Am 25.11.19 um 19:46 schrieb Rat Frag:
Am Di., 19. Nov. 2019 um 03:35 Uhr schrieb K. Janssen
<janssen.kja(a)online.de>de>:
Aristoteles‘ Unterscheidung zwischen dem
„Potentiell Unendlichen“ und dem „aktual Unendlichen“ bezieht sich auf das Grenzgebiet
zwischen Philosophie und Mathematik, beschränkt sich auf den Umgang mit ausschließlich
sinnlichen Dingen und Gegenständen; etwas
Ganzes im abgeschlossenen Sinne eines Unendlichen erkennt Aristoteles nicht an und
schreibt seiner Vorstellung von potentieller Unendlichkeit
lediglich logische Relevanz zu: Menschliches Denken, welches schlechthin auf Raum Zeit
begrenzt ist, könne nur in Teile des
Kosmos und niemals in ein angenommen unendlich Ganzes eindringen.
Dieser Ansicht steht m.E. kein logisches Argument
entgegen, stellt aber doch nur ein abstraktes weltanschauliches Denkmodell dar.
Es
gibt zwei Probleme mit dieser Ansicht. Erstens wie gehst du mit
einem Intervall wie [0;1] um? Man kann, wittgensteinisch,
argumentieren, dass wir die unendlich viele Zahlen zwischen 0 und 1
überhaupt erst konstruieren. Sie quasi erfinden statt entdecken. Das
führt aber ebenfalls zu gewissen Problemen.
Zweitens, diese Ansicht widerspricht stark der Intuition, mit eine Art
platonischen Gegenstand zu arbeiten.
Offen gesagt, sollte ich mich bei meinem glücklicherweise auf
logisch-rationale Ingenieurmathematik begrenzten Abstraktionsvermögen
nicht in diese Uferlosigkeit mathematischer Grenzbetrachtungen wagen, um
mich letztlich dort zu verlieren oder gar „abzusaufen“.
Cantor hat Zeit seines Lebens verzweifelt nach dieser Lösung gesucht und
auch eine gefunden bzw. eine Lösung als Hypothese postuliert, ist u.a.
daran psycho-somatisch zerbrochen. Andere (Goedel, Cohen) haben gezeigt,
dass Cantors Kontinuumshypothese mit den „Werkzeugen“ der axiomatischen
Zermelo-Fraenkel-Mengenlehre ( ZFC-A) weder zu widerlegen noch zu
beweisen ist.
Erstaunlich, wenn nicht sogar erschreckend ist, dass sich viele dieser
zu gedanklicher Höchstleistung befähigten Genies (in nahezu allen
Gebieten der Wissenschaft) im Zwiespalt zwischen vermeintlicher Dualität
von Geist-Körperlichkeit, resp. Unendlich-Endlichkeit aufgerieben haben.
Und im übertragenen Sinn könnte man daraus den Sinn spirituell -
religiös tradierter Tabus erschließen, wonach der Versuch, nach dem
Absoluten, nach einem „Allerheiligsten“ (Bundeslade) zu greifen, mit dem
Tod bestraft wird.
Diesbezüglich beruhigt sein können jene, die sich dieser irdischen
Beschränkung bewusst sind und sich mit menschenmöglicher Sicht auf
„Abbilder“ (wenngleich meist nur virtuell mikro- wie makrokosmisch
vollziehbar) konzentrieren. Entscheidende Fortschritte dabei, sowohl im
mathematisch logischen, wie auch im analytisch philosophischen Denken
scheinen sich bei der Suche nach Mustern zu ergeben. So offenbar auch
Cantors Nachweis der gleichgroßen Menge von Punkten auf der Strecke
[0...1] wie der Punkte auf einem Quadrat mit Seitenlänge 1, den er
gedanklich nicht hinnehmen wollte: „Ich sehe es, aber ich glaube es
nicht“. Womöglich stand dies im Zusammenhang mit seiner tiefen
Religiosität, aus der heraus weitere (deutlich weniger populäre)
Postulate aufstellte, wonach er das Aktual-Unendliche in seiner
absoluten Ausprägung in Gott, in konkreter Form in der Schöpfung sowie
in seiner abstrakten Darstellung in der Mathematik sah.
Hingegen er in Aristoteles‘ potentieller Unendlichkeit keine Menge
sondern lediglich eine Eigenschaft aktual unendlicher Mengen erkennen
konnte und mit dieser Sichtweise ausdrücken wollte, dass jede endliche
Teilmenge ebenso echte Teilmenge einer weiteren endlichen Teilmenge ist.
Cantors Ideen widersprechen, zumindest scheinbar, zwei
sehr
grundlegenden Annahmen, die bis dahin mehr oder weniger
selbstverständlich geglaubt wurden, das sog. Archimedische Prinzip und
der Inexistenz des aktual Unendlichen. Ersteres sagt aus, dass ein
Teil kleiner als die Gesamtheit sein muss.
Das trifft aber nicht zu, der Inhalt von [0;1] enthält genauso viele
Zahlen wie ganz IR. Sogar mehr Zahlen als IN.
