Am 04.03.2021 um 21:50 schrieb Joseph Hipp via Philweb:
"den notwendig verschiedenen Blickwinkeln", hierzu sage ich nein, weil
es mit Bildern allein nicht oft getan ist, und weil dieses
Blickwinkelbild nicht immer passt.
....
Ich nutze die Wörter Meinung und das Wort Metapher nicht gerne, mache
es gegen mein Gewissen trotzdem mal. Wenn du das gesagt hättest, würde
ich sagen: Du hast zuerst eine Metapher benutzt, um die
Unterschiedlichkeit von zwei Meinungen zu erklären, und jetzt soll ich
andere Metaphern auf deine zurückführen. Dann sage ich nein: Wir
machen da Metaphern hoch zwei oder so ähnlich, das bringt uns nicht
weiter.
Jeder steht nun mal auf einem anderen Platz!
Eben nicht immer, das "glaube" ich, vorhin gezeigt zu haben.
„Jeder steht nun mal auf einem anderen Platz“, meinte ich diesbezüglich
allerdings nicht metaphorisch, sondern im engsten Sinne konkret: Den von
Dir körperlich eingenommenen Platz bzw. Raum kann ich, kann kein anderer
einnehmen. Aus diesem Faktum nun per se eine andere Sicht auf die Welt
(also eine grundsätzlich unterschiedliche Perspektive) zwingend
abzuleiten bzw. damit zu verbinden, ist tatsächlich unzulässig. Denn der
unzweifelhaft nicht doppelt besetzbare, körperlich eingenommene
Platz/Raum einer Person, kann jedoch ihres hinsichtlich „Gedankenraums“
mit dem einer anderen Person (zu gewissen Teilen) kongruieren. Das lässt
mich unweigerlich (und wiederum) an den von Thomas verwendeten Begriff
eines Interaktionsraums denken, innerhalb dessen bei hinreichend
gegebener Kohärenz übereinstimmende (sich im Gleichklang befindliche)
Kommunikation ausbilden kann. Praktisch ausgedrückt: „Bin vollkommen
deiner Meinung“. Dieser „Gleichklang“ ist selbstredend nicht die Regel
und dies ist eben den individuell unterschiedlich besetzten
„Gedankenräumen“ (wiederum praktisch ausgedrückt, den Denkweisen aus
verschiedenen Blickwinkeln) geschuldet.
Die Brücke zwischen „Gedankenräumen“ wird vornehmlich durch Sprache
hergestellt, vornehmlich (also nicht ausschließlich) deshalb, weil auch
eine nicht-sprachliche Verbindung zwischen Menschen und insbes. zwischen
Mensch und Tier- gegeben sein kann. Während letztere unverstellt ist,
stellt Sprache in ihrer üblich umgangssprachlichen Unschärfe das
eigentliche Problem zwischenmenschlicher Kommunikation dar.
Für mein Dafürhalten war es insbes. Wittgenstein, der diesen
Zusammenhang in seinen Schriften verdeutlicht hat.
Ob Wittgenstein hier einen Definitionsfehler beging,
weiß ich jetzt
nicht, ich kann nicht alle Mysterien entblößen. Aber so von unten nach
oben mag ich sie mit dir bewundern, von oben herab schaue ich auch
nicht....
Hier höre ich mal auf, es wird mir zu viel, ich will nicht den
Sokrates spielen und den Text des Wittgenstein zerpflücken. Und du
bitte, lieber Karl, spreche doch bitte aus deiner Seele und Sprache,
nicht mit Hilfe oder gar der Rückendeckung des Wittgenstein.
Welche Hilfe oder
Rückendeckung kann Wittgenstein bieten? Prinzipell
sprichst Du das an, was Ingo T und Waldemar seinerzeit als ein (bis in
unsere Zeit reichendes) Manko der Philosophie bezeichnet haben: Nämlich
sich mit dem Bezug auf Repräsentanten der klassischen Philosophie (von
Platon bis etwa zur Neuzeit) den Blick auf unsere moderne Lebenswelt zu
verstellen. Ich habe hierzu schon mehrfach geschrieben, etwa von meinem
Unwillen, in Klausuren Kants Begriffsdefinitionen „herunterbeten“ zu
müssen, ohne diese zu dieser Zeit wirklich verstanden zu haben. Und
Wittgenstein betreffend, höchst fraglich, ob ich ihn damals verstanden habe.
