Am 18.01.2020 um 18:45 schrieb Claus Zimmermann via Philweb:
Wenn die Physik mit der Erfahrung nichts mehr zu tun haben und nur
noch Theorie sein wollte, würde ich das erstaunt zur Kenntnis nehmen.
Aber "Erfahrungswissenschaft ohne Erfahrung" - da würde ich nur noch
gutes Gelingen wünschen.
Ja, ganz klar! Denn Physik (an sich) ist ja in erster Linie die Physis
unserer Lebenswelt, die wir (soweit erkennbar) zu verstehen suchen und
und demnach auch (mit den Mitteln naturwissenschaftlichen
Sprachgebrauchs) beschreiben wollen. Nebenbei sollte man nicht
übersehen, welch diesbezüglich grandiose Beschreibung durch abbildende
sowie literarische Kunst geboten wurde und wird.
Nun möchte ich aber nochmal auf die von Dir geäußerte Mutmaßung bzgl.
Gibbs Artikel „A Universe Programmed with Strings of Qubits“ zurückkommen.
Cz: „..liegt das vielleicht daran, daß die Realität, von der hier die
Rede ist ("It has been suggested that reality works like a quantum
computer"), nicht die des Alltags ist, denn da treten ja keine
Quanteneffekte auf, und daß man eine Rechnung in diesem Fall auch unter
dem Aspekt eines Experiments auf Quantenebene betrachten kann. Soweit
meine Mutmaßungen dazu.“
Ich denke, dass diese Differenzierung zutrifft, soweit sich die
Vorstellung von „Alltag“ auf gesellschaftlich alltäglichen Umgang mit
„Lebensrealität“ bezieht. Hingegen der von Gibbs beschriebene
Realitätsbegriff sich m.E. darauf ausrichtet, was hier unter dem Thema
möglicher Abbildung von Unendlichkeit in Endlichkeit angesprochen wurde.
Solche Differenzierung vorzunehmen, ist m.E. wichtig, um nicht Gefahr zu
laufen, bei dieser Thematik in Spekulation und halbseidenes Geschwätz zu
verfallen:
„Aus dem Meer unendlicher Möglichkeiten verwirklicht sich mein HÖHERES
SELBST als mein ICH im Hier und Jetzt.“ Hinter dertigem, seit geraumer
Zeit aus diversen Kreisen (sich umfassend gebildet glaubender
Zeitgenossen) oft zu vernehmenden Spruch, verbirgt sich (so geschwollen
sich dieses ESO/EGO-Geschwätz auch anhören mag) jedoch auch ein
tatsächlich existierender Zusammenhang.
Ebenso hoch spekulativ Gibbs (im o.a. Artikel), aber immerhin auf
fundierte Kenntnis diesbezüglich aktuellen Forschungsstands gründende,
insbesondere auf die String-Theorie bezogene Vermutung (ungeachtet des
grundsätzlich beim Stringansatz konzeptionellen Problems aufgrund seiner
Hintergrundabhängigkeit.): „If a consistent formulation of string theory
constructed from quantum bits can be found, it may be possible to
understand the vast landscape of possibilities better and reverse
engineer the program that codes our universe.“
Bezogen auf die von mir zuletzt hier beschriebene einzigartige
Funktionalität von Quanten-Rechnern, nämlich aus einem sehr großen
Werte-Input (eben „the vast landscape of possibilities“), ein mit
höchster Wahrscheinlichkeit zutreffendes Resultat zu ermitteln, gleicht
das der Suche einer Nadel im Heuhaufen. Und diese „Nadel“ ist unsere
„irdische Realität“ sowie gleichermaßen, wie Leibniz zurecht
postulierte: „die beste aller möglichen Welten“.
