Am 19.03.2021 um 21:24 schrieb Joseph Hipp via Philweb:
[Philweb]
Am 19.03.21 um 01:08 schrieb Karl Janssen,
dem ich für seine Ausführungen danke,
... Wie schon mehrfach erwähnt, fehlt mir
offenbar das Vermögen,
diesbezüglich eine Verbindung zu dem von mir zuvor Geschriebenen
herzustellen.
das ist ok, wir sind alle keine Übermenschen, philweb altert!
Und zu Schopenhauer - der wollte lieber nicht
geboren sein!?
Ja, so ist es und Schopenhauer und Nietzsche, wenn du beide nicht so
recht in Verbindung siehst, nehme ich das so an, aber es ist schade,
dass du diese Verbindung nicht kennst.
Diesen Zusammenhang kenne ich schon und wie Du es nachfolgend
beschreibst, wird der fundamentale Unterschied dieser beiden Charaktere
deutlich. Schopenhauer sehe ich als Realist; ihn, wie zumeist üblich,
schlichtweg als Pessimisten zu charakterisieren erachte ich als
insgesamt unzureichende Zuschreibung.
Nietzsche, so wie war, glaubte Schopenhauer alles, und
mit der Zeit
drehte er sich, wie so oft. "Was für ein Unsinn" wurde seine Sache:
Schmerz spricht vergeh ....
Nietzsche sehe ich als einen Idealisten, der, vom Leben und den Menschen
enttäuscht, mit gnadenloser Schärfe und herausragendem Schreibstil das
Wesen des Menschen dort entlarvt, wo es sich als „Überwesen“ geriert;
dem setzte er seinen (Traum vom) „Übermenschen“ entgegen. Für meine
Begriffe war er vielmehr (Tiefen-)Psychologe als ein Philosoph. An
seinen Idealvorstellungen ist er letztlich gescheitert. Das ist auch
einem Kierkegaard widerfahren, was für Schopenhauer schlichtweg
unmöglich gewesen wäre.
Dass Nietzsche auch auf der Seite der Naturwissenschaften war, ist
auch nicht bekannt, aber er verplemperte seine Zeit eben anders, das
erkannte er so wie auch Wittgenstein - manchmal von oben herab,
Ja nun gut: an „Verplempern“ hätte ich dabei nicht unbedingt gedacht.
Was würde der Welt doch ohne sein grandioses Werk
So grandios war es auch wohl nicht, alles Scharlatane um ihn herum,
dachte er, aber was war das anderes als eine Neu-Auflage einer
Vermögenspsychologie? Der Wille, eine Lachnummer? Wahrscheinlich. Aber
es war ein denkbarer Pfad, und deswegen ist er lieb zu haben.
Die Frage, ob Schopenhauers Willens-Begriff eine Lachnummer sei, würde
- soweit man dies so wertet - sein Hauptwerk“ Welt als Wille und
Vorstellung“ unzulässig diskreditieren.
Wenn man Schopenhauers Schriften auf‘s Erste vor Augen hat, könnte man
schon glauben, er gehe sein Werk im gewissen Sinn „großkotzig“ an, etwas
härter ausgedrückt als „von oben herab“; von hoher Warte geschrieben,
entspricht dann der nächsten Wahrnehmung im Verlauf der Lektüre, hat man
es dann ganz „durchgeackert“, relativiert sich dieser Eindruck mit
zunehmendem Verständnis für seine Art des Ausdrucks und vor allem mit
einer sich steigernden Zustimmung (jedenfalls ging mir das so).
So gesehen ist Schopenhauers Willens-Begriff nie und nimmer eine
„Lachnummer“. Ob man diesen Willen als blinden Willen sehen muss, würde
ich bezweifeln, denn dazu passt Schopenhauers Mitleids-Ethik in keinem
Fall. Diese Begrifflichkeit in Beziehung zu einer „Vermögenspsychologie“
zu bringen, sehe ich aber durchaus zutreffend.
Und in Anlehnung an Dein Epiktet Zitat, wonach die Menschen nicht durch
Fakten selbst, sondern durch Meinungen darüber ihr Sentiment entwickeln,
geht auch Schopenhauer davon aus, dass subjektive Einschätzung,
vornehmlich Antizipation den Blick auf tatsächliches Welt-Sein verstellt.
Derartige individuelle Auffassung, die als vorgefasste Vorstellung eine
objektive Wahrnehmung der Welt verhindert, ist für Schopenhauer Grund
für die Unzulänglichkeiten des Menschen, vornehmlich fehlender Empathie,
Egoismus. Seine Metaphysik, wie gesagt, hat Schopenhauer eng mit seiner
Ethik verbunden. Allein schon deshalb ist sein Werk grandios und wäre
dieses in heute üblicher Diktion verfasst, würde es sich besser als
Standwerk einer Ethik anlassen, als dieses ganze Sammelsurium von
Büchern zur Lebensberatung, Persönlichkeitsentwicklung etc.
Das hat aber keine Bewandtnis bzgl. Deines
„Zitats“, da Du ja (mit
Epiktet) ausdrücken willst, dass uns zumeist nicht die Fakten,
sondern die Meinungen darüber schrecken (oder ggf. auch nur irritieren).
