Am 16.11.2020 um 07:34 schrieb Joseph Hipp via Philweb:
[Philweb]
Am 16.11.20 um 00:52 schrieb K. Janssen:
...
Ja es ist richtig, es gibt ein Problem mit diesen Wiederholungen -
vor allem, wenn sie unnütz sind!
Aber welche Wiederholungen sind nutzlos, welche nützlich?
Es ging mir nicht um „diese Wiederholungen“, es ging darum, dass ich
zeigte, wieso das Wort Form mir nichts bringt, nichts beibringt. Ich
stehe hier vor dem „Ding-an-Sich“, gemäß Vaihinger vor einer Fiktion,
und damit nicht einmal einer Hypothese.
Wir hatten in Bezug auf das diskutierte Thema einen unterschiedlichen
Blick auf die Begrifflichkeit von Form.
Du hast im Zusammenhang meiner Aussage, Ideen formen Materie und bringen
somit Materie in eine Form, letztere als etwas konkret Ausgeformtes
verstanden (in diesem Fall eine Gussform). Das mag daran liegen, dass
ich nicht den geeigneten Kontext zum Verständnis von Form (im
Zusammenhang mit Idee) hergestellt habe. So können wir an diesem
Beispiel sehen, wie schwierig es sein kann, Worte hinsichtlich ihrer
Begrifflichkeit (den teils sehr unterschiedlich zugeordneten Bedeutungen
geschuldet) zu vermitteln bzw. zu verstehen.
Wenn nun jemand sagt: „Das Ding-an-sich ist etwas sehr
Wichtiges“, und
mir das immer wieder vorträgt, dann hilft mir das nicht weiter. Wenn
ich also das Wort „Form“ als nichts bringend hinstellte, und dann
kommt das Wort „Idee“, dann befasse ich mich nicht auch noch mit
diesem, weil alles auf dasselbe hinaus läuft.
Vielleicht sollten wir zunächst Form als Wort und Begriff sowie Idee und
das „Ding an sich“ behutsam gemäß ihrer eigentlichen Bedeutung betrachten:
Form steht meist (im alltäglichen Sprachgebrauch) für die äußere Gestalt
(Struktur, Umriss, Konturen, Flächen etc.) eines real beobachteten
Gegenstands, dessen substantielle Konsistenz hingegen kein
morphologisches Kriterium darstellt.
Weiterhin wird Form als Begriff für eine nicht gegenständliche Struktur,
also für eine abstrakte Ausgestaltung (z.B. der generische Typus einer
Musikkomposition, oder eben – wie von mir unter philosophischem Aspekt
verwendet – die Idee als indirekt materieformendes Abstraktum)
verwendet. Die Unterscheidung zwischen beiden „Ausdrucksformen“ ist nur
durch entsprechenden Kontext vermittelbar.
So wird deutlich, dass Ideen zunächst lediglich Abstrakta sind, womit
unmittelbar nichts Gegenständliches geschaffen werden kann; Letzteres
bedarf der Vermittlung durch transformierende Handhabe. Diese
Selbstverständlichkeit habe ich bei meinem Legostein-Beispiel
unterschlagen.
Wenn wir noch einen Moment bei Ideen verweilen wollen, würde ich gerne
nochmal auf Platons Ideenwelt eingehen (dem Waldemar zum Graus).
Platons Ideen stehen als metaphysische, reine, immer seiende, in sich
immer gleiche Instanzen für das selbstidentische Sein alles
Existierenden. Sie sind nicht mittels menschlicher Erkenntnisfähigkeit
zu ergründen resp. zu beschreiben und fallen daher in Kants Begriff des
„Ding an sich“. Insoweit ist deren Betrachtung bzw. Diskussion mit uns
zugänglich rationalen Mitteln ausgeschlossen. Wer also über „Gott und
die Welt“ oder eben Platons Ideenwelt unter Ausschluss der Metaphysik
diskutieren will, muss/sollte diesbezüglich passen, oder aber sich - wie
von Waldemar klugerweise empfohlen - ein Hintertürchen offen halten: „Es
gibt Gott UND es gibt keinen Gott!
