Hallo an die gesamte Liste,
nur ganz kurz diesmal von mir: Ich bin geneigt, den Menschlichen Geist
nicht so sehr als Stoff, sondern als Strickmuster zu sehen.
ebenso auf die Schnelle: Eine wirklich gute Annahme!
Du könntest in diesem Zusammenhang mal Tegmarks Thesen hierzu ansehen:
"Conciousness is a mathematical Pattern"
Das mag im Ersten moment überraschend klingen, ist aber auch die
Hypothese des sog. "Funktionalismus". Auch wenn die multiple
Realisation offenbar gescheitert ist.
Diese Ansicht muss aber nicht korrekt sein. Dennoch spricht ein Fakt
stark für sie: Jede einzelne menschliche Zelle, ja auch Neuronen, kann
ersetzt werden, aber nicht die Struktur. Änderungen der Struktur
führen zu einer starken Änderung von Persönlichkeit und Verhalten.
Am Fr., 11. Sept. 2020 um 11:51 Uhr schrieb Ingo Tessmann via Philweb
<philweb(a)lists.philo.at>at>:
> [Philweb]
>
> Hi Karl,
>
> von der Frage: „Wer bin ich?“, bist Du nach meinem Verständnis zu schnell zu der
Frage: „Was bin ich“, übergegangen. Bist Du nicht zunächst einfach derjenige, der sich die
Frage stellt? Mit der Frage könnte man einen Roman oder seine Memoiren beginnen. Aber das
wäre Literatur, also: „Was bin ich?“ Atome und Leere bzw. Quanten und Felder. Das wäre
Physik. Die Philosophie vermittelt, so wie es Konstantin Wecker zum Abschied Hans Peter
Dürrs poetisch versucht hat:
>
> Wenn durch den Dom von sommergrünen Bäumen
> die Lichter wie ein Segen niedergehn
> und als Kristalle in den Zwischenräumen
> von Laub und Ast und Himmel stehn,
> da ahnst du, dass, was scheinbar fest gefügt
> und uns sich als die Wirklichkeit erschließt,
> nichts als ein Bild ist, das sich selbst genügt,
> durch das verträumt ein großer Atem fließt.
> Du magst es greifen, du begreifst es nicht
> was du auch siehst ist nur gefrorenes Licht.
> Wenn sich in solchen seltnen Stunden
> des Daseins Schönheit leise offenbart,
> weil sich - sonst nie so leicht verbunden,
> das Ahnen mit Erleben paart,
> dann zögre nicht, dich zu verwandeln.
> Nimm diese Stunde tief in dich hinein.
> So aus der Zeit erübrigt sich das Handeln
> und in der Leere offenbart sich erst dein Sein.
> Du magst es greifen, du begreifst es nicht
> was du auch siehst ist nur gefrorenes Licht.
>
> Quelle:
http://www.friedenskonferenz.info/pdfs/DuerrNachr_03_kl.pdf
<http://www.friedenskonferenz.info/pdfs/DuerrNachr_03_kl.pdf>
>
> Die Metapher vom "gefrorenen Licht“ vermittelt zwischen den Lichtquanten, die im
Wirkungsquantum bereits Energie und Zeit hervorbringen, der Photosynthese und Atmung über
des Daseins Schönheit bis hin zum Ahnen mit Erleben: Sind ich und du / und alles immerzu -
vielleicht nur Licht?
>
>
> Es grüßt,
>
> Ingo
>
>
>
>
>
>> Am 11.09.2020 um 02:36 schrieb K. Janssen via Philweb
<philweb(a)lists.philo.at>at>:
>>
>> [Philweb]
>> Bevor uns die Covid-Plage hier in philweb nun gänzlich die Lust am Denken und
Schreiben verleidet (oder - wie mir - die Gesundheit nimmt) könnte man sich der Frage
zuwenden: Was macht unsere Spezies so vulnerabel, dass sie dieses Viren-Übel so
schonungslos treffen kann, es weltweit Gesundheit, Wirtschaft und Kultur zu Boden wirft
ohne Rücksicht auf Stellung, Amt und Würden.
>> Den sog. Corona-Leugnern möchte man die Sage erzählen, an die ich mich nur sehr
vage erinnere:
>> In einem herrschaftlichen Baderaum war des Königs Gattin der Gefahr ausgesetzt,
wegen Wasserüberlauf zu ertrinken, davor sie vom Bademeister gewarnt wurde. „Als wer
schreist du da?“, fragte die Noble herrschend zurück, verweilte und ertrank schließlich.
Fazit: Fühlt man sich über Warnende erhaben, könnte man also in‘s Unglück geraten.
>> Wann immer man sich - berechtigt oder nicht - erhaben fühlt oder gibt, sollte man
sich die Frage stellen: Als welcher denke, fühle und handle ich? Wer verkörpert denn
dieses mein ICH? Wer bin ich überhaupt?