Warum nehme ich dann heute seine Begrifflichkeiten zu Hilfe, bzw.
beziehe ich mich auf diese?
Weil ich heute mit anderer, um einiges erweiterten Weltsicht den Wert
seiner (Denk-)Arbeit erkenne. Deshalb bin ich noch lange nicht in der
Lage (manchmal auch nicht Willens), seine Denkmodelle in ihrer von ihm
intendierten Bedeutung zu ergründen und dennoch sind sie immer wieder
Anlass, mit Wittgenstein in diese philosophischen Tiefen einzutauchen.
So etwa seinen Übergang vom Sagen zum Zeigen bzgl. der Bedeutung des
Bildes. Dabei zunächst verblüffend, dass er dem Bild (insbes.
hinsichtlich der Ausdrucksmöglicheit des Nicht-Sagbaren) Faktizität
zuschreibt: „Das Bild ist aber auch eine Tatsache“ (TLP 2.141);
somit ALLES tatsächlich Gegebene, wie eben auch das „Nichtsagbare“.
Implizit dieser Aussage ist für ihn damit die Existenz eines Gottes auch
Tatsache.
Um nun nicht den Verdacht aufkommen zu lassen, ich würde diesbezüglich
Rückendeckung für eine Gottesvorstellung suchen und vor allem, um nicht
sogleich wieder in leidige Diskussionen zu diesem Thema zu geraten,
möchte ich nun Deiner Bitte entsprechen, aus „meiner Seele“ in meiner
Sprache zu sprechen. Damit will ich noch einmal auf das Wesen von
Gegensetzlichkeit eingehen:
Ich schrieb, wo ein JA, da kein Nein; Wo Wissen - da kein Glauben
(erforderlich). Du warst Dir nicht sicher, „ob es so ist“ und gehst
davon aus, dass Wissen nicht gegen Glauben, sondern beides nebeneinander
steht.
Natürlich sehen/erleben wir tagtäglich Wissen und Glauben quasi
nebeneinander und man möchte meinen, sie würden koexistent unsere
Lebenswelt prägen. In sich gesehen müsste aber die sich entgegenstehende
Bedeutung von Wissen und Glauben (ich würde stattdessen eher von
Wittgensteins Nicht-Sagbarkeit sprechen wollen) erkennbar sein.
Alles sich Entgegenstehende (das Zwei-Einige als polares Spannungsfeld)
ist unausweichliches Lebensprinzip im ständigen Prozess von Werden und
Vergehen: Plus-Minus, Licht-Dunkelheit, Feuer-Wasser, Liebe-Hass,
alt-jung, Wahrheit-Lüge, Leben-Tod, um nur einige wenige, unmittelbar
augenfällige Gegensätzlichkeiten unserer Lebenswelt zu nennen.
Wesentlich weniger eingängig dürfte nachfolgend beschriebenes Prinzip
von Gegensätzlichkeit im EINEN sein:
Das potentiell Unendliche, Nicht-Sagbare entspricht in seiner radikalen
Konstitution einem absoluten Vereinigungspunkt (Nullpunkt) maximaler
Opposition in der Einheit: das VIELE im EINEN.
Im EINEN sind die Gegensätze vereint und damit das Gleiche (Heraklit).
Aus dieser absoluten Einheit (unendliche Potentialität) heraus
verwirklicht (verkörpert) sich Geist (indem er sich von sich trennt) in
die Vielheit der Lebensräume (das EINE im VIELEN), wo sich fortwährend
prozessual wechselwirkend aus den Minima und Maxima des jeweils
Entgegengesetzten ein Ganzes und damit die Erfahrungswelt als Ganzes
entwickelt.
Soweit für den Augenblick.
Bester Gruß an Dich und in die Runde! Karl