Ich glaube da ging Epiktet oder wer auch immer seiner Umgebung etwas
extremer vor. Das passte eben in das System, das zu Ende gedacht
werden musste. Das System drückt aus, dass das Denken über dem Sehen
steht, über der Wahrheit. Das zu Ende zu denken ist schon mal was.
Nicht dass "wir" vorsichtig sein sollten mit Meinungen.
Dass Denken über dem Sehen steht, dürfte unzweifelhaft zutreffend sein,
es aber auch über der „Wahrheit“ stehen soll, macht mich stutzig. Es sei
denn, Du meinst – eben mit Epiktet – man würde (unzulässig) vor dem
Sehen denken, also damit auch (irgendeine) Wahrheit vorwegnehmen.
Vielleicht sollte ich versuchen, mein Verständnis bezüglich Deiner
Auslegung lebenspraktisch zu erläutern:
Kinder sehen ein großes, grünes Gebilde und bekommen auf ihr Fragen
erklärt, es sei ein Baum, ein Eiche z.B. und man zeigt ihnen einzelne
Blätter usf. Und bei jedem "neuen" Baum wird höchst interessiert gefragt
und entsprechend geantwortet.
Ältere Erwachsene sehen von weitem ein großes, grünes Gebilde und
antizipieren mit einiger Wahrscheinlichkeit einen Baum, der sich beim
Näherkommen aber als grüne Säule mit angeklebten Werbeplakaten entpuppt.
„Das Philweb altert“ hast Du kürzlich geschrieben, so wissen wir alle,
was ich mit Vorwegnahme, also Denken vor (unscharf) Sehen meine.
Insbesondere Problemantizipation liegt als „Stolperstein“ sehr oft im
Weg und macht Ziele unerreichbar.
Der brutalen Rodung der Regenwälder steht die
ebenso aggressive
Ausweitung von Weideland für Rinderhaltung gegenüber, was zu
erheblicher Mehrung der Treibhausgase führt: eine diese zuvor
mindernde Kohlenstoffsenke (Wald) wird infolge extensiver Tierhaltung
u.a. durch Darmgase zur mehrfachen Emissionsquelle.
Entschuldige, hier opponiere ich, "der Wald" und alles was ihm als
Positives zugedacht wird, ist Flickschusterei. Wenn ein Wald eine
Kohlenstoffsenke werden würde, dann müsste auch Kohle in der Erde
entstehen, wenn Bäume umfallen. Wenn das nicht der Fall ist, und es
z.B. Waldbrände gibt, ist die Waldkohlenstoffsenke ganz eindeutig eine
kognitive-Dissonanz-Lösung. Hier ist einfache Mathematik gefragt,
gerne kann ich Tipps geben.
Da würde ich gerne auch "wohlan" sagen, denn diesbezüglich bin ich kein
Fachmann. Nur eines hat mir besagter Artikel schon verdeutlicht: Ein
doppelte Schädigung durch
Abholzung von Regenwäldern, was CO2-Absorption (eben durch Wald)
vermindert und den Treibhauseffekt befördert;
Weideland anstelle Wald-Land mit extensiver Tierhaltung vermehrt durch
Darmgasbildung ebenso den Treibhauseffekt.
Sollte ich diesen Zusammenhang falsch verstanden haben: wohlan, dann
schreite zu näherer Erläuterung.
Ach noch ein Hinweis aus Epiktets Nachlass
(Encheiridion-siehe da)
für Waldemar: „Spare das Mitleiden ...und wenn es sich gerade
schickt, auch mit ihm zu seufzen. Hüte dich aber, dass du nicht auch
innerlich mitseufzest“.
Wohlan, wir wollen hoffen, dass Waldemar nicht innerlich mitseufzet,
ich bin mit von der Partie. Ich seufze jedenfalls nicht mit, was ist,
ist, mehr kann ich nicht sagen. Was soll mein kleines Seufzen als
kleiner Wurm?
Da würde ich mit Nietzsche sagen: wie kann sich ein Mensch nur als
"kleiner Wurm" sehen!
... Und so enden wir mit Schopenhauer.
Leider nein, es muss noch über Nietzsche hinweg gehen! ... aber du
bist ein guter Seiltänzer!
Nun, die Geschichte vom Menschen als Seiltänzer hatte ich hier schon mal
erzählt:
Jeder Mensch sollte ein hinreichend guter Seiltänzer werden.
Denn ist's nicht so? du wirst recht bald auf das "Seil des Lebens"
gehoben und anfangs wird man dich halten, wird dir beizeiten eine
Balancierstange geben und mit jedem weiteren tastenden Schritt, Fuß über
Fuß solltest du sicherer auf dem Seil vorwärts kommen. Dann fehlen
plötzlich haltende Hände und du bewegst dich alleine, wirst bisweilen
in's Straucheln geraten, sogar fallen; mit Glück in ein Fangnetz, mit
Unglück zu Boden oder, wiederum mit Glück und Geschick, am Seilende
ankommen.
Manche glauben, man würde beizeiten wieder zurückgeschickt. Es könnte
sein, dass du zum guten Seiltänzer wirst, je öfter man dich hin und her
schickt.
Bester Gruß an Dich und in die Runde! - Karl