Am 24.02.2024 um 09:48 schrieb Rat Frag über PhilWeb
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Hallo in die Liste,
hallo an Waldemar,
also ist der Konstruktivismus letztendlich das, was man in anderen
Kontext einen Sinnesdatentheoretiker nennt?
Falls dem so ist, würde ich den Konstruktivismus als eine Art
radikalisierte Fortsetzung des Nominalismus begreifen. Er lehnt die
Annahme der Existenz von abstrakten Objekten wie Primzahlen,
allgemeinen Begriffen oder "Ideen" ab.
Er muss, wie die britischen Empiriker es versucht haben, zeigen, wie
allen aus unserer Wahrnehmung z. B. die Vorstellung eines perfekten
Kreises entsteht.
Die Frage wäre, ob dabei die konstruktivistische These hilft.
Für meine Begriffe berauben sich Menschen, die sich als Konstruktivisten bezeichnen, ohne
Not einer uneingeschränkten Empfindung ihrer Lebenswelt. Das entspricht einer
bedauernswerten selbstgewählten Deprivation von Sinneswahrnehmung, insoweit man sich
einredet, oder einreden lässt, dass alle Erkenntnis dieser Lebenswelt nichts anderem
entspricht, als ein subjektives Konstrukt des Gehirns. Damit wird prinzipiell das Vermögen
des Menschen ausgeschlossen, neben dem kognitiven auch ein phänomenales Bewusstsein zu
haben, resp zu entwickeln. Das gilt zumindest für den radikalen Konstruktivismus. Damit
wird im Grunde jegliche Erlebnisempfindung, i.a. als Qualia definiert, ausgeschlossen.
Ich kann mir nicht erklären, aus welcher Geisteshaltung heraus sich eine derartig
eingeschränkte Sicht auf die mentalen Fähigkeiten des Menschen entwickeln kann, sein
außerordentliches Vermögen zu subjektiv ganzheitlicher, d.h. zu emergenter
Erlebniswahrnehmung nicht erkennen zu können. Ich denke eher, Konststruktivisten wollen es
nicht sehen, da sie beharrlich der fragwürdigen Theorie eben des Konstruktivismus
aufsitzen.
Wer seine Lebenswelt aus probabilistischer, konstruktivistischer Sicht betrachtet, kann
per Definition das Wesen der Qualia nicht verstehen. Daher kann Waldemar auch nichts mit
Emergenz anfangen. So hatte ich seinerzeit das Beispiel mit einem Glas Wasser angeführt:
Um dieses bezüglich einer Erlebnisempfindung zu charakterisieren, wird der Konstruktivist
zunächst die Ansammlung unzähliger H2O-Moleküle sehen und ggf. noch den
ernährungstechnischen Nutzen anführen, den subjektiven Erlebnisgehalt hingegen, wie er
sich gesamtheitlich einem dieses Glas Wasser trinkenden Menschen eröffnet, wird er nicht
beschreiben können, obgleich er es natürlich könnte, wäre er nicht in seiner Theorie
gefangen.
Natürlich weiß ein Konstruktivist um den Genuss, den ein frisches Glas Wasser z.B. an
einem heißen Sommertag bereiten kann. Und damit ist auch ausgedrückt, dass die Theorie des
absoluten Konstruktivismus eben nichts anderes als eine ideologische Marotte ist, wie es
v. Glaser selbst nannte. Was dieser wirklich mit Konstruktivismus meinte ist, was auch
Waldemar schreibt: Das Gehirn konstruiert eine Sinneswahrnehmung zu einer Empfindung.
Somit setzt sich dieser Wahrnehmungsprozess gesamtheitlich gesehen aus Konstruktion und
Empfindung des Gehirns/ZNS zusammen.
Das Problem für Konstruktivisten ist (obgleich sie es nicht wahrhaben wollen), dass sie
die großartige mentale Leistung des menschlichen Gehirns/ZNS zur Wahrnehmung von Qualia,
lediglich auf den konstruierenden Part reduzieren.
Selbstredend kann man die Wahrnehmung der Farbe rot als die Detektion einer Wellenlänge
von etwa 700nm definieren, die Empfindung dieser warmen Farbe hingegen ist ein anderes und
es ist und bleibt erstaunlich, dass trotz eindeutig subjektiver Erlebniswahrnehmung keine
einheitlich objektive Beschreibung dieser Empfindung zu erwarten ist.
Was mich besonders am Konstruktivismus stört, ist seine destruktive Ausprägung: Der Mensch
wird reduziert auf einen biochemischen Molekularhaufen, ein quasi mechanisches Gebilde als
Zombie ohne Geist und Seele.
Typen wie Dennet, die Churchlands u.a. lehnen Qualia aus ideologischen Überlegungen ab,
woraus allein schon deshalb niemals abzuleiten ist, dass diese nicht existieren würde. Wie
gesagt, selbst der mental einfachst strukturierte Mensch wird die Qualität von einem
frischen Glas Wasser intuitiv erkennen, obgleich er kaum eine Vorstellung davon haben
wird, wie sich dieses Gefühl erklären lässt. Da hilft allenfalls Alltagssprache (sic!).
Das Thema hatten wir ja kürzlich. Und so würde ich sagen, auch gegen den Irrsinn des
(insbes. radikalen) Konstruktivismus hilft vor allem der Alltagsverstand oder wie es
unsere geschätzten Nachbarn im Süden sagen: der Hausverstand.
Bester Gruß in die Runde! - Karl