Am 2. Oktober 2017 um 13:48 schrieb waldemar hammel <@.>:
Am 01.10.2017 um 11:37 schrieb Rat Frag via Philweb:
Man müsste also eine Ethik ohne Verantwortung erschaffen.
der praktische sinn und nutzen von moralen und ethiken ist doch,
dass man anhand der von ihnen vorgebenen rahmen verstöße erkennt und ahnden
kann,
womit diese konstrukte ohne damit verbundene verantwortungen doch
gegenstandslos wären ?
Soweit ich informiert bin, nimmt der Staat Strafen aus mehreren
verschiedenen Gründen wahr:
1. Um die Schuldigen zu bestrafen. (Rache!)
2. Um einen Ausgleich auszuführen.
3. Damit der Täter dafür sühnen muss, es bereut.
4. Aus Prävention.
Schuld setzt logisch v o r a u s, dass der Täter für seine Tat auch
verantwortlich war. Prävention durch Strafe dagegen nicht.
Sprich:
Nehmen wir an, ein Hund verhält sich schlecht. Nun würde kaum ein
Ethiker und noch weniger ein Jurist den Hund für seine Taten
verantwortlich machen wollen. Der Hund ist in diesem Sinne völlig
unschuldig. Dennoch würden die meisten Leute versuchen, den Hund für
sein Verhalten zu bestrafen, wenn er z. B. Hausbesucher anbellt oder
die Hauskatze jagt.
Warum?
Nun, nicht um die Schuld des Hundes zu sühnen oder damit die Schuld
durch die Strafe quasi "abgegolten" wird oder so etwas, sondern damit
der Hund es lernt und es das nächste Mal unterlässt.
(Abgesehen natürlich davon, dass man die unmittelbare Gefahr für sich
und andere abstellen will, z. B. wenn der Hund irgendwo spielt, wo es
gefährlich ist, z. B. bei einer alten Ruine. Wenn man den Hund dann
vorläufig einsperrt, so hat man wirklich etwas völlig anderes im Auge
als Erziehung.)
Das ist als Konditionierung lernpsychologisch sehr gut fundiert, auch
wenn der echten Skinnerianer wohl anmerken würde, dass eine Belohnung
einen weit besseren Effekt als einseitiges strafen hat.
Bezogen auf die gesamte Gesellschaft kommt noch ein weiterer Effekt
hinzu. Dadurch, dass die anderen Mitglieder der Gesellschaft sehen,
wie hoch der Preis ist, die Regeln zu verletzten, sehen sie selbst
davon ab, die Regeln willentlich zu brechen.
Das bedeutet, es gibt zwei Präventionsmaßnahmen:
(a) Die subjektive Prävention, wenn der Betroffene selbst dadurch
davon abgehalten werden soll, auf die "schiefe Bahn" zu geraten.
(b) Die (so will ichs schnell mal nennen) "objektive Prävention", wenn
die Wirkung auf Dritte ausgeübt werden soll.
Nun stoßen uns beide Formen von Prävention negativ auf, ganz besonders
aber die Variante (b). Warum?
Zunächst weil hier ein Mensch ganz offensichtlich instrumentalisiert
wird. Jemand wird bestraft, weil man dabei auf die Wirkung auf dritte
Personen kalkuliert. Mensch-Zweck-Formel usw.
Dann muss man natürlich noch hinzufügen, dass uns der Gedanke auch
deshalb so abstößt, weil er auch eine Machtdemonstraktion beinhaltet.
Der Staat oder die strafende Gemeinschaft sagt damit, "seht her, was
wir mit euch machen können! Gehorcht uns, damit ihr nicht in unsere
Ungnade fällt". Hier spielt also jemand mit den Muskeln statt mit
Argumenten zu überzeugen, was uns auch abstößt.
Auch wenn uns diese Form der Prävention missfällt, dürfen wir nicht
vergessen, dass fast alle Gesetze und auch die meisten praktisch
durchgesetzten Gebote den Charakter von Abschreckung haben. Man
applliert dort nicht eigentlich an die Moral, sondern an ein
zweckrationalistisches Kalkül. "Du kannst durch Betrug reich werden,
aber einen verurteilten Betrüger wird man niemals mehr Vertrauen
schenken und du kannst auf Jahre ins Gefängnis kommen".
Was die Rache angeht, so möchte ich darauf verweisen, dass tatsächlich
noch viele Ethiker bis ins 20. Jahrhunderts die Rache verteidigt
haben. Von Schriftstellern oder Juristen, die die Bestrafung als
"Ausgleich von Rechtsbrüchen" sehen, mal ganz zu schweigen. Rache
setzt aber, wie die anderen Strafgründe, Verantwortung und damit
Schuld voraus, zumindest in geringen Maße.
Man mag zwar auch Rachegefühle gegen das Meer haben (Caligula und
Xerxes (?) sollen das Meer ausgepeitscht haben) oder gegen einen
weißen Wal, aber diese würde man allgemein als irrational annehmen.
Okay, abgesehen davon, dass Wale sehr intelligente Tiere sind und man
ihnen fast schon Verantwortung und Schuld zuschreiben könnte.
Dass der Täter es bereuen soll, das assoziiere ich irgendwie mit der
christlichen Moral. Dort führen Reue und Vergebung zur Versöhnung des
Gläubigen mit Gott, da Gott gnädig über die Fehler hinwegsieht. Aber
die Reue und der ernst gemeinte Wunsch, die Schuld wiedergut zu machen
ist dazu notwendig.