Ratfrag, nun möchte ich eine Antwort geben auf Deine zuletzt aufgeworfenen Fragen zum
Wahrheitsbegriff des Aristoteles und dessen Unterschied zu Aquinus‘ entsprechender
Definition;
darüber hinaus aber auch den Begriff von Wahrheit generell erörtern, wie man ihn im
Alltagsleben benutzt (denn darauf kommt es ja lebenspraktisch an).
Bezogen auf die von Aristoteles und Thomas v Aquin überlieferten Aussagen zum
Wahrheitsbegriff bin ich davon ausgegangen, jener von Aristoteles sei in der Philosophie
(wie sie heute gelehrt wird) geläufiger ist als der des Aquinus. Und Du hast sehr
zutreffend darauf (in Frageform) hingewiesen, dass beide Begrifflichkeiten eigentlich bis
auf die Formulierung dieselben sind. Ich denke auch, dass sie sich gleichen, da Aquinus‘
Überlegungen hierzu offensichtlich auf die Definition von Aristoteles aufsetzen.
Bleibt dann die Frage, warum ich schrieb, Aquinus‘ Definition läge mir näher. Dazu später
und zunächst nochmal zu Aristoteles‘ Version, die der sog. Korrespondenztheorie (als eine
der gängigen Wahrheitstheorien) entspricht:
„Zu sagen, dass das Seiende nicht ist oder dass das Nichtseiende ist, ist falsch; dass das
Seiende ist und dass das Nichtseiende nicht ist, ist wahr.“ (Aristoteles: Metaphysik IV,
1011b23‐28.)
Das erscheint zunächst wie eine selbstredende Binsenweisheit. Und somit besagt die
Korrespondenztheorie (also auch die These des Aristoteles), dass eine Aussage
(Proposition) nur dann wahr ist, wenn sie genau mit einer Tatsache übereinstimmt also
damit korrespondiert. Dieser logisch-semantische Zusammenhang kommt offenbar der
Alltagserfahrung von Wahr und Falsch bezogen auf einen Sachverhalt rational am nächsten
und somit gilt die Korrespondenztheorie als die bekannteste Wahrheitstheorie.
Deshalb ist sie aber nicht sogleich frei von kritischer Hinterfragung hinsichtlich der
Beziehung zwischen behaupteter Aussage (als dem Wahrheits-Werteträger) und zugrunde
gelegter Tatsache (als dem eigentlichen „Wahrmacher“). Diese Beziehung ist bei Thomas v
Aquin als „Angleichung“, bei Kant als „Übereinstimmung“ und in der Gegenwartsphilosophie
als „Entsprechung“ definiert. Dabei bleibt jedoch das Problem, dass diese
Beziehungsbegriffe hinsichtlich ihrer wahrmachenden Bedeutung nicht apriori eindeutig
geklärt sind und darüber hinaus besonders bei kontrafaktischen Konditionalsätzen (wäre
dieses nicht geschehen, wäre jenes nicht passiert) kaum zu interpretieren sind.
Die Korrespondenztheorie setzt somit die Vergleichbarkeit von Aussagen mit der
Wirklichkeit resp. Faktizität eines Sachverhalts voraus, was aus philosophischer Sicht
durchaus kritisch zu sehen ist. Weiterhin bestimmt sie Wahrheit ohne Rückgriff auf
epistemische Begrifflichkeit wie etwa auf Fakten bezogene Aussagen, unabhängig davon, ob
andere objektive Betrachter zu gleichen Annahmen und dementsprechenden Propositionen
kommen. Die Unzulänglichkeit dieser Theorie liegt darin, dass Wahrheit lebenspraktisch
einen Bezug zu dem haben muss, was vernünftigerweise allgemein als konsensfähige
Überzeugung angesehen oder (wenn auch nur) geglaubt resp. angenommen wird.
Natürlich ist eine epistemische Interpretation immer auch kontextabhängig und man muss
beachten, dass nicht epistemisch verwendete Modalverben einen Sachverhalt resp. Tatsache
grundsätzlich als möglich bzw. gewünscht beschreiben und dabei kontextuell zu beschreiben
ist, was die eigentlich wahrmachende Beziehung bestimmt.
Zusammengefasst kann man festhalten:
Gemäß der Korrespondenztheorie (Aristoteles) gilt das „Wenn-dann-Prinzip“. Wenn eine
Aussage wahr ist, dann gibt es etwas, demzufolge sie wahr ist, die Aussage ist nur dann
wahr, wenn sie eine dediziert relationale, exakt zu bestimmende Eigenschaft aufweist.