>>
>> „Wer bin ich“ scheint eine ewige Frage zu sein. Um nun nicht in den Verdacht zu
geraten, damit einem populären wie omnipräsenten Medien- und TV-Protagonisten in die Quere
zu kommen, verweise ich sogleich auf einen Spektrum-Beitrag (Wiss.Magazin), der mich
wieder einmal an dieses Thema herangeführt hat. Dabei ist es nicht so, dass mich diese
Frage selbstquälerisch umtreiben würde; da halte ich es eher mit Descartes‘ cogito.
Erstaunlich jedoch für mich, dass sein vielgescholtener Geist-Körper-Dualismus
(interaktionistischer Substanzdualismus) immer noch nicht in seiner eigentlich
intendierten Tiefe verstanden sein will. Seine Argumentation bzgl. der Art des denkenden
Ichs wird zitiert mit
>> a) „ich kann mir nicht widerspruchsfrei vorstellen, dass ich nicht existiere,
solange ich denke“
>> b) „ich kann mir jedoch widerspruchsfrei vorstellen, dass ich auch ohne alle
körperlichen Eigenschaften existiere“
>>
>> Ersteres Argument sollte, trotz seiner radikalen Reduzierung auf das Denken,
tatsächlich widerspruchsfrei gültig sein. Letzteres hingegen kann Descartes nur in der
Annahme einer möglichen „jenseitigen“ Existenz getroffen haben (was als Jesuiten-Zögling
auch nicht verwundern kann), wie dies eben auch in den religiösen Vorstellungen
verschiedenster Kulturen geschieht. Das Argument wird dort jedoch als ungültig angesehen
werden, wo für eine (menschlich) erlebbare Existenz einzig die hinreichend körperliche
Funktionalität - durchaus in Interaktion mit immateriellen Agenzien (Geist) –
vorausgesetzt wird.
>>
>> Grundsätzlich aber sollte eine eindeutige Unterscheidbarkeit (und damit Dualität)
zwischen pur materieller Körperlichkeit des Menschen und sog. reinem Geist
widerspruchsfrei anzunehmen sein.
>>
>> Einerseits also der physische Körper (soweit unversehrt) als ureigenste
Voraussetzung für erlebbare Selbstbewusstheit (dem Ich); andererseits reiner Geist, der an
sich autonom existierend (wie und wo auch immer) angenommen werden kann.
>>
>> Descartes ging davon aus, dass Leib und Geist (Seele) grundlegend verschiedene
Substanzen sind, die funktional jedoch kausal (seiner Ansicht nach in der Zirbeldrüse)
interagieren. Soweit – so gut, was spräche dagegen, außer der Annahme, dass Geist, eben
als Homunkulus im Gehirn des menschlichen Körpers, diesen solchermaßen als isolierte
immaterielle Substanz steuern sollte. Dennoch sollte man Descartes und seinen Zeitgenossen
diese Fehleinschätzung nicht geringschätzig anrechnen, denn sie wird insoweit bis heute
betrieben, als man nach wie vor im Gehirn isoliert Geist resp. Bewusstsein zu lokalisieren
sucht. Davon ausgenommen ist sicher die metaphorische Darstellung eines kortikalen
Homunkulus in den Neurowissenschaften (Penfield).
>>
>> Wie immer man auch Geist (oder Seele) an sich definieren wollte, es bleibt
anscheinend bislang einzig die (Aus-)Flucht in die Metaphysik, ausgeformt durch
Religionen, philosophische Konstrukte (Ontologischer Dualismus) oder aber auch (bisweilen
irrwitzige) Esoterik.
>>
>> Kraft seines Denkens war Descartes von seiner irdischen Existenz überzeugt; die
Annahme, ohne Körperlichkeit (wo auch immer) existieren zu können, konnte nur auf Glauben
gegründet sein.
>>
>> Glauben (müssen/sollen) ist nicht jedermanns Sache, wenngleich mir in diesem
Zusammenhang die Ausführungen des Thomas von Aquin (wie so oft) sympathisch und daher
eingängig sind. Seine Unterscheidung von Geist und Materie basiert auf seiner Akt und
Potenz-Lehre (wir haben hier vor Jahren darüber geschrieben). Als da sind die
„universalia ant rem“, die ursächlich im Geist (Gottes) vorgebildet sind, solchermaßen als
„universalia in re“ in Realität (in den Dingen) sind und schließlich „universale post
rem“, die durch den Intellekt aus den Dingen hergeleitet werden. Für Aquinus ist der
intellectus possibilis (in Anlehnung an Aristoteles) das grundsätzliche Vermögen, per
Intellekt (Verstand und Vernunft) die real möglichen Dinge der Lebenswelt zu erkennen und
in Bezug auf die Seele (Geist) per intellectus agens das Erkannte zu verwirklichen
(zufolge der menschlichen Befähigung zur Abstraktion in Aktualität zu bringen).
