Am 09.11.2022 um 05:30 schrieb Joseph Hipp über PhilWeb: Noch was zum Zufall. Es muss
stutzig gemacht haben, dass ich Zufall scheinbar auf eine "zufällige Zahl"
reduzierte. Wenn das ein Fehler war, möchte ich gerne wissen, was es denn mehr dazu zu
sagen gibt. Was ist dann zusätzlich zur Zahl, wenn das Wortpaar "Echter Zufall"
gesagt wird? Ist es das, was die Zufallszahl bewirkt? Es fällt mir schwer, das zu finden,
was die Zufallszahl bewirkt, denn wie kann rückwirkend etwas Kausales gesucht werden, das
etwas Zufälliges bewirkt? Deswegen bleibe ich bei der zufälligen Zahl stehen, und suche
nicht weiter. Hierhin gehört auch das Wort Epochäe. Wenn viele zufällige Sachen wiederum
Kausalität zum Vorschein bringen, ist das eine ganz andere Sache. Hier kannst du das Wort
Stochastik verwenden. Diese Sache wurde nicht thematisiert.
IT: "Hi JH, ich hatte schon beantwortet, was echter Zufall ist (Unabhängigkeit) und
auch den Kontext genannt, in dem er u.a. wichtig ist: Simulation. Ansonsten passt zu
„alles ist Zufall“ die Gegenthese D. Dürrs: „Es gibt keinen Zufall.“ Damit leitet er seine
„Einführung in die Stochastik“ ein. Also bleibt wieder nur eine Synthese zwischen den
beiden Extrempositionen, bspw.: „An allem ist Zufall beteiligt“ oder „alles fluktuiert“
oder „stets fällt uns irgendetwas zu“. Zu dem Namen assoziiere ich natürlich sogleich
wieder die These H.P. Dürrs: „Es gibt keine Materie.“ Im Anschluss an die Dialoge Galileis
könnten die beiden Herren zu einem fiktiven Gespräch eingeladen werden. Aber wer wäre der
Dritte im Bunde? Natürlich Dürrenmatt." IT
Allgemein als Zufall wird ein Ereignis angenommen, das ohne erkennbaren Grund eintritt.
Damit ist jedoch noch nicht festgestellt, ob die Verursachung auf einen objektiven (sog.
echten) Zufall oder auf bloße Koinzidenz von Einzelereignissen zurückzuführen ist, die
ihrerseits wiederum die Frage nach echtem oder „unechten“ Zufall aufwirft. Letzterer
spielt m.E. für eine genuin philosophische bzw. metaphysische Betrachtung keine
entscheidende Rolle, denn nahezu alle eindeutig kausalen Ereignisse dieser Lebenswelt sind
mit dem heute verfügbaren naturwissenschaftlichen Kenntnisstand hinreichend erklärt bzw.
aufklärbar. Das spricht für die Annahme eines ausschließlich determinierten Ablaufes des
Weltgeschehens, was jedoch nicht zutreffend ist, denn tatsächlich gilt: „an allem ist
Zufall beteiligt“; und dabei geht es um „echten“ Zufall, nämlich die Unbestimmtheit der
dieser Lebenswelt zugrundeliegenden QM, wo sich objektiver Zufall jeweils an der
Einzelheit ereignet, also z.B, am spontanen Zerfall eines Atomkerns oder als
Strahlungstransit eines angeregten Atoms bzw. Moleküls in den Grundzustand.
Zufall und Notwendigkeit: Derartige Zufallsprozesse bedingen das Entstehen neuer
Elementarteilchen und damit die Bildung neuer Kausalketten (causal sets), die sich als
Weltlinien prozessual in der Raumzeit ausdehnen. Diese neuen Zeitpfeile entwickeln sich
aus spontanen Symmetriebrüchen, also mit echt zufälligen Randbedingungen aus einer
hochsymmetrischen Potentialität. Hier trifft Naturwissenschaft auf Philosophie: „Actus et
Potentia“.
Schnell wird es wieder lebenspraktisch, wie Italo Calvino es beschreibt: „Du wünscht dir,
ein abstraktes und absolutes Raum-Zeit-Kontinuum täte sich auf, in welchem du dich auf
einer präzisen, vorgezeichneten Bahn bewegen könntest.“
Und auch Goethe drückt seine Präferenz oder seine Überzeugung von einem determinierten
Weltgeschehen in verdichteter Form aus:
Das erst' war so, das zweite so
Und drum das dritt' und vierte so;
Und wenn das erst' und zweit nicht wär',
Das dritt' und viert' wär' nimmermehr .
Zusammenfassend sollte deutlich werden, dass weder nur von einem determinierten, noch von
einem ausschließlich indeterminierten Weltgeschehen, sondern von beidem auszugehen ist:
Alles beginnt mit einem Zufall und bildet sich mit kausaler Gesetzmäßigkeit als
raum-zeitliches Kontinuum aus.
Die übliche Vorstellung von Raumzeit als ein Container, also einen über die Zeit
aufgespannten Raum-Quader trügt bezogen auf die tatsächliche Beschaffenheit der
raumzeitlichen Lebenswelt.
Die maßgebliche (metrische) Struktur von Raumzeit ist die Gravitation, jedoch nicht als
ein Quantenfeld, sondern als prozessuale Struktur, als Potentialität zu denken, aus der
die Raumzeit hervorgeht.
Bester Gruß in die Runde! - Karl