Am 14.03.2022 um 08:07 schrieb Joseph Hipp via Philweb
<philweb(a)lists.philo.at>at>:
mit umgangssprachlichen Wortspielereien kannst Du fast alles ad absurdum führen, aber was
bringt das? Denn Computer können das viel besser. Könnte Watzlawick nicht einen
zutreffenden Kern in den menschlichen Lebensäußerungen getroffen haben? Positiv
ausgedrückt kommunizieren wir zeitlebens, stehen in Verbindung mit Allem. Das war ja meine
Gegenthese zu Deiner isolationistischen These: Nichts steht für sich, alles hängt mit
allem zusammen. Kommunikation kann zunächst einfach für „im Zusammenhang stehen“ stehen.
Dann kann man spezifizieren und bspw. fragen, was steht wie mit wem in welchem
Zusammenhang? Da wären wir schon fast bei der Universalpragmatik.
Ingo hat mehrere Baustellen geöffnet. Die erste will ich angehen:
Universalpragmatik, anscheinend gefiel dem Jürgen Habermas dieses Wort nicht, so dass er
ein anderes vorschlug, nämlich Formalpragmatik. Ok, hier es kursiert noch das vorherige
Wort.
https://de.wikipedia.org/wiki/Universalpragmatik
<https://de.wikipedia.org/wiki/Universalpragmatik>
Hi JH,
ich hatte meinen letzten Satz oben natürlich ironisch gemeint — und stellte mir vor, wie
Du schallendem Gelächter verfielst; denn „schon fast“ träfe nur für Lesende zu, die das
Ziel bereits kennten und die Universalpragmatik für alltagsplausibel hielten. Auf mich
trifft das zu, aber für Dich hätte ich schreiben sollen: Da wären wir schon fast bei der
Dissonanztheorie. Die These von der Vermeidung kognitiver Dissonanz und die These der
Universalpragmatik, „dass jeder kommunikativ Handelnde im Vollzug einer beliebigen
Sprechhandlung universelle Geltungsansprüche erheben und ihre Einlösbarkeit unterstellen
müsse", basiert auf theoretischen Annahmen und empirischen Untersuchungen. Hättest Du
Festinger ähnlich zerschrieben wie Habermas?
Wie vielfach wiederholt, kann umgangssprachliche Vagheit immer weitschweifig ausgedeutet
ad absurdum geführt werden. Grundsätzlich lernt man eine Theorie nicht aus
Lexikon-Artikeln, sondern bestenfalls aus den Originalarbeiten, wobei es auf das
Nachvollziehen der Begründungen ankommt, sowohl theoretisch wie empirisch. Wie waren die
Urheber auf ihre Theorien gekommen? Wie haben sie ihre theoretischen Annahmen
operationalisiert? Wie fehlerbehaftet und reproduzierbar sind die Versuchsergebnisse? In
den Sozialwissenschaften besteht dabei das besondere Problem der Übertragung von den
Ergebnissen kontrollierter Befragungen auf Allerweltssituationen des Alltags.
Wenn Du eine Abneigung gegen Habermas hast, dann helfen vielleicht die von Lee
nachgezeichneten Wege vom Interesse zur Kommunikation. Hyuan A Lee: Der grammatische
Mensch Habermas’. Wege von der Interessenlehre zur Theorie des kommunikativen Handelns:
https://www.univerlag.uni-goettingen.de/bitstream/handle/3/isbn-3-938616-37…
<https://www.univerlag.uni-goettingen.de/bitstream/handle/3/isbn-3-938616-37-7/e_lee.pdf>
Ergiebiger als Wörterspiele sind Reflexionsspiele, in denen Albrecht bspw. Theoriediskurse
mit solchen aus dem Internet konfrontiert. Steffen Albrecht: Reflexionsspiele.
