Am Mo., 27. Dez. 2021 um 11:58 Uhr schrieb Ingo T. <@>:
ja, Hobbes brachte die Wirren seiner Zeit — wie den
Bürgerkrieg zwischen Königstreuen und Parlamentsgefolge -- in den
Leviathan ein, aber mir liegt momentan Broch näher, der sich selbst als Philosoph,
Dichter und Mathematiker sah.
Mit Bruch bin ich nicht vertraut, daher ausdrücklich keine
Stellungnahme von mir.
Was mich an Hobbes in diesem Zusammenhang interessierte, das ist die
Vertragstheorie.
Im Grunde hat er mit dieser Hypothese bereits vorweg genommen, was man
heute in der Spieltheorie analysieren könnte.
Ich will das offensichtliche Beschreiben, auch wenn es manche langweilt:
Wenn ein Individuum (warum auch immer) glaubt, gegen den König
rebellieren zu müssen, dann unterstützen den König seine loyalen
Untertanen, während der Rebell allein ist und deshalb besiegt wird.
Würde aber alle Leute gleichzeitig rebellieren, hätte der König keine
Macht, um die Rebellen zu bestrafen.
All sein Reichtum und alle Mach hängen davon ab, ob er am Ende der
Revolution noch im Amt ist. Dann kann er die Loyalen lohnen und die
Rebellen bestrafen.
Was Hobbes kongenial ins Spiel gebracht hat, ist das Folgende:
Es ist nicht nur allein das Verhältnis zwischen König und Untertan,
sondern auch jenes zwischen den Untertanen untereinander. Man möchte
ja nicht den König beseitigen, um dann von einer Verbrecherbande
tyrannisiert zu werden. Also braucht man, so Hobbes, doch wieder eine
strafende Instanz, die die Untertanen auf die Gesetze verpflichtet.
Das Interessante daran ist, dass man dieses Verhältnis einerseits
rational analysieren kann, andererseits ist Hobbes im Grunde nur einen
logischen Schritt vom Anarchismus entfernt.
Nur hat ihn offensichtlich der englische Bürgerkrieg und die
Konfessionskonflikte in Europa derart schockiert, dass er sich lieber
in den Absolutismus flüchtete, aus Angst vor dem "Krieg aller gegen
Alle".
In den frühen 1980ern hatte ich erstmals „Die
Schlafwandler“ gelesen, auf die sich ja der Historiker Clark wieder mit seinen „Die
Schlafwandler“ bezog.
War das nicht die Hypothese, dass die Machthaber des 1. Weltkriegs
quasi unbewusst in den ersten Weltkrieg geschlittert sind? Dass also
niemand im Vorfeld geplant hatte, einen großen Krieg zu führen?
Ich kann diese These nicht beurteilen.
Was ich gesehen habe, ist die Darstellung der Welt des "langen 19.
Jahrhunderts" in der Literatur (nicht nur fiktiven Literatur, sondern
auch anderen Werken). Und da wurde häufig der Eindruck vermittelt,
dass diese Zeit schon auf eine Art "reinigendes Gewitter" gewartet
habe.
Nur, dass man nach Jahrzehnten des relativen Friedens offenbar völlig
falsch eingeschätzt hat, welche realen Auswirkungen dieses "Gewitter"
haben würde. Tote, Verwundete, Zerstörung und so weiter.
Ich hoffe ernsthaft, dass die Menschen, die Zugang zu
Allgemeinbildung, Informationsquellen aus der ganzen Welt und
ausreichend Nahrung und gute Hygiene haben, da ein bisschen besonnener
sind und so etwas nicht mehr wünschen.
Am Ende sind es aber wenige Entscheidungsträger, auf deren
Einschätzung es wohl leider ankommt.
Dabei zieht „er die Parallele zwischen Mythos und
Mathematik, weil der Mythos ebenso losgelöst vom
Dichter scheint wie die Mathematik vom Mathematiker, beide sind nach Brochs Auffassung
nicht subjektiv
interpretierbar, beide können lediglich als Grundelemente des Ausdrucks genutzt werden.“
Abgesehen vom ontologischen Ballast, entspricht das der Lehre von der
Welt 3, bzw. der dritten Domäne:
1. Materielle Welt
2. Subjektives Seelenleben
3. Objektive Konzepte wie die reellen Zahlen, logische Beweise usw.
Ich würde mich dem aber anschließen, dass die Gedanken eines
Mathematikers, sofern sie sich auf Beweise, Zahlen usw. beziehen,
nicht im Rahmen der subjektiven Psychologie interpretiert werden
können. Der Beweis der Unendlichkeit der Primzahlen durch Euklid lässt
sich nicht auf einen Ödipus-Komplex reduzieren. ;-)
Ich glaube auch, dass lässt sich in unterschiedlichen Maße auf
Naturwissenschaftler, Philosophen und Künstler ausdehnen. Ein Dichter
mag zwar seine Phantasien niederschreiben, aber er folgt dabei immer
noch gewissen Gesetzen oder stellt objektive Konzepte dar.
Die Argumente der Philosophen mögen nicht die Schlagkraft eines
mathematischen Beweises haben. Das liegt aber zum großen Teil eben
auch daran, dass die Philosophen in ihren Betrachtungen hochgradig
subjektive Bereiche streifen, wie die Frage nach dem "richtigen"
Leben, der Wahrheit usw.
Das Kontinuum der Zahlen, Muster der Kristallographie oder reine Logik
rufen solche Leidenschaften in der Regel nicht, naturwissenschaftliche
Entdeckungen nicht mehr hervor. Sie sind ein abstrakter Bereich, den
jeder innerlich von den "Kern" seiner tieferen Überzeugungen abgrenzen
zu können glaubt.
Da wo diese starken Leidenschaften wieder in den Bereich der Forschung
kommen, da wird es dann schnell irrational und kontrovers. Siehe z. B.
die Frage nach der Behandlung der Unendlichkeit in der Mathematik oder
den Klimawandel.
Entschuldige, dass meine Gedanken beides, unfertig und abgedroschen sind.
Momentan treffen ja Komplexitätsmathematiker und
Verschwörungsmythologen ganz wörtlich aufeinander. Erstere
haben kürzlich Szenarien zum "Interplay between risk perception, behaviour, and
COVID-19 spread“ berechnet:
Ich habe es mir heruntergeladen, aber heute wird nichts mehr daraus.
Natürlich distanziere ich mich von den umlaufenden
Verschwörungstheorien (oder meinetwegen -mythologien), meine Gedanken
bauen ja auf anderer Grundlage auf.