Offen gesagt, habe ich mir zu keiner Zeit große Gedanken darüber angestellt, welche
Auslegungen hinsichtlich des Ideologiebegriffs möglich sind bzw. allgemein üblich sind.
Wir beide, Joseph, unterscheiden uns bezogen auf Wortgebrauch und Satzgestaltung insoweit
wesentlich, als Du diese offensichtlich exakt gemäß einer wortwörtlichen Auslegung
bewertest, ganz im Sinne von Wittgensteins „Sprachlogik“, wie sie sich im Tractatus
abbildet; ich hingegen Sprache in Wort und Schrift eher intuitiv und hoffentlich
hinreichend gemäß orthographischer wie grammatikalischer Regeln umsetze.
Auch ich stimme Wittgenstein zu, dass sich das Wesen unserer Lebenswelt in der
sprachlichen Grammatik widerspiegelt und somit Wort- und Satzbildungen dazu dienen bzw.
verwendet werden, dem Gegenüber eine subjektiv angelegte Semantik zu vermitteln,
schlimmstenfalls rhetorisch aufzuzwingen. Gegen derartigen Zwang wendest Du Dich zurecht
und stets auf’s Neue. Das bedeutet aber nicht, dass entsprechend grammatische Satzformen
grundsätzlich falsch sind, nur weil sie die Meinung eines Gesprächspartners darstellen.
Allerdings können solche Wort- bzw. Satzbildungen mit diesbezüglich anderen kollidieren,
die in gleicher Intention und Art ausgeführt sind.
„Viele Wege führen nach Rom“ und natürlich gibt es mehr oder weniger optimierte Wege, was
nichts anderes heißt, dass es viele Möglichkeiten gibt, einen Sachverhalt bzw. eine
Gegenständlichkeit sprachlich auszudrücken.
Wenn es jedoch bei der Wort-/Satzgestaltung um die Darlegung eines Prinzips insbes. der
Ethik oder in diesem Fall dem Ideal resp. der Idee als Prinzip geht, dann kann das nicht
zu einer Kollision führen, da selbstredend derartig grammatische Sätze sich Wort- bzw.
Sprachspielen entziehen; sie haben in diesem Sinn keine Funktion, denn sie bewegen sich
außerhalb von Verifikation oder Falsifikation, es kann in Bezug auf sie keine
Meinungsverschiedenheiten geben; dieses unbeschadet dem Umstand, dass sich nicht jeder
daran halten wird.
„Wortglauberei“ an sich, also die bewusst kleinliche Auslegung von Wort- und
Satzgestaltung läuft Gefahr, den vom Gesprächspartner intendierten Bedeutungsinhalt einer
Aussage, die sich oftmals in einem übertragenen Sinn und zumeist mit einiger Redundanz
ausdrückt, nicht erkennen zu können resp. zu wollen.
Insoweit also bisweilen in einer Diskussion „grammatische Sätze“ vorgebracht werden, die
zwar per (Wittgensteins) Definition inhaltsleer sind, kann man dennoch mit gutem Willen
darüber hinwegsehen, wenn es nicht gerade um einen zu zensierenden Schulaufsatz geht :-)
Bester Gruß an Dich und in die Runde! - Karl
PS: Vielleicht gibt es hier in Philweb Lehrkräfte, die zu diesem Thema (nicht jetzt
Unvollständigkeit, sondern Wort-/Satzgestaltung) etwas beitragen könnten. Wäre so
wünschenswert, auch mal von anderer Seite Meinungen oder einfach nur eine Stellungnahme zu
vernehmen. Wenn ich als Ingenieur darüber schreibe, könnte es dem Umstand gleichkommen,
wenn Farbblinde von der Farbe sprechen.
Am 09.02.2023 um 05:19 schrieb Joseph Hipp über
PhilWeb <philweb(a)lists.philo.at>at>:
Am 09.02.23 um 00:47 schrieb Karl Janssen über PhilWeb:
Kannst Du damit leben und wieder Hoffnung
schöpfen?
(bezogen auf viel vorher Geschriebenes von allen Seiten kommend)
Auf jeden Fall kann ich damit leben. Ich freue mich sogar sehr über die Beschäftigung,
insbesondere wenn es zur Beantwortung der Fragen kommt. Nur sehe ich, dass ein
theoretischer Zugang eher als deskriptiv und damit teilweise unnütz abgewiesen wird, so
dass ich den praktischen hier wähle:
Ingo hat auf andere verwiesen, die das Wort Ideologie so benutzen, als hätten sie mit ihm
eine Taube in der Hand.
