...wobei einem Gerichtsurteil, wie du erwähnst, nur mit rechtmäßigen Mitteln erlangte
Beweise zugrunde gelegt werden dürfen. Bei einer außergerichtlichen Meinungsbildung könnte
das anders aussehen.
Am 15. August 2025 17:11:58 MESZ schrieb Claus Zimmermann
<mail(a)clauszimmermann.de>de>:
Dazu fällt mir ein Beispiel ein, dass jedem Fass den
Boden ausschlägt:
Wenn ich richtig informiert bin, ging ein Ölkonzern schon vor zig Jahren davon aus, dass
die uneingeschränkt fortgesetzte Nutzung fossiler Brennstoffe zu einer verheerenden
Erderwärmung führen könnte. Die Konzernleitung stand dann vor der Alternative, Alarm zu
schlagen und das eigene Geschäft massiv zu schädigen oder die Geschäftsinteressen über
alles andere zu stellen.
Wie du sagst, hängt das Urteil der Öffentlichkeit über die Handlungsweise der
Konzernleitung natürlich entscheidend von der Kenntnis dieses Umstands ab. Im einen Fall
würde sie als Menschheitsverbrecher angeklagt, im anderen schlimmstenfall wegen
Fahrlässigkeit.
Du schlägst vor, die Frage, die Frage nach dem urteilsrelevanten Kenntnisstand des
Angeklagten unbeantwortet zu lassen, da man sie ohnehin nie abschliessend beantworten
kann. So verstehe oder missverstehe ich das jedenfalls.
Das bedeutet aber doch meiner und möglicherweise auch deiner Meinung nach nicht, daß man
ihr gar nicht nachgehen sollte - weil sie eben urteilsrelevant ist.
Man urteilt erstens nach bestem Wissen und Gewissen und zweitens im Bewusstsein, daß das
Urteil falsch sein könnte, weil einem z.B. nicht alle urteilsrelevanten Umstände bekannt
waren.
Man würde nicht nach bestem Wissen und Gewissen urteilen, wenn man nicht versuchen würde,
alle urteilsrelevanten Umstände herauszufinden.
Man würde sich überschätzen, wenn man ausschliessen würde, im Nachhinein von Umständen zu
erfahren, die die Handlungsweise des Angeklagten in einem ganz anderen Licht erscheinen
lassen.
So würde ich deinen Vorschlag, die Frage in der Schwebe zu lassen auch als Apell
auffassen, ihr in weiteren Aufklärungsversuchen nachzugehen, auch wenn diese ebenfalls
nicht zu einem perfekten Urteil führen ("fail better").
Claus
Am 15. August 2025 09:50:20 MESZ schrieb "Rat Frag über PhilWeb"
<philweb(a)lists.philo.at>at>:
>Man hat es bereits geahnt, aber ich hatte mit dem Beispiel natürlich
>einen Hintergedanken.
>
>Was wäre, wenn wir in den Beispiel für Person A nicht einen
>Angeklagten vor Gericht einsetzen, sondern z. B. eine Regierung?
>
>Es ist zweifellos bekannt, dass Regierungen durch Geheimdienste über
>Wissen verfügen, welches die allgemeine Öffentlichkeit nicht hat und
>auch nicht haben kann.
>
>Unsere Politikwissenschaft, aber auch die Beschäftigung mit Politik
>durch Publizisten Kommentatoren etc., geht davon aus, dass zur
>Beurteilung der Handlungen der Regierung die der Öffentlichkeit
>bekannten Fakten im Prinzip ausreichen.
>Im 19. Jahrhundert gab es in diesem Zusammenhang einmal das Schmähwort
>vom "beschränkten Untertanenverstand".
>
>In diesem Zusammenhang würden wir dann jedes mögliche Wissen in 4
>Kategorien einteilen:
>1. Wissen, das weder der Regierung, noch der Öffentlichkeit bekannt
>ist. Die Frage der Relevanz erübrigt sich.
>2. Wissen, das der Öffentlichkeit (und damit auch der Regierung)
>bekannt ist. Falls dieses Wissens das Urteil über eine Handlung der
>Regierung verändert, dann hat es das für informierte
>Diskussionsteilnehmer bereits getan.
>3. Wissen, dass nur der Regierung und nicht der Öffentlichkeit zur
>Verfügung steht, welches aber das Urteil der Öffentlichkeit über die
>Handlungen der Regierung nicht verändert. Beispielsweise, dass ein
>verdeckter Ermittler in eine Verbrecherbande eingeschleust wurde oder
>ein Spion irgendwo.
>4. Wissen, über das nur die Regierung verfügt, welches aber das Urteil
>über die Handlungen durch die Öffentlichkeit verändern würde. Mit
>anderen Worten, "gute Gründe", die aber geheim sind.
>
>Damit so etwas wie Beurteilung der Politik mit wissenschaftlichen oder
>ernsthaften journalistischen Methoden möglich ist, muss (4) leer sein.
>Gleich Null.
>
>Eine Möglichkeit, diesem Problem auszuweichen, ist die Annahme einer
>strengen Deontologie. Der Glaube daran, dass sich Handlungen immer von
>selbst verbieten und es keine rechtfertigenden Gründe, zumindest für
>Regierungen, geben kann.
>
>Natürlich lässt sich der Gedanken auch spielend verallgemeinern auf
>jede andere "Person A". Sofern sie über Geheimnisse verfügt, das ihre
>Handlungen möglicherweise (!) rechtfertigt. Beispielsweise der Chef
>eines Großkonzerns oder so.
>
>Meines Erachtens muss eine Person, die weise sein will, die Frage zu
>einem gewissen Grad unentschieden lassen, ob solches Wissen existiert,
>oder?
>_______________________________________________
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