Am 30.11.2024 um 00:43 schrieb Karl Janssen über
PhilWeb <philweb(a)lists.philo.at>at>:
Hi KJ,
Du kannst natürlich schreiben, was und wie es Dir beliebt. Aber warum hast Du nicht
einfach meine Frage beantwortet: „Hältst Du das Quantenbewusstsein wirklich für plausibler
als das Sonnenzeitalter?“ Zudem bedenkst Du nicht Deine Vorurteile, sondern unterstellst
mir weitere hinsichtlich einer karikierten Öko-Szene.
Abschließend schriebst Du: „Der philosophische Denkansatz steht immer über dem empirisch
angelegten Denkmuster, kann demnach nicht in der Sprache des letzteren formuliert werden.“
Schon Alltagserfahrungen werden zwischen Menschen umgangssprachlich und mathematisch
ausgetauscht. Warum sollte philosophisch nicht daran angeknüpft und sich gleichsam
hochgehangelt werden können? Warum das Vorurteil, dass Philosophie unerreichbar hoch
stehen müsse?
IT
Mit Esoterik in heute üblicher Begrifflichkeit und
Praxis habe ich definitiv nichts im Sinn. Erstaunlich ist doch, dass Menschen scharenweise
die immer häufiger von Naturaposteln (somit Anti-Fossiljunkies“) betriebenen
Strassenmärkte, Vorträge zu nachhaltiger Lebensführung usw. fluten.
Auf vielen Weihnachtsmärkten werden nun wieder Buden angefüllt mit Räucherstäbchen,
Heilsteinen, Amuletten, ätherischen Heil-Ölen aufgebaut sein. Es liegen Flyer auf, wo
Vorträge zur Lebenshilfe, basierend auf ayurvedischen Weisheiten zu satten Preisen
feilgeboten werden und gerade dort findet man die Bücher über Quantenbewusstsein,
Quantenheilung, Quanten und nochmal Quanten, Waldemars heilende Hammelkörnchen finden sich
noch nicht im Angebot.
Wenn Du nun glaubst, diese Eso-Junkies würden mit Lastenrädern dort hinfahren, würdest Du
bitter enttäuscht sein, sie kommen -wie gesagt- scharenweise in ihren SUVs, familien -
aber garantiert nicht umweltfreundlich.
Daher meine Einschätzung: Diese Eso-Grünlinge sind die neuen Pfaffen - Wasser predigen,
selbst Wein saufen. Das ist realer Zeitgeist!
Esoterik in seiner genuinen Bedeutung hat absolut nichts zu tun mit diesem dem Zeitgeist
frönenden Religionsersatz der kommenden Jünger des Sonnenzeitalters, die mich eher an die
Zeugen Jehovas mit ihren auf diese Lebenswelt projizierten Bibelfantasien vom
Schlaraffenland auf Erden: Auf sonnigen Wiesen weiden Schafe und teilen sich mit den
Wölfen das frische Gras. Entspannte Atmosphäre, Chillen und Kiffen, nennt man das heute,
schlichtweg das Paradies auf Erden - Sonnenzeitalter eben. Fragt sich tatsächlich, wer von
uns beiden der Träumer ist.
Tatsächliche Esoterik, wollte man diese beispielsweise an genuiner Ayurveda, als der
Lehre vom Leben (Ayu) und Wissen (Veda) erläutern, bezieht sich auf historisch bewährte
Methoden von Lebensführung und Heilweisen.
Ein gänzlich anderes ist es, den Zeitgeist betreffend, dass man bei objektiv näherer
Betrachtung unschwer erkennen kann, wie es diesen Sonnenzeitalter-Junkies nur um sich
selbst geht: Selbstfindung, das „Höhere Selbst“ in sich erkennen, wahre Selbstheilung
durch Erweiterung des Quantenbewusstseins, Rettung des Lebens und der Welt über den Geist
und die eigene Seele usf..
Du weisst sicher selbst, welche Klientel, resp. wes Geistes Kinder sich in dieser
Öko-Szene tummeln. Glaubst Du im Ernst, mich diesen Eso-Sekten zuordnen zu können? Im
Gegenteil, ich hatte Dich als Grünling eher dort verortet.
Wenn ich geschrieben habe, dass ich neuronale Prozesse als quantenmechanische Effekte
annehme, durch welche die Elektrochemie im Gehirn entsprechend beeinflusst wird,
widerspricht das nicht den bislang geklärten Vorgängen im Gehirn, womach ein Feuerwerk von
elektrochemischen Prozessen abläuft, Chemische Botenstoffe ihre Wirkung entfalten und
Synapsen Signale übertragen. All diese bekannten Mechanismen können jedoch nicht das
Phänomen von Bewusstseinsbildung erklären.
Ob man nun diese Prozesse als quantenmechanisch ablaufend (Kohärenz/Dekohärenz) nach der
Hameroff/Penrose-These ansieht oder etwa jener von F. Crick/c. Koch, oder von
Edelman/Tononi oder eben die auf einem Computermodell basierende These von Stanislas
Dehene, das bleibt aus der Perspektive aussenstehend Beobachtender eine Frage der
persönlichen Einstellung und des entsprechenden Bildungsgrads. Vor allem bleibt es bis zur
endgültigen Klärung spekulativ und das hatte ich definitiv erwähnt. Natürlich entspricht
die gewählte Diktion meiner Sympathie für den benannten Denkansatz (Penrose/Hameroff) kann
aber selbstredend keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit haben.
Das wissen (nicht nur) wir beide ganz genau und insofern kann man über Methoden, den
Stand diesbezüglicher Forschung diskutieren, ohne den spekulativen Bereich despektierlich
als esoterischen Humbug zu verunglimpfen. Der philosophische Denkansatz steht immer über
dem empirisch angelegten Denkmuster, kann demnach nicht in der Sprache des letzteren
formuliert werden.