Am Fr., 14. Feb. 2020 um 20:12 Uhr schrieb K. Janssen via Philweb
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[Philweb]
Ich will hier keine politischen Debatten führen, aber nur mal eingeworfen:
Kann es sein, dass die Wahrnehmung der gesellschaftlichen Spaltung in
Europa und den USA eigentlich eine Fehlwahrnehmung ist?
Anders gefragt: Ist die Gesellschaft heute gespaltener oder nehmen wir
die Spaltung heute nur erstmals wahr?
Als vages Indiz in diese Richtung möchte ich ein Beispiel aus der
Geschichte herausgreifen: Die USA waren schon "vom Start ab" in zwei
Lager gespalten, die Föderalisten und die Anti-Föderalisten. Diese
Spaltung lässt sich nicht 1:1 auf heutige Begriffe wie "Konservativ"
oder "Links" reduzieren. Die Föderalisten entwarfen u. a. in den
Federalist Papers die erste Vision einer pluralistischen Demokratie,
von Gewaltenteilung statt Mischverfassung, sie tansportierten aber
auch eine Form des "aristokratischen Elements", indem sie von einer
Art Herrschaft der Tüchtigsten ausgingen.
Die Anti-Föderalists dagegen hielten eher an antiken
Demokratievorstellungen fest, ihr größter Erfolg war es aber, die 10
Zusatzartikel in den US-Verfassung geschrieben zu haben. Insbesondere
der 10. gibt die Philosophie dieser Leute recht gut wieder - Vorsicht!
Das kann, muss aber nicht naturrechtlich interpretiert werden. Im
Common Law haben Personen auch nicht schriftlich verbriefte,
überlieferte Rechte.
Aus den Anti-Föderalisten entwickelten sich dann unter Jefferson die
Demoratisch-Republikaner, während der Föderalisten mehr und mehr zu
den american whings wurden. Im Bürgerkrieg nahm diese Teilung ihre
Vorläufig endgültige Form an, indem Lincoln die Republikaner zur
Erhalt der Union führte und die Demokraten da als "Gegenspieler" übrig
blieben.
In der Zwischenzeit haben sich die Ideologien und die Wählerschichten
dieser beiden Parteien mehrfach verschoben. So gehörten Anfang des 20.
Jahrhunderts die reichen und gebildeteren Bürger eher zu den
Republikanern und sie können sogar als Vertreter einer bestimmten Form
des Progressivismus gewertet werden. Inzwischen ist es wohl so, dass
die Republikaner überwiegend vom Mittelstand gewählt werden, während
die Demokraten bei der Ober- und Unterschicht beliebt sein soll...
Letzteres würde ich aber nicht beschwören.
Schon unter Präsident Washington machte die Angst vor Illuminati,
Jesuiten und so weiter sich unter den Amerikanern breit. Gefolgt von
der Angst vor Anarchisten, später vor der "roten Gefahr" und in den
1980ern vor der wirtschaftlichen Stärke von Japan.
Beide Male gab es auch Untertöne, die sich vor Migration fürchteten.
Es ist eher außergewöhnlich, dass solche Präsidenten wie Roosevelt,
Kennedy, Nixon oder später Reagen die Amerikaner so relativ hinter
sich gebracht hatten. Diese Präsidentwaren eben bemüht, ihren Wählern
und Kritikern zu erklären, warum und wieso sie jetzt dieses oder jenes
Programm anstrebten. Trump dagegen setzt auf Polarisierung und spaltet
damit die Gesellschaft.
Bei "Ike" Eisenhower spielte natürlich auch seine Rolle im Krieg eine
große Rolle.
Wobei es auch ein Fehler wäre, zu sehr auf die Figur des Präsidenten
zu gucken. Das mag ein wichtiger Posten sein, aber viele Dinge gehen
auch vom Kongress, insbesondere dem Senat oder anderen Gruppierungen
aus.
Hier in Europa haben wir z. T. auch einfach Föderalisten in Bezug auf
die EU oder Anti-Föderalisten. Nur haben sich die Zeitumstände und die
diskutierten Themen stark verlagert.
P.S.: Sehr schön in diesem Zusammenhang ist Irvings Erzählung von Rip
Van Winkle. Diese scheint mir die Spaltung der USA bereits im späten
18. Jahrhundert sehr schon literarisch verewigt zu haben. Man mache
sich bitte bewusst, wie viel sich seitdem verändert hat...