Nur noch mal kurz hierzu:
CZ: „Art und Ausmass der Bestrafung werden nicht von grösstmöglicher
Abschreckungswirkung abhängig gemacht, aber die Abschreckungswirkung
ist einer der Gründe (neben anderen), eine Strafe zu verhängen. Wenn
du das nicht glaubst, kann ich die Fachausdrücke Spezial- und
Generalprävention mitliefern. Wohinter ich mich aber gar nicht
verstecken will, sondern es leider so unvermeidbar finde wie das
Gewaltmonopol.“
Ich würde mit dem Nennen von Begriffen zunächst nicht die Intention
verbinden, sich dahinter zu verstecken. Begriffe sind einfach nur
Argumente, und genauso zu prüfen wie diese. Gegen das Argument der
„Generalprävention“ genügt vielleicht schon mal das Argument, das man
gegen dieses Prinzip der Straftheorie sofort auch auf Wikipedia
findet: „daß es das teils [das „teils“ hier verstehe ich nicht, JL]
als Ausdruck der Menschenwürde verstandene Schuldprinzip verbietet,
einen Täter mit schuldunangemessenen Strafen zu belegen, nur um
Abschreckungseffekte bei der Bevölkerung zu erzielen“. Das ungefähr
meinte ich.
Mit der Einschränkung "nur" stimmt es auch. Es geht nicht nur, aber auch
um Abschreckung - des Täters und potentieller Nachahmer.
CZ „Das scheint mir ohne Dämonisierung mehr die
Situation auf der
anderen Seite als auf unserer zu beschreiben, die doch vielleicht
etwas selbstreflektierter und weniger hurrapatriotisch ist, um es
zurückhaltend auszudrücken.“
Das verstehe ich nun tatsächlich nicht. Woher kommen hier plötzlich
diese zwei „Seiten“, unsere und die „andere“? Es ging um die Frage,
wie man motiviert allgemein motiviert wird, in einen
(Verteidigungs)krieg zu ziehen, welche Chancen da eine radikale
Gewaltabstinenz hat, warum die Option der sofortigen Kapitulation
(obwohl vergleichsweise „rational“) so unwahrscheinlich ist, und all
das. Was hat das mit „Hurrapatriotismus“ auf der „einen“, nicht aber
auf der „anderen“ Seite zu tun? Versteh ich nicht.
Das war nicht im Hinblick auf eine abstrakte Diskussion, wie wir sie
hier führen, sondern auf eine konkrete Situation gesagt. Abstrakt kann
man sagen: wenn sich jemand wirklich übel verhält, ist es ein Gebot
rationalen Tatsachendenkens, das zur Kenntnis zu nehmen und sich darauf
einzurichten.
Claus
JL
*Von:*Claus Zimmermann über PhilWeb <philweb(a)lists.philo.at>
*Gesendet:* Mittwoch, 17. Juli 2024 16:38
*An:* philweb <philweb(a)lists.philo.at>
*Cc:* Claus Zimmermann <mail(a)clauszimmermann.de>
*Betreff:* [PhilWeb] Re: Gewalt ist (k)eine Lösung?
Am 17. Juli 2024 09:15:30 MESZ schrieb "Landkammer, Joachim über
PhilWeb" <philweb(a)lists.philo.at>at>:
CZ: "Wie naiv muss man sein, um anzunehmen, das jemand, der in ein
anderes
Land einmarschiert, plötzlich ein Friedensengel wird?"
Aber der Naivitätsvermeidung ist nicht dadurch Genüge geleistet, daß
man ins
Gegenteil fällt und den Feind "dämonisiert" und ihm unendliche
Macht- und Herrschsucht unterstellt. Rationale Einschätzungen müssen
davon ausgehen, daß es auch auf der Gegenseite (politische!)
"Kriegsziele" und einen demgemäß imaginativ antizipierten Stand der
"Saturiertheit" des Gegners gibt, von dem wir eben unsererseits
rational einschätzen müssen, ob wir (in Anbetracht aller Kosten, ihn
zu verhindern!) mit ihm leben könnten. Man muß
Rationalitätsunterstellungen für wesentlich halten, wenn man ein
mögliches Kriegsende (wie "nachteilig" auch immer) herbeiführen will,
sonst haben wir es mit einem "absoluten Feind" zu tun, den man nur
noch "vernichten" kann (oder in dessen versuchter Vernichtung man sich
selbst vernichtet). Und das wäre - bei allem, was es sonst noch ist -
"unprofessionell".
