Hi JL,
in einer angemessenen Kriegstheorie kämen de- und präskriptive Argumente zusammen. Ebenso
hätten sich Krieg und Frieden zu ergänzen, aber wie hätte Lorenzen seine dem Frieden
dienende und via Gerechtigkeit die Armut vermindernde Wissenschaftstheorie aus dem Krieg
heraus entwickeln können? Natürlich als Wunschdenken oder Trauminterpretation. Da im Krieg
aber die Gewalt dominiert und nicht das Argumentieren, halte ich es für nahezu unmöglich,
quasi gewaltsam zu einer Kriegstheorie zu gelangen, wenn nicht vorgegangen würde wie beim
Ideieren der Technik. Aber hieße das nicht, Menschen wie Geräte zu behandeln? Ginge es
dabei nicht um einen erzwungenen Konsens? Nicht der friedfertige Diskurs sondern die unter
Folter erreichte Zustimmung wäre das Ideal. In historischer Perspektive wären Kant („Zum
ewigen Frieden") und Clausewitz („Vom Kriege“) zusammen zu denken. Daran müssten sich
schon einige versucht haben.
Nicht auf die freie Monodoxie in der Wissenschaft vielmehr auf die erzwungene Monodoxie in
der Zwangsherrschaft liefe es hinaus. Kasernenhof statt Hörsaal! Friedfertige
Alltagspraxis und Zivilhandwerk sind die Basis meth. konstr. Theorie. Ich frage mich, ob
eine meth. konstr. Theorie auch aus Kriegsalltag und Militärhandwerk heraus entwickelt
werden könnte. Bliebe die Gerechtigkeit dabei nicht auf der Strecke oder könnte mit einer
Theorie des gerechten Krieges begonnen werden? Im Handbuch wird bspw. diskutiert, ob der
Kreuzzug „ein gerechter Krieg" war „zur Verteidigung der Christenheit gegen die
Bedrohung durch islamische Mächte und um die Rückgewinnung ehemals christlicher
Gebiete“. War der 2. Weltkrieg ein gerechter Krieg der demokratischen Alliierten gegen die
faschistischen Achsenmächte? Ich meine ja, da die Verteidigung der inneren Gerechtigkeit
auch die der äußeren rechtfertigt. Das Völkerrecht folgt ja dem Staatsrecht. Demzufolge
wären auch die Verteidigungskriege Israels und der Ukraine gerecht und könnten als
Fallbeispiele für die Entwicklung einer meth. konstr. Theorie aus Kriegsalltag und
Militärhandwerk genommen werden. Meth. konstr. ist meines Wissens noch keine Theorie des
gerechten Krieges entwickelt worden.
Matija Gasparevic hat sich in ihrer Diss.: „Die Lehre vom gerechten Krieg und die Risiken
des 21. Jahrhunderts“ auf Clausewitz, aber nicht auf Lorenzen bezogen: „Der
Literaturbestand zum Themenkomplex dieser Dissertation ist sehr umfangreich. Zur
Einführung in den Begriff des Krieges und der Kriegsführung ist das Werk von Carl von
Clausewitz „Vom Kriege“ bis heute in seinem Verständnis der Strategie, der Taktik und der
Philosophie des Krieges einzigartig. Bei der völkerrechtlichen Interpretation und
Normierung des Kriegszustandes in beiden Konditionen der Lehre vom gerechten Krieg, des
„ius ad bellum“ und des „ius in bello“, habe ich meine Abhandlung auf zwei Werke
gestützt: „Documents on the Laws of War“ von Adam Roberts und Richard Guelff und „The
Laws of Armed Conflicts: A Collection of Conventions, Resolutions and Other Documents“ von
Dietrich Schindler und Jiri Toman.“
IT
Am 22.07.2024 um 01:07 schrieb Landkammer, Joachim
über PhilWeb <philweb(a)lists.philo.at>at>:
das von dir zitierte Cl.-Unterkapitel (das direkt auf den Satz vom "Krieg" als
Fortsetzung der Politik folgt), macht auf einen scheinbar paradoxen, jedenfalls
kontraintuitiven Zusammenhang zwischen - eben - Politik und Krieg aufmerksam: Je mehr die
Politik die Kriegs-Option für entscheidend, überlebenswichtig, unausweichlich erklärt
("wollt ihr den totalen Krieg"?), umso "unpolitischer" und
"rein" kriegerischer (brutaler, hemmungsloser, gewaltvoller) wird er. Wenn die
Kriegsmotive hingegen (das ist der von dir zitierte Satz) eher schwach sind, nur
strategisch oder partikular interessenorientiert, um so weniger verläuft der Krieg nach
seiner eigenen "natürlichen" Logik, seinem eigenen "Ideal"
entsprechend, er scheint also viel eher "politisch" motiviert (ist also auch
politisch leichter zu "handeln").
Das zeigt m.E. gut, wie Politik und Krieg zusammenhängen (und wie eben nicht): Krieg ist
ein mögliches Mittel der Politik; daß sie streng wesensverschieden bleiben, zeigt sich
gerade darin, daß je "mehr" Politik (also Motivation, Energie, Überzeugung) in
den Krieg "eingespeist" wird, um so mehr wird er "nur noch Krieg"
(also: macht sich von der Politik frei); je weniger der Krieg hingegen politisch wirklich
"notwendig" ist, desto mehr bleibt er auch politisch steuerbar. (Und diese
Einsicht verkürzt die unkritische Rede vom "politischen Krieg" eben
wesentlich!).
Daß es sich dabei um einen un(ter)bestimmten Begriff von Politik handelt, mag man
meinetwegen behaupten (Cl. will ja auch nicht über Politik, sondern eben über Krieg
schreiben); warum und wie dem, was diesem Politik-Begriff "fehlen" mag,
allerdings dadurch abzuhelfen ist, daß man ihn schlicht normativiert, bleibt mir
zweifelhaft. Gerade solche wichtigen deskriptiven "Feinheiten", wie die Frage,
mit welcher "Intensität" die Politik die Kriegsoption betrachtet (wie - und von
wem, wann, warum - Kriegsziele definiert, argumentiert, verändert, zurückgezogen werden),
ist doch von einer präskriptiven Politiktheorie überhaupt nicht adäquat zu fassen und
moralfrei zu bewerten.