Wie ich diese Beiträge im Moment nur diagonal überfliegen kann, fällt wieder einmal der
gewaltige Unterschied zwischen grundsätzlich den Menschen innewohnenden Anlagen auf, die
Lebenswelt in all ihrer ebenso nicht minder angelegten Vielfältigkeit zu sehen und zu
beurteilen.
Welche Mittel stehen zur Verfügung, Menschen dahingehend zu verbinden, um diese
unvermeidlichen Unterschiede zu überbrücken?
Vermutlich zunächst jene hier kürzlich thematisierten Elemente gesellschaftlichen
Zusammenlebens, wonach es keine Gerechtigkeit ohne Gnade geben kann; diese entspricht (wie
schon beschrieben) der Billigkeit in juristischer, der Barmherzigkeit in christlicher und
der Nachsicht in humanistischer Sicht.
Gerechtigkeit hat auch mit Verteilung/Zuteilung zu tun. Diese bezieht sich nicht nur auf
materielle Güter (soziale, finanzielle Absicherung usf.) sondern auch auf die
"Zuteilung" mentaler Befähigung (sehr abstrakt ausgedrückt); es ist nun aber
nicht jedem gegeben, sich in mathematische Gefilde zu begeben, die jene der Grundarten des
Rechnens und Zählens übersteigen. Und so ist es eben kaum möglich, entsprechende
Bildungsangebote in allen gesellschaftlichen Schichten zu etablieren; teils, weil diese –
aus benannten Gründen - gar nicht angenommen werden können, teils weil die Struktur einer
offenen Gesellschaft (in Form einer Demokratie) derartige Bildungsangebote nicht zwingend
umsetzen resp. durchsetzen kann (und auch nicht soll).
Meiner Erfahrung entsprechend bieten sich in unserem Land bereits heute alle Möglichkeiten
(sowohl in den schulischen, wie auch den berufsbegleitenden Einrichtungen z.B. des sog.
zweiten Bildungswegs), sich in den elementar bedeutenden Wissensgebieten aus- und
fortzubilden. Dazu gehören sicher die sog. MINT-Fächer und natürlich auch
Philosophie/Psychologie/SoWi.
Nur sollte man nicht davon ausgehen, dass z.B. jeder die Methoden der höheren Mathematik
beherrschen muss, um sein Leben zu meistern! Zudem muss hierzu nicht jeder als
„zahlenjonglierender oder sonstwie ausgestatteter Wissenstank“ fungieren.
Dieses zu sehen, würde der Nachsicht mit Menschen entsprechen, die beispielsweise mit
diesen hier in philweb behandelten Themen nun rein gar nichts anfangen könnten. Und auch
unter uns gilt es gegenseitig Nachsicht zu üben, da wir nun einmal - und Gott sei Dank -
unterschiedlich veranlagt sind.
Insoweit relativiert sich Deine Feststellung Ingo: "Und dass viele Leute auf der
Straße in der BRD kaum eine Ahnung von Mathe haben, halte ich für einen
Bildungsskandal"
Selbstredend ist wissenschaftlich betriebene Stochastik kein Thema für den Bürger auf der
Straße, es sei denn, er ist "zufällig" Postdoc einer mathematischen Fakultät.
Sozialämter arbeiten sicherlich nach den Methoden der Stochastik oder
Versicherungsmathematik, diese werden dort aber nicht betrieben, sondern für die
Mitarbeiter werden dementsprechende (quasi als "zugeschnittene
Größengleichungen" für vor Ort praktikabel – meist als Tabellen - einsetzbare)
Arbeitsmittel durch die Wissenschaft bereitgestellt.
Als eine die Menschen verbindende Brückenfunktion kann also die einvernehmliche Einsicht
darin bestehen, dass wir uns alle gegenseitig brauchen und dabei genau den Umstand der
unterschiedlich gegebenen Veranlagungen, Befähigungen und sozialen Stellungen zu nutzen
wissen. Die Reinigungskraft ist genauso wichtig wie die mit der Leitung einer
Arbeitsstelle betraute Person.
Vielleicht noch eine Anmerkung zum Zufall: Vorhin habe ich den letzten Rest meiner
Kaffeetasse in das helle Keramikbecken der Küche geschüttet und diesmal bewusst die
überall im Becken (wie zufällig!) verteilte Kaffeespritzer wahrgenommen.
Die Art dieser Verteilung mag zufällig erscheinen und sie würde wohl auch hinreichen,
diese demgemäß quasi als Zufallsgenerator (geringer Permutationstiefe) zu nutzen.
Dennoch handelt es sich nicht um objektiven (absoluten) Zufall! Die Verteilung erfolgte
exakt nach den Regeln der Physik gemäß den Stoßgesetzen und der Gesetzmäßigkeit
„Einfallswinkel = Ausfallswinkel“.
Die Lebenswelt ist eben nicht vornehmlich dem Zufall ausgesetzt, sondern geht mit Zufall
und Notwendigkeit einher, d.h. das Weltgeschehen vollzieht sich weit überwiegend
determiniert in wohl abgestimmter Symmetrie mit minimalen (zufällig erfolgenden)
Symmetriebrüchen (z.B. Mutationen).
