Hallo Karl,
ich antworte verspätet etwas ausführlicher.
Ich vermute, bei Buber geht es darum, welche Gestalt man durch die
Begegnung mit anderen Menschen annimmt. Mir ging es darum, wie man
überhaupt zu einer Gestalt wird.
Kann sich schon der Fötus im Mutterleib so sehen?
Da pocht etwas, die Geräuschkulisse verändert sich, Geschaukel findet
statt. Kann es diese Erfahrungen jemandem zuordnen? Wem denn? Wer ist
denn da? Kennt es durch Erfahrung etwas anderes als Geräusche,
Geschaukel und Ähnliches?
Zweiter Akt: Das Kind ist auf der Welt. Es stellt allmählich fest, daß
es sich bewegen kann (falls es das schon vorher bemerkt haben sollte -
ich bin kein Experte für frühkindliche Entwicklung - würde der zweite
Akt schon früher anfangen) und daß es dabei besser vorsichtig ist,
während es nicht weh tut, irgendwas anderes durch die Gegend zu werfen.
Es macht eine Unterscheidung, die dann später in der Sprache nur noch
i-tüpfelchenmäßig nachvollzogen wird.
Gleichzeitig hat es Begegnungen, durch die es in lebendige Beziehungen
zu anderen gerät. Damit erfährt es sich selbst als jemand Bestimmten im
Gegensatz zu und Miteinander mit diesen anderen. (Das entspricht
vielleicht doch Bubers "Am Du wird der Mensch zum Ich.")
Auf diese Idee konnte es nicht allein durch die ersten Erfahrungen kommen.
Zu deiner Skepsis gegen die medizinische Wirkung von Definitionen
(bezieht sich auf spätere mails):
Man muss jedes Wort erklären können. Entweder verbal, wobei unbekannte
Ausdrücke durch bekannte erklärt werden und keiner durch sich selbst
oder durch eine wortlose Demonstration, worauf es am Ende immer
hinauslaufen wird, wenn Worte etwas mit dem Leben zu tun haben und nicht
nur auf andere Worte verweisen sollen.
Woher soll ich sonst wissen, was von mir erwartet wird, wenn die Ampel
rot ist? (Worte sind ja im Prinzip nichts anderes als Verkehrszeichen.)
Das könnte ja alles mögliche heissen. Was nicht bedeutet, daß man sich
im Alltag dümmer stellen muss als man ist, aber auf dem philosophischen
Glatteis ist das was anderes.
Diese wortlose Demonstration appelliert an ein "du weisst schon".
Claus
Am 13.09.2020 um 15:35 schrieb Karl Janssen:
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Am 12.09.2020 um 20:08 schrieb Claus Zimmermann
via Philweb <philweb(a)lists.philo.at>at>:
(Zu den Voraussetzungen dieser Begriffsbildungen
scheint mir zu gehören, daß man sich etwas unter einer Person vorstellen kann. Vielleicht
kommt man nicht als Person zur Welt, sondern wird dazu erst durch Erfahrung.
Sehr sicher, denke ich ebenso, spielt die Erfahrung der Zwischenmenschlichkeit, vor allem
der Eingebundenheit in eine Gemeinschaft (Familie, Gruppe etc.). Das wollte ich mit Bubers
dialogischem Prinzip verdeutlichen.
Wenn nur Sehen, Fühlen, Riechen stattfände, ohne
daß man angelacht und gekitzelt würde und ohne daß man feststellen würde, daß sich der
"Film" vorübergehend abschalten läßt, indem man z.B. die Augen schliesst - wie
sollte er dann irgendjemandem als Betrachter zugeordnet werden? Wem denn?
Das wäre der allgemein-tierische Teil der Entwicklung.
Womöglich sogar der entscheidende Anteil basaler Persönlichkeitsentwicklung mittels enger
sozialer Beziehung.
Zum spezifisch menschlichen gehören die
Personalpronomina.)
Also würde ich darunter die weitergehende Ausformung der Persönlichkeit durch allgemeine
gesellschaftliche Beziehungen verstehen.
Was bedeutet "existieren"?
Die Existenz von Säbelzahntigern wird dadurch bewiesen, daß man ein Exemplar präsentiert.
"Es gibt Säbelzahntiger" bedeutet: Ich kann dir - im Prinzip jedenfalls - einen
zeigen.
Was bedeutet also "ich existiere"?
"Ich kann dir die Person zeigen, auf die ich gerade zeige oder die ich gerade sonst
irgendwie kenntlich mache."
Also eine Tautologie, nicht ein unbezweifelbarer Satz, sondern einer ohne Inhalt.
Die (passive wie aktive) Wahrnehmung der Existenz durch Subjekt - Objekt - Beziehung.
Eben, wie ich es durch Bubers Ausführung verdeutlicht sehe. (Ich zitiere es nochmal
hier):
„Der Mensch wird am Du zum ICH“. Diese Ausrichtung auf Zwischenmenschlichkeit („...erst
der Mensch mit dem Menschen ist ein rundes Bild.“) drücken die in diesem Zusammenhang
geschaffenen Wortpaar-Begriffe „Ich-Es“ und „Ich-Du“ aus.
Buber formuliert, wer aus „Ich-Es“ spricht, erfährt die Welt, macht sie sich nutzbar und
zweckdienlich, während mit dem „Ich-Du“ das ICH in eine real unmittelbare Beziehung zu
einem Menschen tritt.
Kannst Du in Bezug auf Deine Argumentation damit etwas anfangen?
Grüsse und gute Besserung
Vielen Dank - ich kann‘s gut brauchen!
Mit bestem Gruß an Dich und in die Runde!
Karl
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