Deliberative Demokratie und die Wirklichkeit politischer Diskurse im Internet:
https://library.oapen.org/bitstream/id/0663ecb9-ed84-480b-aa34-52545c647cdc…
<https://library.oapen.org/bitstream/id/0663ecb9-ed84-480b-aa34-52545c647cdc/646483.pdf>
Aus der Zusammenfassung auf Seite 238: „Die in dieser Studie vorgelegten empirischen
Untersuchungen belegen also die auf kommunikationstheoretischer Ebene festgestellten
Schwierigkeiten der normativen Diskurstheorie. Gleichzeitig verweisen sie aber auch durch
ihren Detailreichtum und ihre Reibungspunkte mit der Literatur zur Online-Kommunikation
einerseits und zur Deliberationsforschung andererseits auf Möglichkeiten der
Weiterentwicklung der Theorie hin zu einer realistischeren und belastbareren
kommunikationstheoretischen Grundlage der Theorie politischer Diskurse.
Dass die normative Diskurstheorie dafür einen ausgezeichneten Ausgangspunkt darstellt,
ist aus dem Stellenwert der Theorie in der aktuellen demokratietheoretischen Diskussion
ebenso ersichtlich wie aus der insgesamt zutreffenden Beschreibung der Leistungsfähigkeit
von Diskursen zur Bereicherung des politischen Prozesses, insbesondere der
Meinungsbildung. So erwiesen sich die untersuchten Diskurse — bei Abstrichen in einzelnen
Fällen und Aspekten — als gelungene Beispiele der Einbeziehung von Bürgern in den
Entscheidungsfindungsprozess, wobei die technische Vermittlung eine neuartige, aber im
Vergleich zu etablierten medialen Kontexten nicht wesentlich andere Form der diskursiven
Kommunikation möglich machte.“
Von der Kommunikation zum Friedensthema leitet über Florian Mangold: Strategische
Kommunikation. Erörterung eines Begriffs und kommunikationshistorische Analyse am Beispiel
der Immediatzeitungsberichte 1867-1914:
https://fis.uni-bamberg.de/bitstream/uniba/47049/3/fisba47049_A3a.pdf
<https://fis.uni-bamberg.de/bitstream/uniba/47049/3/fisba47049_A3a.pdf>
Aus der Zusammenfassung auf Seite 254: „Die Berichterstattung von unten nach oben war
geprägt von zweckrationalen Überlegungen, die Berichterstatter setzten eigene Schwerpunkte
aus eigenen Interessen heraus. Gleichzeitig reagierten die Verfasser auf Änderungen der
Spielregeln von oben. Sie passten sich an, stellten die Berichterstattung um und
versuchten, innerhalb der ihnen gesetzten Grenzen, eigene Schwerpunkte zu bilden und zu
verfolgen.“ Ähnlich mag es in der Administration Putins zugehen, wobei seine öffentlichen
Verlautbarungen kaum an Lügen, Niedertracht und Hinterhältigkeit zu überbieten sind.
Über die Kommunikationstheorie hinausgehende Kriegstheorien werden behandelt in Thomas
Jäger, Rasmus Beckmann (Hrsg.): Handbuch Kriegstheorien, VS Verlag 2011. Darin werden 10
Theorien, 15 Klassiker und 25 Fallstudien zu Kriegen beschrieben. Wie wohl einmal die
Fallstudie zum gegenwärtigen Ukrainekrieg ausfallen wird?
Diese Frage "Wie hilft ein Wort allein?" und
Umgebung will ich weiter bearbeiten. Für Links bin ich dankbar. Ich vermute, dass auch RFs
Betreff "Die Sprache Kants" in dieselbe Richtung geht. Denn wo Sprache ist, sind
Wörter, Sätze, Texte.
Ein Wort in seiner Umgebung? Damit bist Du doch schon mitten im obigen Zusammenhang; denn
einzelne Wörter gibt es ebenso wenig wie einzelne Menschen. Wörter bestehen aus Buchstaben
eines Alphabets und bilden einen grammatikalisch geordneten Wortvorrat. Sie werden von
Menschen innerhalb des Universums, ihrer weitestgehenden Umgebung, verwendet. Hast Du
schon einmal ein (ungewöhnliches) Wort in Umlauf gebracht und verfolgt, was daraus
geworden ist?