Kausalität als Element von Determination ist damit nicht ohne (wenngleich sehr geringem)
Einfluss objektiven Zufalls gegeben.
Im Verhältnis Ursache-Wirkung kann sich aber durch Überlagerungen bzw. durch Aufschaukeln
eine enorme (nahezu nicht vorhersagbare) Verstärkung ursächlicher Anfangsbedingung ergeben
(Resonanzkatastrophen, Wetterphänomene oder die durch den sog. Schmetterlingseffekt
beschriebenen Auswirkungen). All dies muss ich Dir, Ingo natürlich nicht erzählen.
Wahrscheinlichkeit spielt dabei insoweit eine herausragende Rolle, als immer das
Wahrscheinlichste des Wahrscheinlichen eintritt und somit mit den Methoden der Stochastik
berechnet werden kann und damit auch hinreichend für die Alltagswelt nutzbar festlegbar
ist (wie in meinem Beitrag bzgl. der FPG beschrieben).
Bester Gruß an Dich und in die Runde! - Karl
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Am 02.06.2021 um 22:25 schrieb Ingo Tessmann via
Philweb <philweb(a)lists.philo.at>at>:
[Philweb]
Am
02.06.2021 um 17:15 schrieb Joseph Hipp via Philweb <philweb(a)lists.philo.at>at>:
Das mag gut zitiert sein, aber hat Mandelbrot die Differenzierung, die ich mache: Zufall
A, der im Geschehen eintritt und Zufall B, der an der Sache gesehen wird, gemacht? Und
Analogien sind nicht immer korrekt anwendbar. Hast du einen Kriterienkatalog für erlaubte
und nicht erlaubte Analogien? Mit Mathematik bespickt? Was sind schon Phasen. Was für eine
Phase ist dem Lauf eines Rehs vor ein fahrendes Auto zuschreibbar? eine milde? Sind
"wir" da nicht bei den Kategorien der Naturphilosophen, die in deine Kategorie
Schwadronieren vs. Nicht-Schwadronieren eher zum ersten gehören?
Hi JH,
ich habe nicht zitiert, sondern sinngemäß Gedanken aus den Autobiographien Mandelbrots
und Wieners übernommen. Entspricht "im Geschehen" oder "an der Sache“ nicht
der Zeit- oder Scharbetrachtung? Die Analogien zwischen Phasen und Verteilungen sind
natürlich überflüssig, sie dienen lediglich der Veranschaulichung und sind für den
Mathematiker irrelevant, der hält sich an die Levy-Verteilungen - und nach denen wird auch
der Wildwechsel formalisiert werden können. Für das Wild kommt natürlich nur eine wilde
Verteilung infrage.
Mathematik kann sich separat zu allem noch so
verfeinern, je feiner sie wird, um so weniger wird sie gebraucht. In unserer alltäglichen
Welt finden Gleichungen ersten Grades oft Anwendung, zweiten Grades auch noch viele, je
höher es geht, um so weniger Anwendungen gibt es. Dass Mathematik in den extremen Mikro-
und Makrobereichen sehr komplex gebraucht wird, ist nicht neu. Für diese Sachen bin ich
wie jeder, den du auf der Straße begegnen kannst: nicht fähig, nicht .. usw.
Je weniger ich das Technotop, in dem wir leben, zu verstehen gedenke, desto weniger Mathe
brauche ich natürlich. Aber ist es lebenswert, sich ahnungslos dem universellen GPS oder
den Such- und Bewertungsalgorithmen im Internet zu überlassen?
Andererseits habe ich dir präzise Fragen
gestellt, die du mir nicht beantwortet hast, trotz hoher mathematischer Kenntnisse, weder
mit Wörtern, Sätzen, noch mit mathematischen Formeln. Du hättest ja mathematisch darlegen
können, wie sehr das Wort Zufall von der Person abhängt, die es benutzt. Wie viel
Mathematik wird bei einem Strafverfahren benötigt? In einem Sozialamt? Für den Raketenbau
braucht es viel mehr Mathematik, aber die Beförderungsmittel sind es ja, die ziemlich viel
verursachen, bevor das überhaupt berechnet wurde. Hier hinkt Mathematik nach, oder sie
kommt nicht an, wo sie ankommen könnte. Dann beschreibe dieses Nicht-Nachkommen-Können
mathematisch! Und nicht mit Wörtern wie milde, langsam, wild. Frag die Leute auf der
Straße mit diesen Wörtern anfangen können. Sicher denken sie dann nicht an Phasen des
Zufalls.
Zufall und Person hatte ich doch in Verbindung mit der Wettervorhersage erwähnt. Und für
das Betreiben eines Sozialamtes wird sehr viel Statistik und Versicherungsmathematik
gebraucht. Und dass viele Leute auf der Straße in der BRD kaum eine Ahnung von Mathe
haben, halte ich für einen Bildungsskandal. Gemäß arrogantem deutschen Kulturdünkel gilt
es noch immer als schick, mit Mathe-Ahnungslosigkeit zu kokettieren. Aber zum Glück gibt
es neuerdings junge Leute, die dem Motto folgen: Unite behind the science!
IT
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