsg.): Reproduktionsmedizin
Francesca Molfino, Flavia Zucco (Eds): Women in Biotechnology
Shulamit Firestone: The Dialectic of Sex
Detlev Ganten, Klaus Ruckpaul (Hrsg.): Molekularmedizinische Grundlagen von fetalen und
neonatalen Erkrankungen
Vinagolu K. Rajasekhar, Mohan C. Vemuri (Eds): Regulatory Networks in Stem Cells
Lars Ostnor (Ed): Stem Cells, Human Embryos and Ethics
Berthold Koletzko (Hrsg.): Kinder- und Jugendmedizin