Am 14.12.2021 um 19:22 schrieb Joseph Hipp via Philweb:
[Philweb]
Am 14.12.21 um 18:07 schrieb Karl Janssen via Philweb einige Sätze,
die ich überwiegend übergehe und anderen zum Besprechen überlasse, ich
picke mir nur einen heraus:
So beispielsweise die Frage bezüglich der
Sinnhaftigkeit dieser
Lebenswelt. Wenn deren Sinnfreiheit postuliert wird, impliziert das
die Auffassung bzw. das Argument von Beliebigkeit: Leben und Welt
könnten sinnvoll aber ebenso sinnlos sein.
...
Dieser Argumentation würde sich etwa (der von mir
kürzlich erwähnte)
Kierkegaard vehement widersetzen: Entweder - Oder.
Wie kam er dazu?
Entweder hat Lebenswelt Sinn und damit Zweck oder
eben nicht.
Hier ist ein neues Wort dazu gekommen, ich habe Schwierigkeiten. Wenn
eine Sinnbehauptung Antwort auf ein Warum gibt, dann Zweck Antwort auf
eine Frage nach dem Wozu, so scheinen die Wörter üblicherweise
verwendet zu werden, wenn sie gegenüber gestellt werden oder
nebeneinander vorkommen. Wenn sie gleichbedeutend benutzt werden ist
der Satz nichtssagend. Beispiel: "Entweder hat Lebenswelt Sinn und
damit Sinn oder eben nicht."
Die Sache hier ist sinnvoll, weil jemand ihr einen Sinn gegeben hat,
und in der Zukunft besteht dieser Sinn weiter, er wird nur Zweck genannt.
Hä!
Entweder Karl erklärt mir seine Sätze anders, oder schreibt, dass ich
schlecht gelesen habe, oder dass ich Haarspalterei getrieben habe. Ok,
dann kann das was hier oben steht, weggemacht werden, wie die Farbe
von der Sache, und Karl kann seine Sätze stehen lassen oder gar
wiederholen.
Zu meinem Glück liest Du meine Beiträge auf eine Dir sehr eigene Art.
Diesen vorteilhaften Umstand möchte ich zugegebenermaßen spontan
bisweilen tatsächlich als „Haarspalterei“ abtun, sehr zu Unrecht, wie es
sich immer wieder zeigt!
Zwingt diese Art einer Korrektur doch zu präziser und möglichst
durchdachter Wortwahl und dementsprechender Satzgestaltung.
Doch zunächst und überhaupt zu Kierkegaard.
Ich schrieb (s.o.): Dieser Argumentation (Beliebigkeit hinsichtlich
einer Sinnhaftigkeit der Lebenswelt) würde sich etwa (der von mir
kürzlich erwähnte) Kierkegaard vehement widersetzen: Entweder - Oder.
Deine darauf bezogene Frage, Joseph, „Wie kam er dazu?“ kann ich nicht
in Kürze beantworten. Dazu ist diese Figur (eben als Philosoph, als
Theologe und genialer Literat) zu vielschichtig angelegt.
Wer ihn nicht schon in seinen Schriften kennengelernt hat, dem kann ich
hier unmöglich eine hinreichend umfassende Erläuterung bezüglich seiner
Vita, seiner Charakteristik vornehmlich als fundamental-christlicher
Philosoph und schon gar nicht hinsichtlich seines umfangreichen
Schriftguts (allein seine „Fragmente“ umfassen 600 Seiten!) geben; Somit
bietet sich eine Recherche in online-Lexika an.
Dennoch möchte ich einen Eindruck von Søren Kierkegaard und sein
grundlegendes Werk „Entweder – Oder“ vermitteln, das als eines der
bekanntesten und bedeutsamsten dichterischen Werke der modernen
Philosophiegeschichte gilt.