Um deren intrinsische Zusammenhänge verstehen bzw. beschreiben zu
wollen/können, wäre es natürlich ideal, diese per Rückverfolgung
(revers-engineering) eines kosmischen „Progamm-Codes“ erforschen zu
können. Unbenommen der Hypothese, dass eine (welcher Programmidee auch
immer folgenden) Codierung des Universums vorliegt, müsste zur
Dekodierung dieses Programmcodes neben dessen hinreichender
Vollständigkeit vor allem auch fundierte Kenntnis des für die
Interaktion zwischen Programm und „Hardware“ eingesetzten
Kommunikationsprotokolls gegeben sein.
Revers-Engineering von komplexen, gegenwärtig eingesetzten
Computerprogrammen ist ein hartes Geschäft, das ich (insbesondere zwecks
Portierung bewährter, jedoch nicht ausreichend dokumentierter Software
auf modernere HW-Plattformen, vermutlich wie tausende IT-Arbeiter der
asiatischen Welt – dort aufgrund anderer Motive) nur zu gut
kennengelernt habe. Dabei geht es hierbei „lediglich“ um sequentiell
ablaufenden Code (wenngleich auf parallel arbeitenden Prozessoren).
Welch irrsinniger Aufwand für die Rekonstruktion von (parallel
ablaufendem) Quellcode eines (angenommen kosmischen) Qubit-Rechners zu
erbringen wäre, ist kaum vorstellbar und definitiv nicht mit bislang
verfügbaren IT-Werkzeugen, sondern allenfalls wiederum nur von
Quantenrechnern zu leisten, deren dafür einzusetzende
Anwendungsprogramme erst erdacht und codiert werden müssten.
Und überdies: Welcher Mensch wollte das Ergebnis (als
Wahrscheinlichkeitsaussage) zutreffend interpretieren und vor allem
gilt: cui bono? Sollten Menschen darauf basierend ein re-engineering
(re-factoring) anstreben, wollte ich augenblicklich zu den Kreationisten
überlaufen, solches Ansinnen also nie und nimmer von Menschenhand
verwirklicht sein lassen.
Erfolgsversprechender, als kosmische Codes zu knacken, erscheint mir,
sich um tieferes Eindringen in augenblicklich vorliegende Denkmodelle
und diverse Theorien der Quantengravitation zu bemühen (durchaus auch
unter der Prämisse eines „computational designed“ Universums oder
beispielsweise mit „spielerischer“ Annäherung durch Beschäftigung mit
Zellulären Automaten).
Gravitation als fundamentale Kraft, mit ihrem dominant prägenden
Einfluss im gesamten Universum, bei der Entwicklung von Theorien
subatomarer Teilchen anfangs zu vernachlässigen bzw. nicht zu
berücksichtigen, hat sich offensichtlich als nicht haltbar erwiesen; der
Versuch jedoch, dieses nun zu erreichen, wird wohl solange scheitern,
wie man Gravitation nicht in aller Tiefe und Konsequenz versteht. Ebenso
wird es ohne wirkliche Kenntnis dieser Zusammenhänge kaum gelingen,
konkreten Zugang zur Formulierung eines zellulären Automaten zu erhalten
(vgl t‘Hooft).
Mein Schwerpunkt liegt bei der Betrachtung dieser „Szene“ derzeit eher
auf Theorien, die von einer emergenten Raumzeit/Gravitation ausgehen.
(als die augenblicklich mir eingängigste These u.a. von Erik Verlinde:
https://arxiv.org/pdf/1611.02269v1.pdf).
