Am 13.06.2020 um 19:04 schrieb Rat Frag
<rat96frag(a)gmail.com>om>:
Die Unschuldsvermutung auf das Handwerk übertragen,
wie sollte das gehen?
Geht der Handwerker solange davon aus, dass etwas nicht stimmt, bis er
nachguckt? Ich denke doch eher nicht, im Gegenteil, jeder Handwerker
wird klugerweise potenzielle Gefahren voraussehen.
Hi Rat Frag,
es geht um die Sorgfalt und Erfolgskontrolle im Handwerk, die erforderlich ist, damit es
etwas Brauchbares gibt. So sorgfältig sollte auch beim Theoretisieren vorgegangen werden.
Keinen Beweis für etwas vorliegen zu haben, widerlegt
die Theorie nicht.
Du scheinst im zweiwertigen Denken von grundsätzlichen wahr-falsch Unterscheidbarkeiten
gefangen zu sein. Erweitere doch mal Deinen Horizont!? Neben wahr und falsch gibt es das
weite Feld des Unwissens. Damit eine Theorie überhaupt als solche gelten kann, sind ihre
Sätze prinzipiengeleitet zu beweisen. Denk beispielsweise an physikalische Theorien und
nicht an irgendwelchen Humbug. Das Wort „Theorie“ wird leider (wie so viele andere Worte
auch) geradezu inflationär gebraucht und damit nahezu bedeutungslos. Unser Unwissen ist
grenzenlos und wird durch unbedarftes Dahergerede nur verschleiert.
Ein Mathematiker oder ein Astronom würde wohl kaum so
argumentieren:
"Solange kein Beweis vorliegt, ist das Gegenteil richtig, bzw. gibt es
das Ding auch nicht". Sonst würde wir niemals Exo-Planeten suchen,
weil die Abwesenheit von Beweisen ja bestätigen würde, dass da keine
Exoplaneten sind.
Der Fall mit den Exoplaneten ist mit den noch nicht experimentell nachgewiesenen
Mikroobjekten in der Physik vergleichbar. Solange sie nicht beoachtet wurden, gelten sie
als nichtexistent, werden lediglich vermutet. Unterdessen sind allerdings bereits einige
Tausend nachgewiesen worden und es wird nach Lebenszeichen auf ihnen gesucht. Solange die
nicht gefunden werden, gelten sie als unbelebt.
Der Fall scheint mir aber durchaus nicht so trivial.
Die Annahme, dass
etwas der Fall sei, weil das Gegenteil zu Widersprüchen führt, würde
vor Gericht bei Indizienprozessen durchaus angewandt werden können.
Die Indizien müssten nur da sein.
Ähnlich ist es bei der Auslegung von Gesetzen. Auslegung A ist falsch,
weil die Konsequenzen daraus anderen fixen Auslegungen
(Gerichtsbeschluss) widerspricht.
Ändert das was am Grundsätzlichen oder sind es bloß regelbestätigende Ausnahmen?
Eigentlich nicht. Das gehört eher in den Bereich
"Nicht entschiedene
Fragen der Wissenschaft". Ich selbst glaube zwar nicht an
Mirko-Black-Holes, aber das liegt daran, dass ich die Theorie nicht
kenne. Ich glaube auch nicht daran, dass es sie nicht gibt.
Du kannst natürlich glauben was Du willst, in der Wissenschaft sollte es redlicher
zugehen, wobei Redlichkeit auch im Alltag hilft. Und verweisen „nicht entschiedene Fragen
der Wissenschaft“ nicht gerade auf das unendlich weite Feld unseres Unwissens, das sich
zwischen Schuld und Unschuld sowie wahr und falsch erstreckt? Der Physiker Feynman folgte
in seinem Leben drei Prinzipien, sowohl im Alltag wie in der Wissenschaft:
1. The first principle is that you must not fool yourself, and you are the easiest person
to fool.
2. I learned very early the difference between knowing the name of something and knowing
something.
3. I can live with doubt and uncertainty and not knowing. I think it's much more
interesting to live not knowing than to have answers which might be wrong.
Es grüßt,
Ingo