>>
>> Abstrakte Scholastik, möchte man sagen, die jedoch (in diesem Fall) von
prinzipiellem Verständnis der Zusammenhänge von Interaktion zwischen Geist und Körper
zeugt und vor allem als wohlwollende Abstraktheit den oftmals dogmatisch festgezurrten
Thesen und Theorien in Philosophie und Neurowissenschaft entgegensteht, sowie Raum lässt
für diesbezüglich künftige weiterführende Erkenntnisse der Menschheit, die durch
interdisziplinäre Forschung zutage kommen werden.
>>
>> Unbenommen der so interessanten wie lehrreichen historischen Annahmen, Theorien
etc., liegen uns gegenwärtige Denkmodelle näher, so beispielsweise namhafte Vertreter des
interaktionistischen Dualismus wie Popper und Eccles. Sie führen ihre diesbezügliche
Argumentation zur Interaktion zwischen Geist und Körper (i.W. Gehirn) auf eine quasi
subatomare (und damit irgendwie auch virtuelle) Ebene.
>>
>> Eccles Wechselwirkungstheorie und Poppers 3-Welten-Theorie beschreiben die
Interaktion als Prozesse zwischen allen Dingen, Körpern etc. der physisch realen
Lebenswelt (Poppers Welt1) und abstrakt geistigen Elementen immaterieller Welten (Poppers
Welt 2 und 3).
>> Bedeutsam bei diesen Denkansätzen (wobei mir die Theorien beispielsweise von
Burkhard Heim oder Alan Guth fundierter erscheinen) ist für mich der
Wechselwirkungsbegriff, insbesondere die Interaktion zwischen (funktionalem) Körper und
Geist, also zwischen materiellen und immateriellen Substanzen/Entitäten. Voraussetzung
hierzu ist die Fähigkeit mit letzteren in wechselwirkende Resonanz zu treten. Dazu bedarf
es m.E. nicht notwendigerweise irgendwelcher religiös, metaphysisch oder gar esoterisch
beschriebener Mechanismen (obgleich fallweise praktikabel), sondern der Kenntnis und
Bewusstheit von Feldtheorien. Wie der hochgeschätzte Feynman postulierte „Everything is
made of atoms“, möchte ich sagen, alles ist prozessoraler Teil von 12 Quantenfeldern
(Materie) und 4 damit interagierenden Kraftfeldern (Gravitation, Elektromagn,, starke u
schwache Kernkraft) mittels deren wechselwirkende Mechanismen jegliches Leben begonnen,
geformt, bestimmt und auf Zeit erhalten wird.
>>
>> Wenn also Descartes einen Homunkulus in der Epiphysis cerebri am Werk sah, würde
ich heute den Bewusstseinsbegriff eher an den Thesen von Hameroff und Penrose festmachen,
wonach das Bewusstsein von biologisch „orchestrierten“ kohärenten Quantenprozessen in
Clustern von Mikrotubuli in Gehirnneuronen abhängt und diese informationsverarbeitenden
Quantenprozesse mit der neuronalen synaptischen und Membranaktivität (Resonanz!)
korrelieren sowie diese regulieren. Diese „Denkprozesse“ laufen also nicht klassisch
algorithmisch ab, sondern als Quantenmechanismen. Gewissermaßen Biophysik des
Bewusstseins, der mittlerweile durch beobachtbare elektroenzephalographische („EEG“)
Korrelate des Bewusstseins eine Schlüsselrolle in der Lebensentwicklung zugesprochen
werden könnte. Daraus ließe sich schließen, dass das Bewusstsein eine intrinsische Rolle
im Universum spielt, dessen unverbrüchlicher Teil der Mensch ist und dies durch
fortwährende Interaktion mit diesem verkörpert. Sein inneres Erleben vollzieht sich durch
aufeinanderfolgende multimodal integrierte Erfahrungen und führt mit steigendem
Komplexitätsgrad zu Bewusstsein als eine emergente Eigenschaft des Gehirns.
>>
>> René Descartes kommt jedenfalls das Verdienst zu, Grundlegendes zur
Wechselwirkungstheorie von Körper und Geist entwickelt zu haben. Das Leib-Seele-Problem
und damit die Frage „wer bin ich“ wird uns dennoch weiterhin einige Zeit beschäftigen und
ich hoffe auf lehrreiche Beiträge hier in diesem Freundeskreis.
>>
>> Bester Gruß in die Runde!
>> Karl
>>
>>
>> _______________________________________________
>> Philweb mailing list
>> Philweb(a)lists.philo.at
>>
http://lists.philo.at/listinfo/philweb
> _______________________________________________
> Philweb mailing list
> Philweb(a)lists.philo.at
>
http://lists.philo.at/listinfo/philweb