Hi JH,
Du bist vom Unterscheiden eines Mechanismus und Organismus übergegangen zum Unterschied
zwischen Mengenlehre und formaler Logik. Die Mathematisierung der Logik begann ja mit
"The Laws of Thought“ durch Boole 1858. Mit seiner Algebra gilt er als Vater der
Digitaltechnik. 1868 legte Maxwell mit "On governors“ die erste control theory vor
und gilt damit als Vater der Regelungstechnik. Lotka und Volterra veröffentlichten ihre
Ratengleichungen zum Verständnis von Reuber-Beute-Beziehungen 1925/26.
Sowohl Maxwell als auch Lotka/Volterra formalisierten die jeweiligen Rückkopplungseffekte
mit Differentialgleichungen. Dabei setzten sie reelle Funktionen mit reellen Parametern in
Beziehungen und glichen sie mit Messwerten bzw. Felddaten ab. Zum Simulieren wird also der
gleiche Formalismus verwendet, egal ob es sich um Mechanismen oder Organismen handelt.
Wiener knüpft 1948 mit seiner Kybernetik verallgemeinernd daran an. Heute ist die
Regelungstechnik in den Ingenieurwissenschaften Teil der technischen Systemtheorie. Und
mathematisch sind Kontrollsysteme ein kleiner Teil der Theorie Dynamischer Systeme.
Und jetzt kommst Du mit der Anmerkung, dass zwischen Mengenlehre und formaler Logik nicht
von Simulation gesprochen werden könne. Darum ging es bei Maxwell und Lotka/Volterra
überhaupt nicht. Die simulierten Fliehkraftregler bzw. Räuber-Beute-Beziehungen. Dabei
wurden Messwerte bzw. Felddaten in die Analysis abgebildet, weder in die Mengenlehre noch
in die formal Logik. Solltest Du auf die mengentheoretische Grundlegung der Analysis
anspielen, erinnere ich Dich daran, dass Lorenzen bereits 1965 in „Differential und
Integral“ eine methodisch konstruktive Begründung der klassischen Analysis vorgelegt
hatte.
Lorenzen, Tarski und Wiener gehören zu den scharfsinnigsten Denkern des 20. Jahrhunderts.
Ein fingiertes Streitgespräch zwischen ihnen wäre eine interessante Herausforderung, aber
nicht nur über Mengenlehre vs. f. Logik, sondern über Mathematik überhaupt. In der
konstruktiven Mathematik kommt Mengenlehre ebenso wie klass. Logik nicht wesentlich vor.
Das Thema hätte sich schnell erledigt — und es könnte zu Grundsätzlicherem übergegangen
werden.
Hinsichtlich der Kybernetik ist historisch anzumerken, dass Kontroll-Wasseruhren bereits
im alten Ägypten verwendet wurden. Siehe dazu "Origin of Stability Analysis: "On
Governors" by J.C. Maxwell“, by Chul-Goo Kang:
https://ieeexplore.ieee.org/document/7569049
<https://ieeexplore.ieee.org/document/7569049>
Warum nur hat es Jahrtausende gedauert, bis sich ein Theoretiker der Kontrollprobleme
annahm? Spielte vielleicht der Erfolg der Dampfmaschine eine Rolle, für die der Praktiker
Watt 1788 den Fliehkraftregler entwickelt hatte?
IT
Am 25.03.2023 um 15:00 schrieb Joseph Hipp über
PhilWeb <philweb(a)lists.philo.at>at>:
Im Formalismus verschwinden natürlich die
Unterschiede zwischen einem mechanischen Fliehkraftregler und der biologischen
Räuber-Beute-Regulation.
Der Formalismus, also die Berechnungen mögen genauso gut auf den einen wie den anderen
Fall dieselben Resultate zur Folge haben, also mathematisch korrekt sein, also die
schwarze Kiste der einen wie der anderen Art wird korrekt von außen beschrieben, also die
mathematische Genauigkeit kann im Extremfall auf sehr viele Stellen hinter dem Komma genau
sein und die Zahlenresultate könnten gleich sein. Wenn jedoch die zweite Kiste geöffnet
wird, dann staunen die Berechner, dass bei beiden nicht dasselbe innen ist. Und das ist
das Entscheidende. Dieses Problem ist bei jeder Simulation vorhanden. Simulation hin oder
her, Formalismus hin oder her, das spielt keine Rolle. Zwischen Mengenlehre und formaler
Logik, kann nicht von Simulation gesprochen werden. Das eine ist keine Simulation des
anderen, sondern eine wirklich Ersetzung im formalen Gebäude ist möglich. Zumindest Alfred
Tarski (
https://de.wikipedia.org/wiki/Alfred_Tarski) hatte einen bestimmten Ausdruck für
die Korrespondenz der zwei Sachen (Mengenlehre vs. f. Logik), ich erinnere mich, dass er
schrieb: "Das eine ist eine Interpretation des anderen." Genau das ist keine
Simulation. Dessen Beiträge bzw. die Literatur dazu kennst du sicher besser als ich. Wenn
du hier nur Wortunterschiede bei Tarski vs. Wiener denkst, dann könnte in dir Tarski mit
Wiener streiten, ich würde das Streitgespräch gerne lesen. Ach so, du kannst es auch
selbst als Dialog zwischen beiden schreiben oder einen mathematischen Beweis vorlegen. Mit
einem oder dem anderen wäre ich hochhimmeljauchsend zufrieden.