Karl hat einen Satz geschrieben, aus dem es schwer ist, das Wort Ideologie heraus zu
definieren. Hier ist der Satz noch einmal:
Wie recht Waldemar doch hat, in seiner radikalen
Ablehnung von Ideologien; diese von wenigen Machthabern missbrauchten Ideale einer Welt,
die geradewegs jeglichen Idealismus in den Dreck dieser Welt werfen.
Waldemar muss es wissen, er wird ja im Satz zitiert.
Sicher geht aus dem Satz hervor, dass Ideologien besser abgelehnt werden, das Pejorative
ist schon vorausgeschickt. Nur nutzend, was im Satz steht, komme ich zur Definition, die
Karl gerne verbessern kann, spezifizierend, substantiierend, oder wie auch immer.
"Ideologien sind missbrauchte Ideale einer Welt, die jeglichen Idealismus in den
Dreck dieser Welt werfen."
Dann noch die Anwendung: "wenige Machthaber tun das." Ob die Definition
zirkulär ist, lasse ich offen, zumal sie von mir konstruiert ist, und vielleicht
verfälscht.
So muss ich schlussfolgern: Diese wenigen Machthaber sind mit Ideologie. Von vornherein
weiß aber nicht, wer "die wenigen Machthaber" sind. Also ist die Wendung nur
Platzhalter für extensional angebbare Personen: Jeder kann andere Personen denken, wie bei
Wittgensteins Käfer.
"sind mit" zeigt auf das Allgemeine, ich vereinfache mit dieser Wendung,
speziell könnte gesagt werden: "Das sind Ideologen. Sie sind ideologisch. Sie
verbreiten ihre Ideologie. Sie setzen sie durch. ..."
Ich muss mich entschuldigen, wenn ich nur diesen Satz des Karl "aus dem
Zusammenhang" herausgerissen habe, er verzeiht mir, das braucht er mir nicht zu
sagen. Ich hätte genauso gut einen Satz von Waldemar nehmen können.
Nun habe ich zwei Möglichkeiten:
1. Ich könnte empfehlen, dass diejenigen, die das Wort Ideologie gebrauchen, sich auf
eine gemeinsame Definition diskutierend einigen. Es wäre vermutlich ein großer Krach zu
prognostizieren. Gemäß Ingo ist die Bringschuld bei denjenigen, die das Wort benutzen, das
habe ich in Erinnerung, ich könnte dann Leser bleiben.
2. Ich könnte alle Sätze, in denen das Wort Ideologie vorkommt, auflisten, um daraus eine
Definition der hier kleinen Sprachgruppe herzustellen. Ich denke, dass ich dabei viel
Arbeit hätte, und wenig Erfolg.
Vielleicht wäre Einigkeit mit einer Definition, bei der wenige eine sehr schädigende
Lebensweise haben, anderen gegenüber, insoweit die Schädigung bewusst getrieben wird. Oder
mit einer Wesensdefinition nach Vorgabe des Aristoteles: Wenn du nicht weißt, was Wärme
ist, stelle dir vor, was wärmer als Wärme ist. Nebenbei bemerkt: Auch diejenigen, die dann
als Ideologen abgestempelt würden, würden die Bezeichnung streng von sich weisen. Ich
würde kürzlich auch als Ideologe bezeichnet, das nehme ich gerne an, zumal das Wort mir
nicht geläufig ist. Es gibt noch andere Aspekte, wie "Öffentlich ein feiner grüner
Mann, aber mit Geld in der Tasche oder als Machthaber schnell in den Urlaub." Oder
"Eine wirklich friedfertige Frau, aber Harry, hol mal den Wagen mit den
Waffen."
Ich bin nicht streng. Jede Art Definition wäre mir schon recht, mit oder ohne grauem
Bereich. Aber mit der Angabe, wie groß die Bereiche in etwa gedacht werden, also wie viele
Ideologen es prozentual gibt. Es muss nicht eine einzige Definition sein, anfangend mit
extensionalen Definitionen wäre besser als deskriptiv, intensional, oder aus dem Mund von
angeblichen Kapazitäten gezogen, oder aus Wörterbüchern.
JH
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