Die heute "orthodoxe Lehre" (ja, ich habe eine Vorliebe für solche
Beschreibungen) geht davon aus, dass diese beiden Annahmen eben falsch
sind. Einige andere Leute suchen dagegen Fehler in Cantors Methode zu
entdecken.
Für mich ist o.a. Eigenschaftsbegriff wesentlich. Vor allem auch in
Anlehnung an Poincare : "[...] Für die einen fließt das Unendliche aus
dem Endlichen, für sie gibt es eine Unendlichkeit, weil es eine
unbegrenzte Zahl begrenzter möglicher Dinge gibt. Für die anderen
besteht das Unendliche vor dem Endlichen, indem das Endliche sich als
kleiner Ausschnitt aus dem Unendlichen darstellt."
Ich zähle zu den „anderen“ und denke, dass jeweils Endliches im
Unendlichen erwächst, sich darin nach dessen Gesetzmäßigkeit (gemäß
deren Eigenschaft), also gewissermaßen qualitativ bijektiv abbildet und
selbstredend darin wieder endet. Endliches setzt Unendlichkeit voraus
wie jegliches Teil sein (in umfassendes) Ganzes voraussetzt. Damit sehe
ich Euklid‘s Satz (Das Ganze ist größer als der Teil) nicht verletzt.
Den irdisch endlichen Teil als Abbild eines angenommenen Ganzen aus
philosophisch bzw. theologischer Sicht zu sehen, hat historische
Tradition, die sich m.E. durch diesbezüglich wesentliche Aussagen
bedeutender Denker (u.a. Aquinus, Cusanus, Bruno, Spinoza) ausdrückt.
Mit meiner Affinität zum Informationsbegriff liegt mir jene des Cusanus
nahe, wonach die Natur gemäß göttlicher Vorstellung geformt wurde und
somit dieser seine ureigene Unendlichkeit auf diese übertragen hat.
Selbstredend sieht er allein im Glauben Zugang zum Unendlichen - und
damit der Teilhabe daran - durch die dem Menschen innewohnende Gegenwart
Gottes. Für mein Teil glaube ich eher daran (vor allem im Blick auf
diese Lebenswelt), dass diese Teilhabe nicht per se stattfindet, sondern
sich nur nur durch entsprechenden Austausch mit jener angenommenen
Göttlichkeit vollziehen kann, durch ein intuitives „sich-öffnen“ oder
technisch ausgedrückt „in Resonanz treten“.
Zu Wittgenstein möchte ich mich in diesem Zusammenhang auf zwei seiner
Positionen im Tractatus beziehen:
[…] Wenn man unter Ewigkeit nicht unendliche Zeitdauer, sondern
Unzeitlichkeit versteht, dann lebt der ewig, der in der Gegenwart lebt.
Unser Leben ist ebenso endlos, wie unser Gesichtsfeld grenzenlos ist
(6.4311).
Die zeitliche Unsterblichkeit der Seele des Menschen, das heißt also ihr
ewiges Fortleben auch nach dem Tode, ist nicht nur auf keine Weise
verbürgt, sondern vor allem leistet diese Annahme gar nicht das, was man
immer mit ihr erreichen wollte. Wird denn dadurch ein Rätsel gelöst,
dass ich ewig fortlebe? Ist denn dieses ewige Leben dann nicht ebenso
rätselhaft wie das gegenwärtige? Die Lösung des Rätsels des Lebens in
Raum und Zeit liegt außerhalb von Raum und Zeit (6.4312 )
Alle diese Betrachtungen lassen mich vermuten wenn nicht sogar gewiss
sein, dass die Annahme eines vollkommen Ganzes zurecht besteht, in dem
sich restlos alle Information, alle Gesetzmäßigkeiten seit jeher und in
alle Ewigkeit befinden. Einzige Möglichkeiten des Menschen, sich dieser
Ganzheit (wenngleich sinnvollerweise begrenzt) zu nähern bzw. sich ihr
zu öffnen, bestehen zum einen über die Logik der uns hinreichend
verfügbaren Sprache der Mathematik (als eben die Sprache der Natur, wie
letztlich auch der Philosophie) und zum anderen intuitiv über den
Glauben (Sprung in den Glauben, wie Wittgenstein es ausdrückt).
„Wenn die Materie ins Unendliche teilbar ist, so
enthält sie wirklich eine unendliche Menge von Teilen, ein Unendliches, das real und
aktual existiert.“ (Pierre Bayle)
Und Planck?
Ach ja, zu Blanck! Sicher ein Thema für sich, also komme ich später
darauf zurück.
und noch zu Deinem o.a. Bezug auf den Buddhismus:
die Urtexte des Buddhismus (Pali-Kanon insbesondere, soweit ich sehe auch das Lotos-Sutra)
oder die entsprechenden Texte des Alten Testamentes.
findet sich im Kontext unseres Themas ein dem Budda zugeschriebenes
Zitat (welches keiner sprachlichen Übersetzung aber durchaus des darüber
Nachdenkens bedarf):
"There is an Unborn, Unoriginated, Uncreated, Unformed. If there were
not this Unborn, this Unoriginated, this Uncreated, this Unformed,
escape from the world of the born, the originated, the created, the
formed would not be possible."
Bester Gruß an Dich und in die Runde! - Karl