Als Physiker fällt mir natürlich sogleich eine Analogie Deines Ansinnens ein, nämlich die
Untersuchung der Bewegung einer Probeladung im elektrischen Feld. Eine Ladung in ihrer
Umgebung. Was passiert mit dem Feld, wenn sie sich bewegt? Wie wirkt das Feld auf sie
zurück? Je genauer ich das zu verfolgen vermag, desto besser muss das Experiment
abgeschirmt sein. Physiker treiben die Objektisolierung einschließlich ihrer
mathematischen Formulierung sehr weit, so weit wie Du mit Wörtern und Menschen nie kommen
wirst.
So wird es wohl sein.
Den Absatz oben beginnend mit "mit umgangsssprachlichen .." des Ingo habe ich
im Detail zusätzlich bearbeitet, ich will jedoch hier nicht zu viel schreiben und
niemanden beschwafeln. Ich bleibe dabei: Die Kritik an Sätzen mit "nicht nicht"
ist nicht so einfach als Wortspielerei abzutun. Ich habe Watzlawick gerne, aber es ist mir
sehr schwer, bei ihm die Spreu vom Weizen zu trennen. Andererseits liegt mit "der
Universalpragmatik" keine Relativitätstheorie vor. Vielleicht kann man beispielhaft
sagen: "die Universalpragmatik" hat eine Aufgabe von Personen bekommen, und sie
haben dann selbst fragwürdige Antworten gegeben, sie sammelten Sätze aus scheinbar
zusammen passenden Bereichen, "die Relativitätsheorie" steht für Antworten auf
Fragen, die von Personen gefunden wurden, wobei es auch ohne Namen bei den Antworten
bleibt. Bei Mathematik ist es auch so.
Du hattest nach einem Verständnis von Kommunikation gefragt und ich begann mit dem
Zusammenhang. Davon ausgehend kann ein interessierter Mensch zur Universalpragmatik und
Dissonanztheorie ebenso wir zur Relativitäts- und Quantentheorie gelangen. Aber vielleicht
sollten wir einfacher beginnen, bspw. mit der Gaußschen Summenformel für n natürliche
Zahlen oder der Eurlerschen Formel: e hoch (i pi) + 1 = 0. Das sind Formeln, mit denen man
rechnen kann, aber entscheident ist ihr jeweiliger Beweis, der die Annahmen und
Folgerungen enthält, unter denen sie gelten. Was brächte es, die Sätze zahlen- oder
symbolenspielend zu zerschreiben? Steht e vielleicht für e-mail? hoch für weit oben? i für
ich? pi für pipi? + für gut? 1 für Sieger? = für Brücke? 0 für Verlierer? Auch Dein
assoziatives Vorgehen lässt sich leicht ad absurdum führen. Geht es nicht stets darum, was
einen Sinn ergibt?
Du unterscheidest Mathematik und Physik von Umgangssprache, Psychologie und Soziologie.
Aber nicht nur die Mathematik, auch die Umgangssprache folgt Regeln, die einen sind zu
erlernen, in die anderen werden wie gleichsam hineingeboren und können sie später
reflektieren. In der Physik wird bspw. in Verbindung mit nichtkommutierenden Observablen
von Ungenauigkeit, Unschärfe, Unbestimmtheit geschrieben. Ist das nicht egal, wenn man
verstanden hat wie der Kommutator bewiesen wird? Und das umgangssprachliche „nicht nicht“
wird meistens klassisch als doppelte Verneinung verstanden. Sollte ein konstruktiver
Logiker unter den Lesenden sein, wird er die Formulierung womöglich für einen von
Watzlawick platzierten Stolperstein halten. Davon gibt es ja viele in seinen Büchern.
Schriftsteller neigen dazu, mit ungewöhnlichen Formulierungen Aufmerksamkeit zu erheischen
— oder zum Nachdenken anzuregen, wie Watzlawick, dem es aber nicht ums Spielen mit
Wörtern, sondern um das Aufzeigen von Auswegen aus Beziehungsfallen ging. Auf die
Strukturen kam es ihm an, weshalb er sich ja auch der Gruppentheorie und Typenlogik
bediente.
IT