Am 01.03.2021 um 02:58 schrieb K. Janssen
<janssen.kja(a)online.de>de>:
Mein Hinweis auf Dawkins bezog sich auf ein von mir (ich denke in einem Beitrag Nov. 20)
vorgebrachtes Dawking-Zitat:
„In einem Universum mit blinden physikalischen Kräften und genetischer Verdoppelung
werden manche Menschen verletzt, andere haben Glück, und man wird darin weder Sinn und
Verstand noch irgendeine Gerechtigkeit finden. Das Universum, das wir beobachten, hat
genau die Eigenschaften, mit denen man rechnet, wenn dahinter kein Plan, keine Absicht,
kein Gut oder Böse steht, nichts außer blinder, erbarmungsloser
Gleichgültigkeit.“(Dawkins)
Was anderes als „blinder Zufall“ soll Dawkins‘ Beschreibung des Universums (und damit
auch und insbes. unseres Lebensraums) ausdrücken?
Hi Karl,
von "blindem Zufall“ steht bei Dawkins nichts, wohl aber von „blinden physikalischen
Kräften“. Aber um Wortklauberei geht es mir nicht. Im „blinden Uhrmacher“ jedenfalls geht
es Dawkins (wie vielen anderen Naturwissenschaftlern) um den Nachweis, dass die Evolution
ursächlich verstanden werden kann, ohne dass ein Zweck unterstellt werden muss. Und das
obige Zitat verstehe ich so, dass die Natur nach Dawkins schlicht neutral aus sich selbst
heraus evolviert. Mit Sinn, Gerechtigkeit und Moral interpretieren lediglich Menschen sie.
Ich halte eine anthropomorphe Sichtweise auf die Natur für abwegig, im Kontext der
Mathematik aber wäre es aufschlussreich, einmal zu untersuchen wie weit die Äquivalenz von
Integral- bzw. zielorientierten und Differential- bzw. kausalen Prinzipen reicht. In den
Variationsprinzipien der Physik sind Wirk- und Zielursachen ja gleichwertig. Aber wie weit
ließen sich die mathematischen Strukturen verallgemeinern, so dass sie physikalisch noch
Sinn machten? Derartige Untersuchungen sind mir noch nicht bekannt.
Diese kalte und reduktionistisch verkürzte Sicht auf
das Leben vermittelt letztlich nichts anderes als dessen Sinnlosigkeit. Diese seine
Grundeinstellung kann er auch nicht durch blumige Verzierungen vertuschen, indem er von
einer ihm eigenen „poetischen, nahezu transzendenten Weltanschauung“, von „unglaublichen
Privileg ein paar Jahrzehnte des Lebens gewährt zu bekommen“ spricht.
Man wollte unmittelbar fragen, wer ihm denn dieses privilegierte Leben gewährt!
Im Gegensatz zu Deiner Ablehnung ist mir der Mann ausnehmend sympathisch. Sein Engagement
für die Aufklärung halte ich allerdings für naiv, denn Gläubige sind Argumenten gegenüber
immun und die schon aufgeklärten bedürfen keiner Aufklärung. Da bleiben wohl nur noch die
Kinder als Adressaten, immerhin.
Seit wann wollten/sollten Deterministen eine
Metaphysik vertreten?
War auch klar, dass Waldemar hier sich sofort einklinkt:
„wie deterministen den radioaktiven zerfall erklären, würde mich allerdings auch und sehr
interessieren ...“
Werden „Deterministen“ nun schon als Metaphysiker gehandelt? Einige von ihnen werden wohl
nicht zu blöde sein, den objektiven Zufall in der QM zu verstehen und man könnte es ihnen
zugestehen, entsprechende Schlüsse gemäß ihrem Weltbild zu ziehen; ebenso wie materielle
Monisten den besagten objektiven Zufall bemühen, um die Zufälligkeit (und damit eine der
Lebenswelt innewohnende Entelechie in Abrede zu stellen).
Warum die Gereiztheit? Der Determinismus zählt gemeinhin zur Metaphysik, denn in der
Physik kommt er nicht vor, dort gelten Formalismen und Experimente. Und hinsichtlich der
mehr oder minder großen Vagheit jeder Erfahrung, Prognose und Messung geht es stets um
Wahrscheinlichkeiten, die nur in idealisierten Grenzfällen rein deterministisch oder rein
zufällig ausfallen (angemerkt: Ist die Gerechtigkeit analog zwischen Egoismus und
Altruismus dehnbar?). Dabei scheint die Radioaktivität den seltenen Fall einer
vollständigen Annäherung an das Ideal zu sein. Was folgt aus dieser Asymmetrie der
Wahrscheinlichkeit? Determinismus bleibt ideale Fiktion, Zufälligkeit existiert wirklich.
Chaitins "Algorithmic Information Theory“ wirst Du kennen, für die interessierten
Mitlesenden hier eine Kurzfassung:
https://arxiv.org/pdf/math/0303352.pdf
Für Chaitin ist Zufälligkeit im Anschluss an das Halteproblem ja der astronomisch häufige
Normalfall, Ordnung die seltene Ausnahme. Karl Svozil hat in "Randomness &
Undecidability in Physics“ die Untersuchungen der Mathematiker Gödel, Turing und Chaitin
zur Unentscheidbarkeit, Berechenbarkeit und Zufälligkeit auf die Physik erweitert.
Einleitend stellt er ein Motiv seines Buches besonders heraus: "The recognition that
what is often referred to `randomness' in physics might actually be a signature of
`undecidability' for systems whose evolution is computable on a step-by-step
basis." Die von Bohr und Heisenberg an der Quantenmechanik immer wieder
hervorgehobene "Komplementarität" zwischen Wellen- und Teilchenphysik ist auch
in der Informatik anzutreffen; denn "`complementarity’ is a feature which can be
modelled by experiments on certain finite automata.“
Letztlich ist es die „Innensicht", die wir stets nur haben können und die uns auf
eine Selbstbezüglichkeit einschränkt, sei es das Bewusstsein im Selbsterleben unseres
Gehirns oder die Biosphäre als Lebensäußung der Erde in der Milchstraße: "The
recognition of the importance of intrinsic perception, of a `view from within', might
be considered as a key observation towards a better understanding of undecidability and
complementarity.“ Das ist mit der Umsicht eines Wissenschaftlers formuliert, aber was soll
gemeint sein mit "eine der Lebenswelt innewohnende Entelechie“?
IT