Am 15.03.2020 um 01:55 schrieb Claus Zimmermann
<mail(a)clauszimmermann.de>de>:
Eine Begründung im Sinn der Pytagoreer wäre vermutlich, daß sich in der Regel oder im
Lehrsatz eine höhere Ordnung wiederspiegelt. Das kann man natürlich nicht einfach
behaupten. Ist es Erfahrung? Schönheit? Übereinstimmung mit anderen Regeln?
Hi Claus,
Mathematiker erfreuen sich an der Zusammenstimmigkeit bzw. Konsistenz ihrer Strukturen und
Physiker erfahren das naturerschließende Vermögen einiger mathematischer Strukturen. Die
Metaregel der Widerspruchsfreiheit ist also zentral, darüber hinaus aber scheiden sich
schon die Geister und es wird auch für Philosophen interessant.
Wer Widersprüche zulässt, erntet Beliebigkeit und kein beweisbares Wissen, wie es in den
Anfängervorlesungen ja gerne vorgeführt wird. In der formalen Demokratie ist es umgekehrt,
was zählt ist die bloße Willkür zur Erlangung von Mehrheiten. Deshalb träume ich weiter
von der Gelehrtenrepublik, in der Einheit in Freiheit zu erlangen wäre.
Da möchte ich widersprechen. Man versteht eine Melodie
nicht schon, wenn man die Verhältnisse der Saitenschwingungsfrequenzen kennt, die sie
hervorbringen und muss umgekehrt von diesen Verhältnissen keine Ahnung haben, um sie zu
verstehen.
Ich verweise des weiteren auf G. Trappatoni: Fussball ist nicht nur Ding, Dang oder Dong.
Fussball ist Dingdangdong. Soll heissen: nicht alles ist Klang, nicht alles ist Zahl, das
Leben hat mehr im Angebot. Man könnte dagegen sagen, daß man bei quantitativen
Veränderungen nicht unbedingt mehr oder weniger des gleichen, sondern etwas anderes
erlebt, daß also die Quantität die ganze Vielfalt erzeugt. Ein Kausalzusammenhang könnte
bestehen, aber das würde auch bedeuten, daß man das eine vom anderen unterscheiden muss.
Was Saitenschwingungen und ihre Frequenzen sind, versteht auch ein Tauber.
Und ein Tauber spürt auch den Körperschall, sofern er keinen Hirnschaden hat. Aber
Philosophen setzen in der Regel den normalsinnigen und denkenden Menschen voraus. Lass und
das auch tun. Dabei ist unser Erleben genauso quantitativ bestimmt wir das Leben und die
Natur schlechthin. Die fortwährend sich einstellende Zusammenstimmigkeit der vielen
elektrochemischen Quantitäten in unserem Hirn ist es, die uns zu erfreuen vermag oder
einfach Wohlgefühl auslöst. Gefühlte oder versprachlichte Qualitäten sind stets nur die
extrem vereinfachte Oberfläche der vielfach schwellwertgewichteten Quantitäten.
Wir alle werden vom Leben gelebt und merken es zumeist gar nicht. Denk nur mal an die
vielen Vitalparameter, die ein Organismus selbstorganisiert in den Toleranzgrenzen hält.
Uns fallen nur wenige manchmal auf, wie Temperatur, Atmung, Puls oder Schmerz. In der
Labordiagnostik können hunderte dazu kommen, sind aber noch immer nur ein winzig kleiner
Bruchteil der vielen austarierten Quantitäten in uns. Und wie grob nähern Worte unsere
Sinnesvielfalt an! Denk nur mal an die vielen feinen Nuancen in einem Blick oder beim
Sprechen. Oder hinreichend laut erlebte, gute Musik, die nicht nur gehört, sondern auch
tiefensensibel gefühlt wird, es kommt einem doch vor, geradezu im Schallfeld aufzugehen.
Im Vergleich mit dem Zahlenuniversum ist all das natürlich kümmerlich einfach, aber eine
sehr viel bessere Annäherung als durch Worte. Das Wesentliche ist eher fühlbar oder
berechenbar als sagbar. Und überhaupt, die Sprache selbst (und das ganze Universum, in dem
wir leben?) ist doch ebenfalls nur ein winzig kleiner Teil des Zahlenuniversums.
Es grüßt,
Ingo