Bezogen auf Platons Ideenwelt heißt das (mit allen Konsequenzen): es
gibt sie UND es gibt sie nicht und jeder soll für sich sehen, wie und ob
er damit klar kommt.
Glücklicherweise sind unsere, also menschliche Ideen nicht
metaphysischer Natur (unbenommen ggf. durch deren inspirative
Bereicherung), sondern entspringen kreativem Geist und dementsprechenden
Erfahrungspotential mit zumeist anwendungsbezogen angelegter Realisation
derselben.
Solchem - eher pragmatisch orientiertem Denken - war wohl auch (der von
Dir zitierte) Hans Vaihinger zugetan. Wohl wissend um die Fallibilität
menschlichen Denkens und Wissens empfiehlt er (mit schwäbischer Schläue
gesegnet), diesem Defizit mit der Strategie des „als ob“ zu begegnen:
Das Denken ist immer auch mit Fiktionen durchzogen, ob wir uns das
eingestehen wollen oder nicht. Ich teile natürlich nicht die Ansicht,
jegliches Denken sei Fiktion; sofern dies jedoch fallweise zutrifft,
zeigt sich der erstaunliche Effekt, dass dieses Phänomen scheinbar
gedachter Wirklichkeit durchaus nutzbringend sein kann und man damit
umzugehen lernt bzw. gelernt hat (als ob es eben tatsächliche Realität
wäre). In dieser „vermittelnden Funktion“, quasi Transformation
scheinbarer Wirklichkeit in die alltägliche Lebenspraxis können
Fiktionen zweckdienlich sein. Dennoch: nicht alles ist Fiktion (wie
manche Utopisten und Weltenträumer uns vorgaukeln), so eben nicht die
unzweifelhaft naturwissenschaftlich nachgewiesenen Fakten und das damit
verbundene konkrete Denken und Wissen.
In deinem Sprachgebrauch gibt es die „nutzlose Materie“, das war der
Ausgangspunkt, und ich wollte die Ehre der Materie retten. Die Form,
das Ding-an-sich sollte die Materie „in Form“ bringen, warum nicht in
Bewegung? Also ich bin es nicht, der das Wort „nutzlos“ zuerst
benutzte, warum sollte ich jetzt sagen, was nutzlos und was nützlich ist.
„Nutzlose Materie“ in meinem (üblichen) Sprachgebrauch zu führen wäre
fatal.
Ich schrieb: So eminent grundlegend Bausteine auch sind, ohne Ideen,
diese in Form zu bringen (Platon), bleiben sie schlichtweg nutzlose Materie.
Ob man es hören will oder nicht: Anima unica forma corporis.
Um dies in Deinem Sinne zu erläutern, wähle ich ein praktisches Beispiel
aus der Alltagswelt, nachdem wir nun über Ideen zur Genüge theoretisiert
haben.
Dem Wunsch ein Haus zu bauen (heutzutage eher bauen zu lassen) folgen
zahlreiche Ideen zur Gestaltung, die dem Architekten angetragen werden.
Es folgen weiterhin Abschätzungen (Finanzierung, Bauplatz, behördliche
Genehmigung usf. Und schließlich wird der Bau in Angriff genommen. Der
Bauplatz ist ausgehoben und für die Bauarbeiten vorbereitet. Nun karren
Lastwagen Baustoffe (im übertragenen Sinn Bausteine) herbei. Die
Handwerker wollen mit ihrer Arbeit beginnen und fragen nach dem Bauplan.
Der Architekt ist noch nicht vor Ort und teilt mit, der Plan sei wegen
einem Computercrash nicht verfügbar. Er wird natürlich (nach Reparatur
des Rechners) wieder verfügbar sein. Das Baumaterial („Bausteine“)
jedoch liegt für diesen Zeitraum ungenutzt am Bauplatz, ist für diese
Zeitspanne ohne Plan (zu Papier gebrachte Ideen) „nutzlose Materie“.