Es ist das Werk eines gnadenlos mit sich kämpfenden Menschen, der als
jüngster Sohn in einem streng protestantischen Elternhauses aufwuchs und
auf fatale Weise durch die düster bedrückende Frömmigkeit seines Vaters
geprägt wurde. Durch diese Prägung hat sich bei Kierkegaard eine nahezu
unvergleichbare Charakteristik sozialisiert, die sich als teils
selbstzerstörerische Zerrissenheit und daraus folgender Schwermut wie
auch Weltverdrossenheit durch sein ganzes Leben zieht und sich derart
ebenso in seinen Schriften zeigt (oft publizierte er unter Pseudonym und
rezensierte bisweilen seine eigenen Werke ebenso unter Pseudonym meist
sehr kritisch und vor allem auch „haarspalterisch“).
Vergleichbar etwa mit Sokrates, der den Menschen seines Umfelds in‘s
Gewissen redete, war Kierkegaard von einer Mission beseelt, in den
Menschen ein verändertes religiöses Bewusstsein zu erwecken. Sokrates
wählte für sein Anliegen die Form des Streitgesprächs, Kierkegaard seine
literarische Begabung mit der er sein Denken auf kunstvoll
schriftstellerische Art vermittelte.
Entweder – Oder, als ein etwa tausend Seiten umfassendes Buch, besteht
i.W. aus verschachtelt angelegten Aphorismen, Tagebuchnotizen, Briefen
und diversen Essays. Grundtenor dieses Werks ist die entsprechende Wahl
der Lebensführung: Entweder man entscheidet sich für eine ästhetische
oder eben für eine ethische Lebensweise (vordergründig nach christlichen
Vorgaben).
In der eigentlichen Bedeutung von Kierkegaards Entweder – Oder geht es
um die Wahl hinsichtlich der Selbstverwirklichung des Lebens und um die
Schaffung einer eindeutigen Identität:
Entweder ein Leben unter ethischen Gesichtspunkten, d.h. die
Anerkenntnis von (christlicher) Ethik und Moral sowie ein
dementsprechender Lebenswandel oder die Wahl für ein Leben ohne die Last
sittlicher Vorschriften und die oft beschwerliche und mitunter
desillusionierende Suche nach einem tieferen Sinn und Zweck des Daseins,
also ein Leben von einem (zufallenden) Moment zum anderen.
Soweit erst einmal zu Kierkegaard und dessen lebenslanger, verzweifelter
Suche nach Sinn und Zweck des Lebens, die überwiegend von Schwermut und
Lebensüberdruss begleitet war. So komme ich zur Beantwortung Deiner
Frage, Joseph.
jh: „Entweder Karl erklärt mir seine Sätze anders, oder schreibt, dass
ich schlecht gelesen habe, oder dass ich Haarspalterei getrieben habe...“
Dabei denke ich, Du kommst mit Deinem Beispiel meiner Antwort nahe:
jh: „Die Sache hier ist sinnvoll, weil jemand ihr einen Sinn gegeben
hat, und in der Zukunft besteht dieser Sinn weiter, er wird nur Zweck
genannt.“
Um nochmal Kierkegaard zu bemühen: Er kommt zu dem Schluss, dass ein
Leben nur für den Augenblick (also ein sinnbefreites Tappen von Moment
zu Moment) nicht für ein erfülltes Dasein ausreicht, sondern für einen
sinnvollen Lebensentwurf sowohl Vergangenheit wie auch Zukunft
einbezogen werden müssen.
Damit wird deutlich, dass man hierzu zwar Schlüsse aus dem persönlichen
Verhalten in der Vergangenheit hinsichtlich ihrer Sinnhaftigkeit ziehen
kann, kaum jedoch für die Zukunft. Soll letztere für die künftige
Lebensgestaltung eine Rolle spielen, muss man notwendigerweise von deren
Zweckhaftigkeit ausgehen.
Mit anderen Worten: Wer für seine Zukunft unter der Annahme planen will,
diese hätte (ohnehin) keinen Zweck, wird demnach keine Ziele für ein
sinnvolles (noch vor ihm liegendes) Leben entwerfen können.
Aus diesem Zusammenhang könnte ersichtlich werden, dass aus einer
erkannten Sinnhaftigkeit des vergangenen Lebens auf jene des weiter zu
führenden, unter Annahme eben von Sinn und Zweck, geschlossen werden kann.
Kurz gesagt: Ein Leben ohne Sinn hat keinen Zweck!
Bester Gruß! - Karl
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