Am 26.01.2024 um 11:29 schrieb Ingo Tessmann über
PhilWeb <philweb(a)lists.philo.at>at>:
Hi RF,
was soll denn das heißen, etwas Aktualunendliches vor sich zu haben? Praktiker und Kinder
haben 3,14 vor sich oder das bildhafte Verhältnis von Umfang zu Durchmesser des Kreises.
Willst Du womöglich wie Cantor letztlich auf das „göttliche Absolutunendliche“ hinaus? Der
auch gläubige Christ sah das Aktualunendliche ja als mathematische Vorstufe dorthin an.
Was immer das heißen soll, es wäre eher mathematische Theologie denn mathematische
Philosophie.
Hinsichtlich Deiner Alltagserfahrungen in Verbindung mit Pi geht es wohl eher um Dein
Vorurteil als um Deinen Mangel an Verstand. Und dafür haben wir ja die Wissenschaft, um
Vorurteile zu vermeiden und den Verstand zu bereichern. Die quantitative Welt da draußen
kann nur angenähert werden, sei es beim handwerklichen Tischlern oder mit dem
Hochenergie-Beschleuniger. Auch wenn Messungen schon bis auf 14 Stellen genau ausgeführt
werden können, sind das immer noch verschwindend wenige hinsichtlich des potentiell
Unendlichen. Die Vereinbarkeit von mathematischem Kontinuum und physikalischer Diskretheit
kann im Verhältnis von kontinuierlicher Feld-Möglichkeit und diskreter
Teilchen-Wirklichkeit gesucht werden.
Was soll es dann mit „mathematischer Theologie“ auf sich haben, Ingo? Ist diese
Wortschöpfung nicht ähnlich der einer „mathematischen Philosophie“ wirklichkeitsfremd?
Letztere ist wohl an B. Russels Buch „Introduction to Mathematical Philosophy“ angelehnt
und ist ebenso irreführend, denn Russel hat dieses ganz klar als Mathematikbuch
geschrieben und so müsste man eher von einer Philosophie der Mathematik und nicht von
„mathematischer Philosophie“ sprechen. Wo sich definitiv Mathematik und Philosophie
treffen, sind logische Systeme wie z.B. die Prädikatenlogiken, die in jeweiliger Disziplin
Möglichkeiten der Falsifizierung, resp. Formalisierung von Argumenten bereitstellen.
Wie immer witterst Du den Geruch von Theologie und Metaphysik, hier bezogen auf benannte
„aktuale Unendlichkeit“ (unbenommen, ob man die Kreiszahl pi dieser Kategorie zuordnen
wollte), also die nach dem Aquinaten (mit Bezug auf Aristoteles) entstandene christliche
Vorstellung von Gott als aktuale Unendlichkeit. Diese wiederum, in Anlehnung an die
Mathematik wurde wohl wegen der angenommenen Unendlichkeit einer zwar transzendenten, aber
dennoch absolut vollkommenen, tatsächlich existierenden Wesenheit gleich gesetzt, die man
Gott nennt.
Kommt man von diesem Gedankengang wieder in irdische Gefilde, erhebt sich die Frage, ob
denn aktuale Unendlichkeit überhaupt oder eben doch nur die potentielle gegeben sein kann.
Bei ersterer geht es also um einen Gegenstandsbereich, der in Annahme aktualer
Unendlichkeit eben auch das Merkmal unendlicher Mächtigkeit im gesamten Wirkungsbereich,
resp. Existenzbereich aufweisen muss. Für den Bereich der Mathematik ist das m.E. geklärt,
nicht so jedoch für diesbezügliche Zuschreibungen im Gebiet von Philosophie und damit auch
der Metaphysik. Hier bleibt m.E. nur die Möglichkeit der Konstruktion oder eben des
Glaubens und damit die Annahme einer potentiellen Unendlichkeit für den Bereich des
letzteren, bzw. den der Intelligibilität und des Numinosen.
Bester Gruß an Dich und in die Runde! - Karl