Für Verhandlungen unter Berücksichtigung der Sicherheitsinteressen der
Gegenseite bin ich immer. Sogar wenn sie sich nach innen und aussen
repressiv und mörderisch verhält. Eine Feststellung der Taten ist
keine Dämonisierung.
CZ: "Abschreckung des Täters und potentieller
Nachahmer ist durchaus
ein Argument dafür, ihn zu bestrafen. Er wird damit bei
ansonsten
menschenwürdiger Behandlung teilweise, aber nicht vollständig
verzweckt wie bei einem Arbeitsvertrag auch. Natürlich darf niemand
nur zur Abschreckung bestraft werden, ohne dass seine Schuld
festgestellt wurde."
>Art und Ausmaß der Bestrafung (die ja
nicht bei der
ja-nein-Feststellung von "Schuld" endet) von der erwarteten
Abschreckungswirkung abhängig zu machen, entspricht einer vormodernen
Straf- und Gerechtigkeitstheorie ("Schandmauer", "Schandpfahl",
Hände/Finger von Dieben abhacken, damit alle sehen: schaut, das
passiert, wenn ihr auch... usw.). Modernes "rationales" Strafrecht
individualisiert den Fall (Vorgeschichte des Täters, mildernde
Umstände, usw.), d.h. sie versteht ihn eben nicht als "Beispiel" für
ein Tun, dessen Strafbarkeit man dadurch unter Beweis stellen will.
Bzw. das (also die Gewährleistung von "Rechtssicherheit") wird schon
dadurch erreicht, daß der Fall überhaupt vor Gericht landet: aber dort
wird dann eben nur noch "einzelfallbezogen" entschieden. (Was nichts
daran ändert, daß bestimmte Urteile dann von der Öffentlichkeit so
gewertet - begrüßt oder abgelehnt - werden, weil man ihnen diese
Abschreckungswirkung zutraut bzw. sie sich erhofft: also z.B. diese
sog. "Raser"-Urteile bei tödlichen Staßenrennen. Aber keine
Staatsanwaltschaft in einem Rechtsstaat hätte vor einem solchen Urteil
eine Chance, wenn sie anträte mit dem Grundsatz "da muß jetzt endlich
mal ein Exempel statuiert werden").
Art und Ausmass der Bestrafung werden nicht von grösstmöglicher
Abschreckungswirkung abhängig gemacht, aber die Abschreckungswirkung
ist einer der Gründe (neben anderen), eine Strafe zu verhängen. Wenn
du das nicht glaubst, kann ich die Fachausdrücke Spezial- und
Generalprävention mitliefern. Wohinter ich mich aber gar nicht
verstecken will, sondern es leider so unvermeidbar finde wie das
Gewaltmonopol.
CZ: "Das muss jeder für sich selbst
entscheiden."
Genau. Problem ist nur: das darf meist niemand für sich selbst
entscheiden. Es
sind immer Entscheidungen unter dem Druck von
Ideologien (Nationalismus), Moralismen ("Mut") und Gesetzen
("Wehrpflicht").
Das scheint mir ohne Dämonisierung mehr die Situation auf der anderen
Seite als auf unserer zu beschreiben, die doch vielleicht etwas
selbstreflektierter und weniger hurrapatriotisch ist, um es
zurückhaltend auszudrücken.
Claus
>JL
>-----Ursprüngliche Nachricht-----
>Von: Claus Zimmermann über PhilWeb <philweb(a)lists.philo.at>
>Gesendet: Mittwoch, 17. Juli 2024 04:21
>An: philweb <philweb(a)lists.philo.at>
>Cc: Claus Zimmermann <mail(a)clauszimmermann.de>
>Betreff: [PhilWeb] Re: Gewalt ist (k)eine Lösung?
>Am 17. Juli 2024 01:31:09 MESZ
schrieb "Landkammer, Joachim über
PhilWeb" <philweb(a)lists.philo.at>at>:
>CZ "Auch damit so etwas über den
Einzelfall hinaus nicht Schule
macht. Und das gilt m.E. sowohl hinsichtlich der
Bewertung als auch
hinsichtlich der Folgen einer Duldung eines Diebstahls auch im
Verhältnis zwischen Staaten. Wenn man die Welt den Wölfen überlässt,
lassen sie sich nicht lange bitten."
