Während der kurzen Auszeit hier wegen der Wartungsarbeiten am Server der phl. Fakultät
univie – an dieser Stelle ein herzlicher Dank für das Hosting unserer philweb-Liste – hat
mir Waldemar geschrieben und ein Thema für diese Liste vorgeschlagen, das ich gerne hier
aufgreifen möchte:
wh: der oft frappante unterschied zwischen der schnöden alltags-wirklichkeit des/der
menschen, und andererseits "den höheren geistigen sphären", in denen sie oder
einige oft "schweben", im grunde also unterschied "alltags-mensch", so
wie er tatsächlich ist, und andererseits "selbstbild des menschen", so wie er
sich in seinen wunschträumen selbst gerne sieht, wobei ich den alltagsmenschen als
evolutionär-missratenes (großhirn-hypertrophie als angeborene krankheit), bösartiges, und
stumpfsinniges tier sehe, der um seine negativa durchaus weiss, und der genau deshalb sich
ein "geistig höheres, besseres bild" von sich selbst erfunden hat, um seine in
wahrheit defizitäre art hinter/unter diesem bild zu kaschieren und philosophie in diesem
zusammenhang eine stete und letztlich (muss-)ergebnislose auseinandersetzung zwischen
unserem hypertrophen großhirn (logisches denken etc) und unserem limbischen hirnsystem
(magisch-animistisch a-logisch ablaufende gefühlswelt mit "gefühlten göttern",
"schicksal", "fatum" usw) ??
So geht also um den „frappanten Unterschied zwischen schnöder Alltags-Wirklichkeit des
Menschen und den höheren geistigen Sphären, in der sie (oder einige) schweben, im
Wesentlichen also um den Unterschied zwischen „Alltags-Mensch“ wie er real existiert und
dem Wunschbild als „Selbstbild des Menschen“, so wie er sich selbst gerne sieht.
Es wäre nicht Waldemar, wenn er dabei versäumen würde, den Menschen als „ als
evolutionär-missratenes (großhirn-hypertrophie als angeborene krankheit), bösartiges, und
stumpfsinniges Tier“ sieht, dabei sich sehr wohl dieses Mankos bewusst, es durch ein
„geistig höheres, besseres Bild“ verbrämend zu relativieren sucht.
Kurz gesagt also: Der Mensch versteckt sein wahres diabolisches Wesen hinter einer Maske,
die er sich nach dem illusionären Wunschbild, abgeleitet aus vermeintlich „höheren
geistigen Sphären“, anfertigt.
Dazu fällt mir der Titel eines - von mir hier vor Zeiten schon erwähnten – Büchleins von
Erving Goffman ein: „Wir alle spielen Theater“. Es war seinerzeit Pflichtlektüre im Fach
SOWI, denn es geht darin um das „Theater des Alltags“ also um den Alltags-Mensch und seine
Rolle im sozialen Umfeld.
Die Älteren unter uns werden sich an „The Great Pretender“, ein heartbreaking Song von den
Platters erinnern:
"Oh yes, I'm the great pretender, / Pretending I'm doing well/My need is such
I pretend too much / I'm lonely but no one can tell. Oh yes, I'm the great
pretender / Adrift in a world of my own/I play the game but to my real shame / You've
left me to dream all alone."
Wie oft habe ich diesen Song gehört, damals sicher weniger seines textlichen Inhalts
wegen, sondern wegen der bezaubernden gesanglichen Performance der Platters (wie ja auch
das berühmte „Only You“).
