Am 31.07.2024 um 13:16 schrieb Dr. Dr. Thomas Fröhlich
<dr.thomas.froehlich(a)t-online.de>de>:
Lieber Karl, liebe Alle,
wie beim Treppenwitz erst spät zum Thema Musik: eine erlebte Tonfolge wird als Inhalt
erlebt, in dem jeder Augenblick eine Synthese aus Vergangenem und
Vorweggenommen-Erwartetem in die jeweilige Gegenwart hinein ist. Das augenblickliche
Ergebnis ist ein Fluss, ein sequentiell inhaltsbezogen ineinandergreifendes
Zusammenhängen.
Exakt! Und das weiss jeder, der selbst musiziert. Vermutlich ist das auch einer
der Gründe, warum man sich Melodien - i.Ggs. etwa zu den ggf. dazu gehörenden Texten – gut
im Gedächtnis behalten kann.
Schlüssel für die entsprechende Zeitauffassung ist der
Primat des Inhalts, auf den hin vergangener Inhalt aufgegriffen und von dem aus ein
Ausgriff auf künftigen Inhalt erfolgt.
Und hierin liegt auch das immer wieder zu beobachtende Problem der vorschnellen
Antizipation, vor allem im zwischenmenschlichen Dialog. Sehr leger und hoffentlich nicht
despektierlich ausgedrückt: Bei der Konversation zwischen langjährig verbundenen
Ehepartnern, weiß jede Seite schon beim Öffnen des Mundes der jeweils anderen Seite, was
da zum „Vorschein“ , resp. zu Ohren kommen wird und was letztlich augenscheinlich zu der
oft beobachtbaren „Sprachlosigkeit“ bei Beziehungspartnern (wie man das heute nennt)
führen mag.
Die entsprechende Zeit ist nicht die pure Außenzeit,
die als zunächst inhaltleer mit Beliebigem gefüllt werden kann, und der entsprechende Raum
ist nicht der leere Raum aus Außensicht. Stattdessen ist es primär inhaltliche Zeit und
primär inhaltlicher Raum, genannt semantische Zeit und semantischer Raum.
Das lässt mich an unsere zurückliegenden Diskussionen über die Zeit denken. Nach
wie vor fehlt eine in sich geschlossene allgemeingültige Definition von Zeit.
Alle Welt redet immerfort von Zeit, von der lapidaren Entschuldigung, sich oder anderen
gegenüber, keine Zeit für irgendeine Unternehmung zu haben, bis hin zur - mit
bedeutungsvoller Miene eines namhaften Politikers verkündeten - „Zeitenwende“ .
Wollte man Einstein folgen, der Zeit schlicht als den Ablauf von auf einer Uhr ablesbaren
„Ticks“ beschreibt, würde man Gefahr laufen, dessen epochale Großtat zu unterschätzen,
wonach er die Struktur von Raum und Zeit unter dem Einfluss der Gravitation in seiner
Relativitätstheorie darlegte und damit zeigte, dass Zeit keine fundamentale Größe (im
strengen Sinne physikalischer Betrachtung) ist.
Für mich persönlich hat Zeit dennoch fundamentale Bedeutung, da mir zum einen „das Ticken
der Uhr“ die irreversible Vergänglichkeit allen Lebens, als dem Prozess (sichtbar)
zunehmender Entropie bewusst werden lässt, zum anderen das stets auf's Neue beginnende
Leben aus einem Zustand minimaler Entropie heraus, mit jeweils unzählig entlang des
objektiven Zeitpfeils verlaufender subjektiver Weltlinien aller Lebewesen. Und eben diese
Scharen subjektiver Weltlinien (in einem Raumzeitwürfel betrachtet) sehe ich als
„semantische Raumzeit“, wie Thomas diesen Begriff hier einführte und m.E. mit der von
Waldemar dargelegten „eigen-raumzeit“ als eben subjektive Raumzeit korreliert.
In diesem gefüllten und aus seiner Fülle lebenden
Zeitraum erzeugt die Konsekution eine „semantische Achse“, die das parallel und
sequentiell Ganze, z. B. einer Melodie oder eines Gedichts oder einer Erzählung
charakterisiert.
Mit dem sich entlang dieser „semantischen Achse“ für jedes neue Leben auftuenden
subjektiven (oder eben Eigen-) Raumzeitwürfel zeigt sich somit subjektive Bedeutung und
somit ein Sinngehalt jedes Lebens. Daher ist Leben keinesfalls sinnfrei oder dem puren
Zufall unterworfen, denn immer gilt: „Zufall und Notwendigkeit“, wie das hier kürzlich
auch unter dem Aspekt von Kohärenz (Zufall) und notwendiger Dekohärenz (Notwendigkeit)
erwähnt wurde.
KJ