>
>Ja, das ist das Abschreckungsargument, das aus dem Einzel- einen
Präzedenzfall, den Anfang eines slippery slope machen will, usw.
>Aber ich weise daraufhin, daß es gerade
deswegen dem Einzelfall eben
NICHT gerecht wird, es tendiert dazu, ihn über Gebühr
und Maß
aufzuladen, ihm "symbolischen" Wert zu verleihen, ihm Wirkungen und
Folgen zuzuschreiben, die nur hypothetisch sind.
>Wie naiv muss man sein, um anzunehmen,
das jemand, der in ein anderes
Land einmarschiert, plötzlich ein Friedensengel wird?
> >(Deswegen plädieren Verteidiger immer dagegen, daß ein Fall vor
Gericht als "exemplarisch" verstanden wird; niemand darf nur "zur
Abschreckung" von Folgetätern bestraft werden, weil ihn das (nach
Kant) zum Mittel für einen Zweck macht).
>Abschreckung des Täters und
potentieller Nachahmer ist durchaus ein
Argument dafür, ihn zu bestrafen. Er wird damit bei ansonsten
menschenwürdiger Behandlung teilweise, aber nicht vollständig
verzweckt wie bei einem Arbeitsvertrag auch. Natürlich darf niemand
nur zur Abschreckung bestraft werden, ohne dass seine Schuld
festgestellt wurde.
>> Das gilt auch bei der Frage, ob man sich per Gewalt/Krieg gegen
einen Aggressor wehren soll: es mag ja sein, daß es für die anderen,
für die Welt, für den mittel- bis langfristigen "Weltfrieden" besser
wäre, diesen Aggressor sofort zu stoppen, aber warum soll gerade ich
(als zur Landesverteidigung eingesetzter Soldat) jetzt und hier dafür
mein Leben riskieren? Ich darf doch bitte hic et nunc und nur für mich
abwägen, es geht um mein Leben, und ich hab nur das eine. Die
Abschreckungswirkung ist auch so ein externes Argument wie das
"Recht", das man schön abstrakt im Seminar und an den
Verhandlungstischen der Befehlshabenden diskutieren kann; für die
"Frontschweine", für den je Einzelnen, für die "professionelle"
Gewaltanwendung vor Ort ist es quasi bedeutungslos.
>Das muss jeder für sich selbst entscheiden.
>Claus
>>JL
>>
>>
>>>
>>>-----Ursprüngliche Nachricht-----
>>>Von: ingo_mack über PhilWeb <philweb(a)lists.philo.at>
>>>Gesendet: Dienstag, 16. Juli 2024 17:44
>>>An: Claus Zimmermann über PhilWeb <philweb(a)lists.philo.at>
>>>Cc: ingo_mack <ingo_mack(a)web.de>
>>>Betreff: [PhilWeb] Re: Gewalt ist (k)eine Lösung?
>>>
>>>hallo Claus:)
>>>
>>>bist du ganz sicher, daß sich Herr Clausewitz
>>>
>>>sich eingehender mit dem Henne-Ei-Problem herumgeschlagen hat?
>>>
>>>wenn Gewalttaten (konsequent) auf ihre Ursprünge zurückgeführt werden
>>>
>>>bist du ruck-zuck beim Brudermord und der hat schlicht nur gefragt,
>>>
>>>warum er seines Bruders Hüter sein soll.
>>>
>>>ist Notlüge auch eine Form von Gewalt?
>>>
>>>
>>>Am 16.07.24 um 16:58 schrieb Claus Zimmermann über PhilWeb:
>>>> An dem Clausewitz-Zitat gefällt mir nicht, dass, wer sich
>>>> verteidigt, damit als Angreifer dastehen könnte. Das wird als
>>>> Täter-Opfer-Umkehr bezeichnet und wäre eine Riesenschweinerei. Man
>>>> könnte es aber auch so verstehen, dass damit ohne Schuldzuschreibung
>>>> nur gesagt wird, dass die Verteidigung in der Regel der erste
>>>> Schritt zu längeren Kämpfen sein wird, weil der Angreifer seine
>>>> Gewaltbereitschaft ja schon gezeigt hat.
>>>>
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