Hier sucht man in einer Theorie der Quantengravitation nicht nach den
Quanteneigenschaften von Gravitation und Raumzeit (dort unter diesem
Aspekt ohnehin nicht relevant), sondern nach denen eines (Emergenz
voraussetzenden) Substrats, auf dessen Grundlage sich Gravitation und
klassische Raumzeit ergeben. (Verlinde: „Gravity emerges from this
quantum information theoretic viewpoint as describing the change in
entanglement caused by matter.“)
Der Ansatz dabei ist also nicht, die Raumzeitstruktur von ihrer bislang
klassischen Interpretation in eine „quantifizierte“ zu überführen,
sondern eben, um die Beschreibung einer dafür anzunehmenden
prä-raumzeitlichen Trägersubstanz, aus der Raumzeit und Gravitation
hervorgehen. Selbst wenn dabei sogleich kein konkret vorstellbares
Modell der Emergenz von RaumZeit und Gravitation entstehen wird, sollte
deutlich die von Quanteninformationsflüssen induzierte relationale
Struktur dieses (in diesem Denkmodell angenommenen) prä-geometrischen
Substrats erkennbar werden.
Die Korrelation von Trägersubstanz und organisierender Struktur
(Kopplung von Materie- und Geometrogenese) durch Koppelungsprojektionen
(sofern ich es richtig interpretiere, könnten diese ggf. im Kontext
dessen stehen, was it hier angesprochen hat: „Dass beispielsweise die
Kegelschnitte Lösungen des Gravitationsgesetzes sind“).
Informationstechnisch formuliert, würde diese wechselwirkende Dynamik
von Quanteninformationsflüssen bestimmt und Raumzeit dabei sekundär
gegenüber diesem prä-raumzeitlichen Substrat sein.
Solchermaßen Emergenz der phänomenologischen Raumzeit annehmend, könnte
in diesem Zusammenhang das (bereits hier erwähnte) Holographische
Prinzip als Indiz für die Existenz des eingangs erörterten
computationalen Universum gesehen werden. Und so schließt sich ein Kreis
in meiner Erörterung: Zur rechnergestützten Transformation einer
phänomenologischen Beschreibung unseres vermeintlich „realen“ und
dennoch „vorgegaukelten“ raumzeitlichen Weltgeschehens in die der
(konkret auf physikalisch wirksamen Freiheitsgraden beruhenden)
Lebenswelt wäre die damit zu leistende Datenreduktion (Dekompression)
mit derzeit verfügbaren Werkzeugen der IT nicht zu leisten.
Bleiben also zunächst unsere heute verfügbaren informationstechnischen
Werkzeuge (immerhin Hochleistungsrechner, auch im Zusammenschluss
vernetzter Digitalcomputer), die per Computersimulationen zum tieferen
Verständnis komplexer mikro- wie makroskopischer Strukturen beitragen
oder sich diesen zumindest „künstlich“ anzunähern ermöglichen.
Zelluläre Automaten sind solche vielversprechenden Simulationsmodelle
eines „digitalen“ Universums.
Was ebenso bleibt, ist die hoffentlich nicht endende Lust, hinter die
„Schleier der Natur“ (so sinnvoll und gütig sie sind) schauen zu wollen.
Zu beschreiben, was man „sieht“ und denkt, leisten Philosophen und
Naturwissenschaftler auf ihre Weise, ganz offensichtlich in zunehmend
„mathematisiertem“ Sprachgebrauch.
Bester Gruß an Dich und in die Runde! - Karl
NB: Vermutlich hängt meine Präferenz zum Denkmodell des holographischen
Prinzips auch damit zusammen, dass es mir in den Vorlesungen (Stanford)
von Susskind auf die im eigene, unvergleichliche Art nahegebracht wurde.
Irgendwie überträgt sich dabei die, trotz aller Theorie, erdverbundene
Gelassenheit bzw. ein Urvertrauen vermittelnde Energie, die er mit
seinem Freund Feynman (Gott habe ihn selig!) gemein hat. Susskind so in
seinem Element zu erleben, kann man sich Yoga, autogenes Training,
Stuhlkreise in blütenduftgeschwängerten Räumen ersparen, wenn man zur
Ruhe kommen will.
Aber auch andere Vertreter dieser Denkrichtung ziehen mich in ihren
Bann, über die zu diskutieren hier (immer auch gern in philosophischer
Konnotation) interessant wäre.