Am 01.06.2020 um 22:00 schrieb Rat Frag via Philweb
<philweb(a)lists.philo.at>at>:
Die Analogie zur Unschuldsvermutung scheint mir nicht haltbar zu sein.
Hi Rat Frag,
weil Rechts- und Seinsphilosophie nichts miteinander zu tun haben? Ist Schuld
menschengemacht, das, was es gibt aber vorgegeben? Gehen wir methodisch konstruktiv vom
(Tat- und Sprach-) Handeln aus, dann sollte sich das Mundwerk am Handwerk orientieren, um
verständlich zu bleiben. Betrachten wir doch einfach die gegenwärtige Situation in der
Covid-19-Pandemie. Gibt es das SARS-CoV-2 überhaupt? Das beweisen die vielfach
vorgenommenen mikroskopischen Aufnahmen und biochemischen Analysen. Und ob sich ein Mensch
damit infiziert hat, beweist mindestens ein positiver Test.
Nach den Regularien des Infektionsschutzgesetzes und den speziellen Rechtsverordnungen
werden positiv getestete Menschen ihrer Freiheit beraubt und in häusliche Quarantäne
gesteckt. Und solange den Infizierten keine Verstöße gegen die Quarantäne nachgewiesen
werden können, gelten sie als unschuldig.
Die rechtlichen Regelungen werden im Parlament, die technischen Regeln im Experiment
bestimmt. Wer gegen keine rechtliche Regelung verstoßen hat, gilt als unschuldig, was
nicht experimentell nachweisbar ist, gilt als nichtexistent. Ein Schuldspruch unter
Berufung auf das Infektionsschutzgesetz setzt also gleichermaßen technische wie rechtliche
Beweise voraus.
Aber wie weit reicht die Analogisierung von Recht und Technik? Zunächst einmal gelten die
Unschuld der Menschen und die Nichtexistenz der technischen Artefakte voraussetzungslos.
Die Artefakte müssen erst hergestellt werden und funktionieren und den Menschen muss im
Prozess ihre Schuld nachgewiesen werden. Erst dann gibt es im Prinzip (und tatsächlich
etwa seit der Steinzeit) Schuldige und Artefakte.
Ist es das Herstellungsparadigma, das Dich stört? Aus Menschen werden Schuldige, aus
Natürlichem Artefakte gemacht. Mensch und Natur bleiben zunächst einfach vorgegeben. Aber
hat der Zivilisationsprozess daran prinzipiell etwas geändert? Graduell natürlich, denn
heute leben wir (umstellt von Artefakten) im Technotop und niemand ist mehr gesund und
unschuldig hinsichtlich der medizinischen Genauigkeit und Rechtsvielfalt. Was bleibt ist
aber der Nachweis, der jeweils zu führen ist, egal ob es um Tat- oder Sprach-Artefakte
geht.
Daran ändert auch die Verfeinerung von Mundwerk und Handwerk zu Mathematik und Technik in
der Physik nichts, denn was von der vorhandenen Natur nach Rechnung und Experiment bleibt,
ist lediglich die Quantität der gemessenen Größe. Und bis zu deren Bestimmung gilt die
Nichtexistenzannahme, z.B. für die bisher nur berechneten KK-Teilchen oder Micro Black
Holes.
Irgendwie traue ich deinem Argument nicht. Nimmst du
zur Entscheidung
nicht genau den Grundsatz in Anspruch, der hier in frage steht?
Kann das zulässig sein?
Welche „Entscheidung" meinst Du? Wer etwas als existent behauptet, hat es zu
beweisen! Das ist eine Aufforderung, keine Entscheidung. Oder beziehst Du Dich auf die
Unterscheidung von Existenz und Nichtexistenz? Zwischen beiden gibt es allerdings eine
grundsätzliche Asymmetrie, denn die Nichtexistenz ist unendlich vieldeutig. Deshalb lassen
die meth. Konstruktivsten keine Widerspruchsbeweise zu, wenn es um Unendlichkeit geht.
Affirmation und doppelte Negation sind in der konstruktiven Logik nicht äquivalent.
Es grüßt,
Ingo