Am 22.09.2020 um 03:16 schrieb K. Janssen via Philweb
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Es mag die Definition eines „Systems“ unterschiedliche Ausprägungen haben, dass jedoch
eine aus funktionalen Elementen zusammengesetzte Einheit sowohl natürlich als eben auch
von Menschen zusammengefügt sein und damit systemtheoretisch beschrieben werden kann,
sollte schon konsensfähig sein.
Hi Karl,
warum immer die anthropomorphe Redeweise? Die Natur fügt nichts zusammen, sie handelt auch
nicht. Menschen fügen Systeme zusammen, sind aber selbst nicht zusammengefügt, sondern der
Natur erwachsen. Selbstredend ist auch die Natur nicht gemacht oder zusammengefügt, sie
evolviert aus sich selbst heraus und wächst nicht zielorientiert oder zweckmäßig wie wir
funktional technische System zu konstruieren pflegen. Auch die Rede von einem
„Schöpfergott“ ist ja bloß anthropomorphes Geschwafel. Es ist sicher kein Zufall, dass
allenthalben von Systemtheorie gesprochen wird, aber nicht abgrenzend dazu von
Organismentheorie. So wie wir Natur und Technik nicht organismisch vermenschlichen
sollten, sollten wir die Menschen auch nicht systemisch technisieren. Bertalanffy hatte in
den 1920er Jahren noch methodisch von „organismic biology“ und erklärend von „system
theory of the organism“ geschrieben.
In "A Historical Perspective of Systems Theory“ unterscheiden die Autoren Adams et
al. sechs verschiedene Entwicklungslinien der Systemtheorie. Für James Grier Miller
"living systems theory includes a system hierarchy of eight levels: (1) cells, (2)
organs, (3) organisms, (4) groups, (5) organizations, (6) communities, (7) societies, and
(8) supranational systems.“ Und bei Norbert Wiener heißt es ja in seiner zum Klassiker
gewordenen Arbeit: "Cybernetics: Or Control and Communication in the Animal and the
Machine.“ Lebewesen wurden schnell als "lebende Systeme" verstanden und die
Kybernetik gleichermaßen auf Tiere und Maschinen bezogen. Aber sind dabei nicht von
vornherein die Unterschiede zwischen Leben und Technik eingeebnet worden? Unterfällt die
Biosphäre der Erdsystemforschung oder ist sie besser als Organismus aufzufassen, wie in
der GAIA-Hyphothese angenommen wird?
Besonders deutlich dürften meine Vorbehalte gegen das Systemparadigma werden, wenn wir uns
die Berufsfelder des Arztes und des Ingenieurs vergegenwärtigen. In der SciFi-Perspektive
könnten gleichwohl einmal Roboter in Umlauf kommen, die einem menschlichen Organismus nahe
kämen, sich ohne Plan selbst reproduzierten und fortentwickelten, nicht mehr einfach
zerlegt werden könnten, ein PSM (phänomenales Selbstmodell) generierten und so etwas wie
Selbstheit, Meinigkeit und Perspektivität ausbildeten.
Es grüßt,
Ingo