Bezogen auf dieses Wenn-Dann-Prinzip lässt sich für alle gebräuchlichen Wahrheitstheorien
hinsichtlich einer Aussage (A) ableiten:
1) Aussage A ist in der Korrespondenztheorie wahr, wenn A in Beziehung einer
„Entsprechung“ zur Realität resp. einem eindeutigen Faktum (als Wahrmacher) steht.
2) In der epistemischen Theorie ist A wahr, wenn die Aussage unter idealen Gesichtspunkten
zu rechtfertigen ist; die epistemische Wahrheitstheorie sagt demnach aus, dass eine
Proposition genau dann wahr ist, wenn sie unter epistemisch idealen Bedingungen
gerechtfertigt ist. Damit ergibt sich ein Problem für diese Theorie, da Wahrheit zwar
unauslöschliche Eigenschaft einer Aussage ist, die dennoch ihre Rechtfertigung (etwa durch
sich veränderndes Wissen über Zeitepochen hinweg) verlieren kann. Daher gibt es kritische
Einwände gegen die epistemische Theorie, in dem Sinne, dass sie keine Wahrheitstheorie
darstellt, da Rechtfertigung erkenntnistheoretisch seine Relevanz verliert, wenn man sie
vom Wahrheitsbegriff schlechthin abkoppeln muss. Das führt zu weiteren kritischen Aussagen
bezogen auf die Begrifflichkeit von Wahrheit, die im positivistischem Kontext zwar eine
Theorie der Rechtfertigung, jedoch keine der Wahrheit legitimiert. Demnach sei der Begriff
von Wahrheit leer (wie das Waldemar hier ebenso postuliert) und überdies nicht das Ziel
von Erkenntnisgewinnung.
3) Eine Aussage ist in der Kohärenztheorie wahr, wenn A als Element einer optimiert
kohärenten Menge von Aussagen zu definieren ist.
Die Kohärenztheorie vertritt demnach die These, dass eine Aussage genau nur dann wahr ist,
wenn sie mit der Gesamtheit vorhandener Aussagen zu einem Sachverhalt etc. übereinstimmt
resp. wenn sie in dieses Ensemble von Aussagen einzugliedern ist.
Im Gegensatz zur Korrespondenztheorie (wo ein Vergleich zwischen Proposition und Faktum
erfolgt) werden in der Kohärenztheorie Aussagen mit Aussagen bzw. mit der auf einen
Sachverhalt bezogene Gesamtheit von Aussagen verglichen. Dabei ist entscheidend, ob sich
Aussagen damit in Einklang, also in das gesamte Aussagen-Ensemble eingliedern lassen.
Somit werden Aussagen mit anderen bzw. einem System von Aussagen, jedoch nicht mit einer
(angenommenen oder geglaubten) Wirklichkeit verglichen.
Und damit sollte sich, Ratfrag. Deine Frage beantworten lassen:
„Fügen Kohärenztheoretiker Kriterium und Definition von Wahrheit zusammen?
Es geht in der Kohärenztheorie nicht um Wahrheit schlechthin, sondern um die Gültigkeit
von Aussagen, die man gegeneinander stellt und im Vergleich hinreichende Kohärenz
feststellt oder eben nicht.
Soweit zunächst dieser Überblick mit der abschließenden Bemerkung zu o.a. Ähnlichkeit der
Korrespondenztheorie mit der Wahrheitsdefinition des Thomas v Aquin. Diese ergibt sich
durch dessen vorausgesetzte „Angleichung“ zwischen Aussage und Tatsache, wie auch Kant
Übereinstimmung ("Adäquation") zur Bedingung einer gültigen Beziehung zwischen
Werteträger und Wahrmacher definiert. Dem schließen sich die gegenwärtigen Vertreter der
Korrespondenztheorie an und definieren „Entsprechung“ zwischen Proposition und Faktum als
entscheidendes Wahrheitskriterium.
Zurück zur Frage, warum mir Aquins Wahrheitsbegriff näher liegt:
Im Gegensatz zu Aristoteles‘ Wahrheitsbezug auf „SEIN und NICHT-SEIN“ steht mir Aquinus
Begriff von Wahrheit als die Übereinstimmung zwischen dem was man denkt und dem was ist.
Habe ich wirklich einen Sachverhalt objektiv zutreffend erkannt (einerlei ob durch eigenes
Denken oder exakt aufgenommenes Wissen) gehe ich davon aus, diesen als wahr ansehen zu
können. Damit verbindet sich ein Stück Autonomie der Erkenntnis, um durch eigenes Denken
frei zu sein bzw. zu werden von objektiv unzutreffenden oder ideologisch resp. dogmatisch
verfassten Aussagen. Heute würde man sagen, sich von „Fake-News“ frei bzw. unabhängig zu
machen. Das wäre im Sinne Deiner präferierten Vorstellung von „Korrespondenz von Intellekt
und Sache“
Bester Gruß an Dich und in die Runde! - Karl