„Oh ja, ich bin der große Blender, so tun, als ob es mir gut geht ...ich bin einsam, aber
niemand kann es sagen …Treibend in meiner eigenen Welt / Ich spiele das Spiel, doch zu
meiner eigenen Schande / Du hast mich ganz allein träumen lassen“
Drückt dieser Songtext (wenngleich etwas abseitig gefragt) das Wesen eines
„evolutionär-missratenen, bösartigen und stumpfsinnigen Tieres“ aus, das der Mensch -
gemäß Waldemars misanthropischer Sicht - sein soll, oder nicht doch eher das klassische
Naturell eines im Grunde hilflosen Geschöpfs, das keine Idee hat, wie es wirklich
weitergehen soll mit ihm, mit der Welt. Ein Geschöpf, das sich einsam, in seinen Träumen
allein gelassen fühlt, angesichts der nicht zu begreifenden Lebensrealität, angesichts der
weit verbreiteten Gefühllosigkeit;
Vor allem aber, als ein Geschöpf, das sich neben seiner Körperlichkeit auch als geistiges,
als beseeltes Wesen wahrnimmt. Eine Seele, die nonverbal zu kommunizieren vermag, exakt
so, wie Waldemar es mit dem Umgang mit Tieren beschreibt. Da braucht es keine Sprache im
Sinne unserer diesbezüglich jüngsten Diskussion hier.
Dieser Vergleich mag weitab liegen von einem rational nüchternen Bezug auf die Lebenswelt,
auf den Alltags-Menschen. Er ist aber nicht weitab von der Gefühlswelt der Menschen, die
natürlich vom Wissen um deren Fallibilität, von den alltäglichen Widrigkeiten des Lebens,
gleichermaßen im persönlichen wie geopolitischen Bereich geprägt ist. Ebenso wenig abseits
von der Empfindung der Menschen, sich mit einer überempirischen Sphäre verbunden zu
fühlen. Daher mein Zitat: „God is a feeling“, unbenommen der üblichen Vorstellungen, die
Menschen von Gott haben. Glücklich allerdings jene, die diesen nicht anthropomorph
personifizieren.
Menschen hingegen, die in desperater Gefühlslage verharren (damit ist nicht eine
Alexithymie gemeint), sondern die keinen Blick und Sinn mehr haben für das Schöne, das
Erhabene dieser Welt, wie es sich immer für jene zeigt, die dieses ganzheitlich
wahrzunehmen vermögen, diese Menschen erfrieren in der Kälte ihres selbstgewählten
Gefängnisses. Die Sonne des Lebens scheint für alle, gleichermaßen für jene, die dieses
Licht suchen und auch für die, die sich - aus welchen Gründen immer - im Schatten dieses
Lichts befinden.
Müssig dabei deutlich zu machen, dass es längst nicht allen Menschen möglich ist, aus den
Schattengebieten des Lebens zu treten. Und deshalb sollte das Geschriebene ein Plädoyer
gerade für diese Menschen sein, die definitiv nicht an einer ihnen „angeborenen
Großhirn-Hypertrophie“ leiden, sondern an der ungerechten Verteilung der Güter, wobei zu
sagen ist, dass es künftig nicht mehr um diese Güter gehen wird, vielmehr jedoch um das
Problem eines überproportionalen Bevölkerungszuwachses, den diese Welt nicht mehr
(er)tragen kann.
„Schnöde Alltags-Wirklichkeit“ vs „Höhere geistige Sphären“. Mit ersterer verbindet sich
Körperlichkeit, mit letzterer die Selbstwahrnehmung des Menschen als ein geistiges Wesen,
das mit eben diesen „höheren Sphären“ in Verbindung treten kann. Ich würde diesen Ausdruck
nicht verwenden wollen, denn was heißt schon höhere Sphäre, angesichts eines holografisch
angelegten Universums?
Nicht nur unser Selbstbild, als ein „erträumtes Wunschbild“ wird zusammen brechen, sondern
auch das Bild von Welt und Kosmos, gemäß der gängigen Theorie Schwarzer Löcher, resp. der
Quanten-Gravitation. Da ist nicht (mehr) „Himmel und Erde“, vielmehr ein riesenhaftes
Hologramm. Mag sein, dass sich in dessen Schichten Gott und Götter, Engel und Teufel
verbergen. Die hergebrachten Paradigmen sind ohne Zweifel obsolet geworden, neue stehen
ante portas.
Bester Gruß in die Runde! - Karl