Am 26.02.2021 um 17:45 schrieb Dr. Dr. Thomas Fröhlich
via Philweb <philweb(a)lists.philo.at>at>:
Ich hatte eines vergessen mitzubedenken: in unserem Ansatz ist die kleinste Einheit ja
nicht eine wie auch immer geartete Entität, sei es ein Photon oder ein Staubkorn, sondern
wiederholbare Zustandsänderungen einer Entität alias Eigenschaft. Indem diese vor- und
rückwärts (Verknüpfung = inverses Element) gehen können oder auch nicht stattfinden bzw.
von einem Zustand zum selben Zustand gehen können (Verknüpfung = neutrales Element), ist
das Ensemble aus Zuständen einer Eigenschaft und der Verknüpfung, die die Operationen
bezeichnet, die auf die Zustände als Elemente der Menge angewandt werden eine
mathematische
Gruppe.
Hi Thomas,
in der Physik lassen sich die Teilchen ja darstellungstheoretisch als Repräsentanten von
Gruppen und ihren Symmetrien verstehen. Damit hatte bereits Wigner 1939 begonnen: Wigner,
E. On unitary representations of the inhomogeneous Lorentz group. Ann. Math.1939,40,
149–204. Mack knüpft in seiner „Theorie des Lebendigen“ daran an, wenn er formuliert:
"Jedes System besitzt eine treue Darstellung als Kommunikationsnetzwerk."
Ob ich mit Teilchen oder Gruppen beginne, ist also egal, falls ich mich auf Symmetrien
beziehen kann. Welche Symmetrie läge denn der von Dir angedachten „semantischen Energie“
zugrunde? Dem Photon liegen Symmetrien der Lorentzgruppe zugrunde, wobei die physikalische
Energie auf der Zeitsymmetrie basiert, was gleichbedeutend mit ihrem Erhalt ist. Welche
weiteren Invarianten neben der Information gibt es in Deiner Gruppenstrukter der
Zustandsänderungen?
In Macks „Sprache der Gedanken" ist die "Disposition zu verbalem Verhalten"
in Gegenwart eines nichtverbalen Reizes des Linguisten Observable. Wäre die
"Änderungsbereitschaft der Zustände" eine Invariante, könnte es sich um die
gesuchte "semantische Energie" handeln, wobei der invariante Gehalt der
Zustandsänderungen als „Informationsenergie" verstanden werden könnte und die
Aktualisierung von Semantik Information wäre.
Bei Bevier heißt "Die Menge der wiederholbaren Transformationen (bzgl. Eigenschaft e)
mit Inverse und Eins-Transformation“ Information über e (oder bzgl. e).“ Euer auf math.
Gruppen basierender Ansatz ist mit dem Macks vergleichbar, denke ich. Ganz anders der auf
dem "Free Energy Principle“ FEP fußende. Der geht auf Helmholtz (1882) zurück und
stammt damit neben dem Entropiesatz ME des Clausius (1865) aus dem 19. Jahrhundert. Als
Physiker liegen mir die an der Thermodynamik orientierten Prinzipien natürlich näher als
mathematische Gruppenbetrachtungen.
Kürzlich hatte ich ja hingewiesen auf "Rethinking Evolution, Entropy and Economics: A
Triadic Conceptual Framework for the Maximum Entropy Principle as Applied on the Growth of
Knowledge“, in dem Carsten Herrmann-Pillath das semiotische Dreieck in Verbindung mit den
Prinzipien MaxEnt, MPP und MEPP analysiert. Dabei ist es bemerkenswert, dass Helmholtz
nicht nur die Psychophysik weiter entwickelte, sondern auch wesentlichen Einfluss auf
Freud und seinen psychischen Apparat hatte.
Wie genau aus physikalischer Energie und Entropie "psychische Energie",
„Informationsenergie" und "semantische Energie" hervorgehen mögen, ist ja
noch ein offenes Problem. Zum FEP sind zumindest schon vielfach eingesetzte Algorithmen
entwickelt worden, nach denen in mehrfach abgestufter Weise die Beziehungen zwischen
Organismus und Umwelt zufallsbeeinflusst durch "Markov blankets“ berechnet und
getestet werden können (und nicht nur wie bei der "Autopoiesis" um den heißen
Brei herumgeredet wird).
Dass sich das Leben hier auf der Erde energiegetrieben von der Sonne entwickelt hat, ist
ein weiterer Grund für die Plausibilität des FEP, zumal ein bemerkenswerter Zusammenhang
zwischen Markov blankets und stochastic inferences herstellbar ist. Das macht die
Tendenzen verständlich, zu denen Lebewesen eigengetrieben neigen - einschließlich der
menschlichen "Disposition zu verbalem Verhalten“. Allerdings ist das FEP hinsichtlich
des genannten Zusammenhangs nicht so allgemeingültig wie zunächst angenommen: "A
technical critique of the free energy principle as presented in `Life as we know it'
and related works:
https://arxiv.org/abs/2001.06408
Es grüßt,
IT