Dieses Beispiel soll zeigen, dass alle „Baustoffe“ dieser Welt solange
nutzlos (zutreffender ausgedrückt: ungenutzt) sind, als sie nicht -
einem Plan entsprechend - in Form gebracht werden, was aber nicht deren
grundsätzliche Nutzlosigkeit bedeutet.
Hier geht es nicht mehr um Materie, sondern um
Wiederholungen von
Sätzen, die nicht einmal wiederholt werden können, weil ich dem Geist
„Form“ Materialität unterstellt habe, was sogar von dir lieber Karl,
auch so gedacht wurde. Also jetzt etwas oder viel zu Wiederholungen
und deren Nützlichkeit zu schreiben, ok, das wäre aber ein ganz
anderes Thema.
Wir sollten da nicht sofort ungnädig sein, denke ich.
Das will ich auch auf keinen Fall.
Bestens!
Nun, ich gehe davon aus, dass Verbrecher in
erster Linie ihre
niederen Instinkte in Form krimineller Handlungen ausleben, diesem
Handeln liegen natürlich (durchaus teuflische) Ideen zugrunde.
So einfach mache ich es mir nicht. Würde die Form dann selbst niedere
Instinkte enthalten? Würde es dann teuflische Formen geben, die über
nutzlose Materie herfallen?
Hier haben wir nochmal diese missverständliche Interpretierbarkeit von
„Form“.
Ich meinte mit /„niedrige Instinkte in Form krimineller Handlungen
...“/, dass niedrige Instinkte (Habgier, Neid, Mordlust etc.) eines
Verbrechers sich in kriminellen Handlungen ausformen oder anders gesagt,
diese Instinkte sich als verbrecherische Handlungen ausdrücken resp.
auswirken.
Und was ist besser: Ein völlig sauberer Kristall vor
oder nach seinem
Schliff? Wer sich in niederen Instinkten, Nutzlosigkeit, Teuflichkeit
auskennt, müsste Antworten parat haben.
Eine Antwort in diesem Zusammenhang geben zu wollen/sollen, ist ein
ungewisses Unterfangen. Für mein Teil würde ich sagen, dass beide
„Ausformungen“ (die unbehandelte wie die geschliffene) ihren
spezifischen Reiz haben und würde damit von „gut oder besser“ absehen.
Liegen die vielen Formen, nach denen der Diamant
geschliffen werden
kann, im Reindiamanten schon als Möglichkeiten vor, unter denen der
Schleifer auswählt? Oder zwingt er dem Reindiamanten dann seine
persönliche Form auf?
Potentiell liegen beliebige Formgebungen dem Substrat des unbehandelten
Kristalls zugrunde. Aus diesen Möglichkeiten wird der (erfahrende)
Schleifer die den spezifischen Merkmalen des Kristalls angepasste
Formgebung wählen und diese mit seinem handwerklichen Geschick zum
Ausdruck bringen.
Sind verbrecherische Ideen genauso ewig wie
nicht-verbrecherische?
Oder sind es keine Ideen?
Wenn ich mir die Welt so anschaue und auch Jahrtausende zurück blicke,
bleibt mir nur die Annahme, verbrecherische Ideen sind ewig.
Deshalb meine (wiederholte) Aussage: Die Welt ist Himmel und Hölle
zugleich.
Das verbrecherische Potential dementsprechender Ideen anbelangend ist zu
sagen: es sind definitiv keine guten Ideen!
Sollte das was oberhalb des Bauchnabels immer gut
sein? Und der Blick
nach oben gut, nach unten schlecht?
Das ist wohl relativ zu sehen: Mal ist's oben nicht so gut, mal unten
und vice versa.
Ich freue mich auch um unser Gespräch, das keiner unteratomaren
Erklärungen bedurfte.
Ja klar, das „große Ganze“ ist halt mehr als die Summe seiner
(Elementar-)Teilchen und der starre (meist unverstandene) Blick auf das
Kleinste ist nicht immer weiterführend und oft sogar nur trostlos.
Mit bestem Gruß an Dich und in die Runde! - Karl